Während Annina den Hofladen fein säuberlich herrichtet, beschäftigt sich Selina mit den Kindern, Jan und Mirco köcheln das gemeinsame Zmittag – und Alexander? Der gelernte Baumpfleger klettert an diesem verregneten Januarmorgen auf ein paar Apfelbäumen herum und trennt sie geschickt von überschüssigen Ästen. «Jetzt ist die beste Zeit dafür», erklärt der hochgewachsene Landwirt in seiner unaufgeregten Art. Der offiziell alleinige Betriebsleiter kümmert sich nicht nur um die vielen Obstbäume, sondern hat auch die Hauptverantwortung für die Tiere. Je eine Handvoll Hochlandrinder, Ziegen, Hühner und Laufenten beleben den Hof Chrutig mit ihrem Gegacker und Gemecker.

Bei den Gemüsebeeten haben Selina und Annina den Überblick, wann was angesät, gepflanzt, gejätet und geerntet werden muss. Um den Boden zu schonen, werden dazu kaum Maschinen eingesetzt. Deshalb sind die beiden jungen Mütter froh um jedes helfende Paar Hände, woran es glücklicherweise nur selten fehlt. «Es kommen immer wieder Anfragen von Leuten, die Interesse haben, hier mitzuarbeiten», erzählt Selina. So sei auch schon ein soziales Engagement im Rahmen einer Arbeitsintegration entstanden. «Im Idealfall kommt jemand und sagt: Darin bin ich gut, das würde ich mega gern machen», erklärt Selina. «Dann schauen wir, ob es möglich ist und wenn ja, ist es perfekt. Denn so können die Leute zu100 Prozent ihre Fähigkeiten entfalten.»

Ein besonderer Gewinn für die noch junge Hof-Konstellation ist Silvan, der derzeit sein drittes Lehrjahr auf dem Hof Chrutig macht. «Ich sagte ihm, dass wir selbst noch vieles am Lernen sind», erzählt Selina. «Aber er meinte, er wolle unbedingt sehen, wie wir das machen hier. Auch vom sozialen Aspekt her.» Dass einer einfach so kommt und sich selbstständig eingibt, sieht sie nicht als selbstverständlich an. «Das ist mega wertvoll», pflichtet ihr Annina bei.

Starkes Dreiergespann

Doch so läuft es ständig, seit Selina und ihr Mann Alex den Hof im Januar 2023 übernommen haben. Schon wenige Monate später zog Annina zu ihnen und bildete mit den beiden das dreiköpfige Kernteam. «Wir haben uns über die Hebamme kennengelernt», erzählt Annina. «Die meinte, wir sollten uns mal treffen.» Ein wahrer Glücksfall. Die ausgebildete Textildesignerin und Maltherapeutin hatte zwar bisher wenig mit der Landwirtschaft am Hut, wollte aber schon immer mal einen eigenen Garten haben. «Nun ist es halt ein etwas grösserer geworden», scherzt Annina. Ihre kreativen Fähigkeiten kann sie nun beim Gestalten von Etiketten oder beim Schreiben des Newsletters ausleben.

Eingeführt in die Kunst des Gemüsegärtnerns wurde sie durch Selina. Die ausgebildete Landschaftsgärtnerin hat einige Jahre in verschiedenen Gärtnereien gearbeitet – unter anderem auch im Gemüsebau. Zuletzt führte sie gemeinsam mit Alex und einer weiteren Person einen Bergbetrieb mit Alp im Berner Oberland. «Das waren vier sehr anstrengende, aber wertvolle Jahre», erzählt Selina. In dieser Zeit lernte sie nicht nur viel über die Landwirtschaft, sondern auch darüber, worauf es bei einer kollektiven Betriebsführung ankommt: Klare und offene Kommunikation sowie ein stabiles finanzielles Fundament. Deshalb beschlossen Selina und Alex, ihr neues Zuhause allein zu kaufen. Möglich machten dies Darlehen ihrer Familien sowie von der freien Gemeinschaftsbank, die solche vielversprechenden Projekte gezielt unterstützt.

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Die Besitzansprüche existieren jedoch nur auf dem Papier. «Es fühlt sich an, wie wenn der Hof allen wäre», erzählt Annina. «Denn wir drei tragen alle Verantwortung im gleichen Masse.» Offiziell ist sie jedoch nur eine Angestellte. «Wir haben schon darüber geredet, wie wir das noch anders festhalten könnten, damit es für Annina gleich fair ist wie für uns», erklärt Selina. «Denn das ganze Erwirtschaftete investieren wir direkt wieder in den Betrieb. Da müsste sie in dem Sinne auch eine Teilhabe bekommen, falls sie auf einmal sagt, ich mache jetzt was anderes.»

Aktuell ist das für Annina aber kein Thema. «Ich glaube, zwischen uns dreien funktioniert das richtig gut», schwärmt sie. «Wir haben ein gemeinsames Ziel, diese Vision, die uns alle motiviert und wir haben Freude daran.» Was die drei zusätzlich verbindet, ist ihre Prioritätensetzung. «Wir haben ähnliche Vorstellungen der Lebensgestaltung», bestätigt Selina. Geld sei selten ein Thema. «Es ist uns wichtig, dass wir leben können und nicht jeden Rappen umdrehen müssen», erklärt Annina. «Noch wichtiger ist uns aber, dass wir ein sinnvolles Projekt haben und einen schönen Lebensort.»

Auch Pausen müssen sein

Essenziell ist für das Kernteam auch, dass jeder und jede einen Tag Pause machen kann, wenn er oder sie diesen braucht. «Das war auch ein Grund, weshalb wir von Anfang an wussten, dass wir es nicht allein machen wollen», erklärt Selina. Denn auf je mehr Schultern die Arbeit verteilt ist, desto besser funktioniert das gegenseitige Einspringen. Das bedeute aber mitnichten, dass die Arbeit weniger wird. «Es ist schon sehr streng erarbeitetes Geld», so Selina. «In unseren früheren Jobs ist das Geld besser geflossen.» Doch die Lebensqualität hänge sie nicht am Verdienst auf. Annina geht es nicht anders. «Es fühlt sich nicht wie ein Job an, da wir sehr schöpferisch, kreativ und selbstständig arbeiten können», schwärmt sie. «Es ist einfach unser Leben mit Kind und Land und das ist mega schön.»

Nicht alle können ihre Art der Landwirtschaft nachvollziehen – auch nicht in der Nachbarschaft. Manche Leute hätten schon gesagt, was sie machen, sei eher Peace, Love und Happiness, erzählt Selina. «Ist es vielleicht auch», scheut sie sich nicht, zuzugeben. Aber man könne das eben auch richtig machen, findet sie. «Das eine schliesst das andere nicht aus.» Entscheidend sei, loslassen zu können. «Es gibt schon Dinge, bei denen ich eine genaue Vorstellung habe und es mich dann ärgert, wenn es nicht so gemacht ist», gibt Selina zu. «Aber wenn wir mit mehreren Leuten zusammenarbeiten, können wir diesen Anspruch nicht haben.» Umgekehrt ist sie froh um jeden Input von Menschen mit Erfahrungen in bestimmten Bereichen. «Das ist sehr wertvoll.»

Manchmal werde es aber schon auch mal zu viel mit den Leuten, die ständig ein- und ausgehen auf dem Hof. «Es ist halt extrem lebendig, manchmal auch chaotisch wild, wenn so viele Menschen aufeinandertreffen», so Annina. «Und oft passieren auch überraschende Dinge, zum Beispiel steht auf einmal noch jemand mehr hier. Das ist einerseits sehr schön, aber es braucht auch Nerven und eine gute Absprache.» Diese Dynamik passe aber auch zu ihnen, weil sie selbst stets viele Ideen haben, meint sie. Selina betont zudem, dass so sehr schnell Projekte entstehen und auch umgesetzt werden können. Für sie ist klar, dass sie die richtige Betriebsform gewählt hat. «Wir haben diesen Ort geschenkt bekommen und es ist nun in unserer Verantwortung, etwas Schönes daraus zu machen und andere Menschen daran teilhaben zu lassen.»

 

Trend der kollektiven Hofführung
Mirjam Bühler, Projektleiterin Anlaufstelle für Hofübergabe bei der Kleinbauern-Vereinigung über die Gründe, weshalb kollektive Bewirtschaftungen in der Schweiz immer beliebter werden:
- Früher hat auf Betrieben meist die ganze Grossfamilie mitgeholfen. Diese Arbeit auf wenige Schultern zu verteilen, ist eine Herausforderung.
- Viele Betriebe wurden immer grösser und kapitalintensiver, weshalb es sich einige gar nicht zutrauen oder es schlicht nicht möglich ist, alles allein zu machen oder zu finanzieren.
- Vor allem bei verschiedenen Betriebszweigen kann eine Aufteilung der Verantwortungen Sinn machen.
- Manche suchen in der Landwirtschaft den Ausgleich zu einem anderen Beruf. Eine Teilzeitbeschäftigung ist bei einer kollektiven Hofführung einfacher.

Was es dabei zu beachten gilt:
- Mögliche Konflikte und Strategien, wie man damit umgeht, sollten von Anfang an mit einkalkuliert werden.
- Von Anfang an sollte die Möglichkeit miteinbezogen werden, dass Personen im Laufe der Zeit aussteigen und durch neue ersetzt werden müssen.
- Oft ist (zu) wenig Wohnraum für mehrere Parteien vorhanden und diesen zu erweitern, ist in der Landwirtschaftszone nur sehr begrenzt möglich.
- Um die richtige juristische Form für eine gemeinsame Bewirtschaftung zu finden, ist eine professionelle Beratung sehr empfehlenswert.