Streichelzoo
Johns kleine Farm
In der Streichelanlage von Johns kleine Farm im bernischen Kallnach gelingen hautnahe Begegnungen. Eine Gans zupft an der Hose, ein Alpaka lässt sich streicheln, während ein Kamel im Haar nestelt. Ein Besuch mitten im Tiergeschehen.
Alle, die aus dem Gebäude treten, müssen sich mit ihr auseinandersetzen. Sofort kommt sie mit vorgestrecktem Hals angerannt, schnattert, bremst kurz vor dem Ziel ab, äugt. Lydia ist so etwas wie die Haushälterin des Betriebs. Sie ist aber keine Bäuerin mit Schürze und rosigem Gesicht, sondern ein Vogel, genauer ein Coscorobaschwan mit korallenrotem Schnabel und schneeweissem Gefieder. Und Lydia wird eskortiert von Diepholzer-, Streifengänsen und einem Trupp Pommernenten, dem Empfangskomitee von Johns kleiner Farm in Kallnach BE. Wer durch den schmalen Gang im Bauernhaus am Krosenrain gegangen ist, tritt mitten ins Tiergeschehen.
«Ich erlebe immer wieder, wie Leute Angst vor dem Geflügel haben», sagt John-David Bauder. Der Kranken- und Tierpfleger sowie Ausbildungsexperte für Wildtierpflege gründete vor 26 Jahren seinen eigenen Zoo. Er will Mensch und Tier zusammenbringen. «Mittendrin, statt daneben» lautet sein Motto. Während er erzählt, schiesst auf den Pfiff der Tierpflegerin Regina Gnägi ein Trupp farbiger Serama-Zwerghähne in die Mitte des Hofs. Das Wassergeflügel watschelt beflissen mit. Die junge Frau strahlt und sagt: «Sie wissen, dass es jetzt Mehlwürmer gibt.» Den Leckerbissen will sich niemand entgehen lassen. Derweil erklärt der bärtige Zooleiter mit leuchtenden Augen, wie Begegnungen mit dem selbstbewussten Geflügel gelingen: «Wichtig ist, dass man keine Angst zeigt.» Lydia und Konsorten kommen allen nahe, warten ab – und machen gar nichts. Der Zoofachmann Bauder schwärmt von den unterschiedlichen Kopfstellungen der Gans bei derBegrüssung. Sein Australian Shepherd Saoirse neben ihm beobachtet die Geflügelschar aufmerksam.
Tierschutzfälle und rare Rassen
Wer den Hof mit dem frei laufenden Geflügel verlässt, gelangt direkt in die Streichelanlage. «Sie ist das Herzstück unseres Zoos», betont John-David Bauder,während er das liegende Kamel Chimbay am Hals krault. «Die Nähe zu verschiedenen Tieren ohne Gitter ist uns besonders wichtig», betont er. Einst gründete derIdealist den Zoo mit dem Ziel, blinden Menschen den Kontakt mit Tieren zu ermöglichen. Er merkte aber bald, dass es ganz allgemein ein Bedürfnis ist, dem Tier von Angesicht zu Angesicht gegenüberzustehen, es vielleicht gar zu berühren. «Nutztiere sind seit Tausenden von Jahren mit Menschen verbunden. Darum erlauben wir den direkten Kontakt zu ihnen.» Dieser gelingt sofort, als eine Zwergziege sogleich den Schuhbändel des Journalisten aufzieht.
«Die Tiere müssen sich jederzeit von den Menschen zurückziehen können.»
Das Alpaka hingegen bringt so schnell nichts aus der Ruhe. Es liegt an der höchsten Stelle, blickt stoisch in die Runde und käut wieder. «Es handelt sich um einen Tierschutzfall», erklärt der Zooleiter mit Blick auf das Andentier. Der grösste Teil der Bewohner der Streichelanlage wurde aus schlechter Haltung aufgenommen. So wie Timmy, das Minipig mit rosa Haut. «Als wir es holten, war es so dick, dass es nicht mehr zur Stalltüre herauskam», erzählt der Tierkenner mit Rundbrille. Heute ist Timmy nicht wieder zu erkennen: Er trippelt in der gesamten Anlage auf und ab und quengelt vor sich hin, bis ihm Bauder über das borstige Fell streichelt. Die Stiefelziege, die jetzt, als wäre sie eine Gämse, über Steinaufbauten klettert, ist hingegen eine Rarität. «Wir züchten im Programm von ProSpecieRara auch alte Haustierrassen», erklärt der Direktor. Die Tiere hätten sehr gute Punktzahlen erreicht. Vielversprechende Junge, die in der Anlage geborenwurden, klettern bereits trittsicher über Felsen.
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Unterschiedliche Höhenniveaus
Herzerweichendes Geschrei unterbricht Bauders sonore Stimme. Die Barockesel-Stute Raffi macht sich bemerkbar. Auch sie ist Teil eines Zuchtprogramms. Diese weissen Esel waren früher hauptsächlich Gesellschaftstiere des Adels. Heute sind sie sehr selten. Das Muntjak, das nun mit zierlichen Beinchen neben der Adelsbegleiterin durchstolziert, würdigt sie keinesBlickes. Die kleine Hirschart hat ihr eigenes, angrenzendes Gehege. Die Tiere schlüpfen aber durch ein Türchen in die Streichelanlage. Muntjaks sind meist zu schnell und zu scheu, als dass sie sich anfassen lassen würden. John-David Bauder erzählt: «Das Muntjak-Weibchen hat sein Junges nicht etwa im Schutz seines Geheges geworfen, sondern im Asthaufen mitten in der Streichelanlage.» Diese asiatische Tierart lebe in England verwildert. Er selbst habe sie einst auf einer Wanderung in Essex beobachtet.
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Der Zoogründer hat sich das Konzept der Streichelanlage selbst ausgedacht. «Ich erhielt zu Beginn viel Kritik aus der Fachwelt.» Die Kombination der Rassen und Arten würde nicht gelingen, wurde ihm vorgeworfen. Es gab keine Vorbilder, Bauder leistete Pionierarbeit – und es klappte, ganz zur Freude der Besucherinnen und Besucher, die nun auch schon mal einem Dahomey-Rind, der kleinsten Rinderrasse der Welt, gegenüberstehen. Auf eine Farm gehörten Kühe, konstatiert Bauder. Wenn eine Kuh vor einem steht und mit dem Kopf wackelt, sei es empfehlenswert, nicht einfach wie ein Pflock stehen zu bleiben, sondern auf die Seite zu treten. «Andernfalls schubst das Rind den Menschen beiseite.» Das sei ein normales Verhalten, hautnaher Kontakt mit Tieren eben. Die Menschen sollten lernen, die Sprache der Tiere richtig zu deuten, findet Bauder.
Dass es funktioniere, auf relativ kleiner Fläche vom 11 Kilo schweren Muntjak bis zum 650 Kilo schweren Kamel ganz verschiedene Tiere zu halten, sei der Struktur der Anlage zu verdanken, streicht Bauder heraus. Das Gelände ist hügelig, von Steinmauern unterbrochen, weist Asthaufen und ganz unterschiedliche Bodenqualität auf. «Bei Bedrängnis klettert eine Ziege über den Felsaufbau.» Ein Kamel folge ihr da nicht.
«Die Tiere müssen sich jederzeit von den Menschen zurückziehen können.»
Es sei schon erstaunlich, was sich in der zusammengewürfelten Gemeinschaft so alles abspiele. «So leckt plötzlich ein Dahomey-Rind ein Lama ab, dem schier die Augen ausfallen», sagt Bauder und lacht. Das Lama wiederum zeige dieses Verhalten nicht, für eine Kuh sei es aber ein Liebesbeweis. Trotzdem vertrügen sich alle gut. «Ein wichtiger Punkt bei der Auswahl der Tiere ist nicht die Rasse oder Art, sondern vielmehr das Individuum», sagt Bauder. Nicht alle Tiere könne man gleich exponieren. «Geht es nicht, suchen wir einen guten Platz.» So wie für die Ziege, die ängstlich blieb. Sie lebe heute auf einer Alp. Gewöhne sich ein Tier gut ein, bleibe es im Zoo, bis es aus Altersgründen sterbe. Natürlich sei bei einer solchen Anlage besonderer Aufwand durch das Personal notwendig. «Wir beobachten stetig, trainieren die Tiere, sprechen mit den Besuchern.»
Der Nachwuchs mittendrin
«Man muss die Bedürfnisse der Tiere kennen», betont John-David Bauder. Einem Lama sei es völlig egal, wenn Leute über seinen Körper stiegen, ein Schwein hingegen müsse Rückzugsorte haben. «Zu Beginn lernten wir ständig dazu», erinnert sich Bauder. So hätten sie den Fehler gemacht, trächtige Zwergziegen im Stall ihre Kitzlein werfen zu lassen. «Die Jungen sind dann, als sie in der Streichelanlage sprangen, von den anderen Tieren nicht akzeptiert worden.» Seit die Geburten alle in der Anlage geschähen, sei dies kein Problem mehr. Alle Tiere würden die frisch Geborenen besuchen,sogar die Schweine. Das sei nicht selbstverständlich. Man müsse aufpassen, denn Schweine könnten durchaus junge Tiere fressen.
Zu Beginn habe man Futter verkauft, das durch die Besucher verabreicht werden konnte. «Das kam nicht gut, denn Kinder sind sehr selektiv beim Füttern, sie bevorzugen gewisse Individuen.» Dabei gebe es eine Hierarchie unter den Tieren, die es zu beachten gelte. Futter, das an unterschiedlichen Stellen angebracht werde, verhindere Querelen und Neid. Der Tierkontakt sei nicht nur für die Besucher interessant, sondern auch die Besucherinnen seien eine Anregung für die Tiere. Und gemäss einer Studie der Universität Bern würden sich die Tiere hier 3,6 bis 3,8 Kilometer pro Tag bewegen, viel mehr als in einer herkömmlichen Anlage.
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«Die Tiere, die wir hier halten, leben von ihrem biologischen Ursprung her auf kargem Terrain», sagt Bauder. Darum habe man auch in der Streichelanlage einen gemergelten Boden gewählt. Es habe zudem festen Steinboden, Waldboden, einen Wühlplatz und Sandstellen in der Anlage, entsprechend den Bedürfnissen der Bewohner. Kamele, Lamas und Alpakas seien Sohlengänger, Ziegen und Schweine Paarhufer und Esel Unpaarhufer. Essenziell seien auch mehrere Innenställe mit entsprechenden Zugängen für die jeweiligen Tiere. Nicht alle Tiere suchten aber gerne Häuser auf. «Für sie haben wir Asthaufen», sagt John-David Bauder. Der Zookenner betont: «Die Tiere müssen sich jederzeit vor den Menschen zurückziehen können.»
Die Zwergziegen und Timmy, das Schwein, scheinen kein Rückzugsbedürfnis zu haben. Im Gegenteil, sie wollen dort sein, wo sich Leute aufhalten. John-David Bauder steht bei seinen Kamelen, sein Hund sitzt zwischen Schafen, Ziegen und Trampeltieren. Menschen sei es ein Bedürfnis, engen Kontakt mit Tieren zu haben. «Wir sind heute der Natur entfremdet, darum wollen wir hier Mensch und Tier dicht zusammenbringen.» Osinka zupft mit gelassenem Kamel-Blick an Bauders Jacke. Er lacht und sagt: «Wer hier abends nicht nach Kamel stinkt, hat etwas falsch gemacht.»
Johns kleine Farm
Der Streichelzoo liegt am Krosenrain 12 in 3283 Kallnach im Berner Seeland an der Bahnlinie zwischen Lyss und Kerzers. Der Zoo ist täglich zwischen 10 und 17 Uhr geöffnet. Für Erwachsene kostet der Eintritt 10 Franken, für Kinder 6 Franken. Hunde dürfen mitgenommen werden.
johnskleinefarm.ch
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