Autark Wohnen
Leben in einem Zirkuswagen
Die beiden Umweltingenieure Martin und Claudia wohnen seit drei Jahren in einem Zirkuswagen, der weder an die öffentliche Wasser- noch an die Stromversorgung angeschlossen ist. Wie gut es sich damit leben lässt, demonstrieren sie mit ihrem einmaligen Zuhause.
Der Strom kommt vom Dach, die Wärme aus dem Holzofen, das Wasser wird mittelsRegenrinnen in einem Tank gesammelt. 400 Liter können Martin und Claudia so unter ihrem Zirkuswagen speichern. «Es ist etwas knapp bemessen», gesteht Claudia. Nach längeren Trockenphasen käme es schon mal vor, dass ihnen das Wasser ausgehe. Glücklicherweise gibt es im kleinen Zürcher Oberländer Dorf gleich unterhalb des Zirkuswagens einen Brunnen, der von einer Quelle gespeist wird. Theoretisch könnten die beiden auch von dort Wasser beziehen. Bisher war es für sie aber einfacher, beim nur wenige Meter entfernten Bauernhaus abzuschöpfen. Hier wohnt der Onkel von Claudia, der es den beiden ermöglicht, ihren Zirkuswagen auf seinem Land abzustellen. Im Gegenzug greifen sie ihm regelmässig beim Heuen und Holzen unter die Arme. Von Letzterem profitieren sie wiederum selbst, da sie einiges an Holz zum Heizen brauchen.
Auch beim Strom sind die beiden froh, notfalls im Haus anzapfen zu können. «Den ganzen Frühling, Sommer und bis im November reicht unser Strom ohne Problem», so Claudia. «Doch im Dezember und Januar schaue ich jeden Tag, wie viel wir noch übrighaben», erzählt sie. Manchmal wird dann das Wäschewaschen um einige Tage verschoben, bis wieder genug Strom und Wasser da ist. Ansonsten fehlt es den beiden aber an nichts, wie die Zürcherin beteuert: «Wir besitzen sämtliche bequemen Haushaltsgeräte wie Kühlschrank, Geschirrspüler und Waschmaschine.» Wenn der Strom für den Boiler ausgeht, könnten sie theoretisch Wasser auf dem Holzofen wärmen – oder kalt duschen. «Doch auf solche Experimente haben wir nur selten Lust», wie Claudia verrät. Beide haben abgesehen von ihrer aussergewöhnlichen Wohnform einen konventionellen Arbeitsalltag und feste Anstellungen als Umweltingenieure. Claudia arbeitet Vollzeit, Martin hat kürzlich auf 60 Prozent reduziert, um dem Garten mehr Zeit widmen zu können. «In diesem Bereich sind wir noch alles andere als autark», sagt Martin verschmitzt. «Doch wir sind stetig dran, weiter auszubauen. Dieses Jahr haben wir zwei Apfelbäume gesetzt.» Hier, an der Grenze zur Landwirtschaftszone, ist das kein Problem.
Vom alten Wohnwagen in die Autarkie
Den Traum, in einem Zirkuswagen zu leben, hegte Martin schon lange. Als er und seine Partnerin vor Jahren ihren ökologischen Fussabdruck berechneten, realisierten sie, dass sie in ihrer damaligen Wohnung niemals auch nur in die Nähe eines für sie vertretbaren Fussabdrucks kommen würden. So beschlossen die beiden, auf eine möglichst autarke Lebensweise umzusatteln. 2019 kauften sie den 40 Jahre alten Wagen eines ehemaligen Schaustellerpaares und bauten ihn zwei Jahre lang um. Zumindest so weit, wie sie als Bürogummis kamen. «Vieles kann man sich selbst aneignen», erzählt Claudia. Trotzdem holten sie sich Unterstützung aus dem Freundeskreis, aber auch von Fachleuten für den Sanitärbereich, die Photovoltaikanlage und Spenglerarbeiten sowie vom Holzlabor Winterthur. «Wir hatten zu Beginn die Illusion, dass wir günstiger wegkommen, wenn wir so viel wie möglich selbst machen», erinnert sich Martin. Wenn man ihren eigenen Aufwand nicht mitberechnet, ging der Plan gar nicht mal so schlecht auf.
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Da sie nun viele Fixkosten einsparen können, wird bereits für künftige Investitionen gespart, um der Wohn-Autarkie noch näherzukommen. «Wir sind jetzt auf einem Niveau von rund 80 bis 90 Prozent», erklärt Martin. «Die letzten 10 bis 20 Prozent sind sehr aufwendig.» Ein Beispiel dafür ist die Pflanzenkläranlage, welche die beiden für einen Materialwert von etwa 1000 Franken zusammengebaut haben. Die Anleitung dafür kauften sie bei der österreichischen Firma «Wohnwagon». Damit wird nun das Abwasser von Dusche und Küche unter anderem durch Mikroorganismen gereinigt und danach in die Umwelt entlassen. Zusammen mit der Trenntoilette war das ein wichtiges Puzzleteil, um das Wasser in einem lokalen Kreislauf behalten zu können. Obwohl Claudia und Martin strikt darauf achten, nur biologisch abbaubare Seifen, Shampoos und Spülmittel zu verwenden, schickten sie auch schon Proben ins Labor, um sicherzugehen, dass das in die Umwelt entlassene Wasser nach der Reinigung wirklich schadstofffrei ist. «Theoretisch könnten wir das Wasser von der Kläranlage wieder in unseren Kreislauf einspeisen lassen», sagt Martin. «Dazu müsste aber der ganze Wasserkreislauf anders geplant werden und das würde sich für uns nicht rechnen.» Was aber in den nächsten Jahren noch anstehe, sei eine neue Fassade für den Zirkuswagen. «Da diese ständig abblättert, möchten wir sie bald einmal komplett auswechseln und den Wagen gleich noch stärker isolieren», erklärt Martin. So sollte sich in Zukunft weniger Kondenswasser in den Ecken des Innenraums sammeln und noch weniger Energie verloren gehen.
Das Quäntchen Glück
«Theoretisch wäre eine reine Kreislaufwirtschaft hier sehr gut möglich», meint Martin und zeigt auf das umliegende Grünland, das er zusammen mit seiner Partnerin Claudia nutzen darf. «Wir hätten genug Platz für einen noch viel grösseren Garten und dank der Quelle wäre eine weitere wichtige Voraussetzung da.» Doch die beiden nehmen sich ein Projekt nach dem anderen vor und probieren Jahr für Jahr etwas Neues aus. «Uns fehlt es auch etwas an Vorbildern», erklärt Martin. Autarke Wohnformen mit ausschliesslich erneuerbaren Energien kennen die beiden sonst nur von professionellen Firmen. Entsprechend zufrieden sind sie mit dem Ergebnis ihrer Planung und Umbauerei in Eigenregie. «Wir waren sehr erfreut, wie konstruktiv und vorurteilsfrei die Baubewilligung bearbeitet wurde», erzählt Martin. «Die Baubehörde war offen für unser spezielles Projekt, das komplizierter zu beurteilen war als ein Standardhaus», pflichtet Claudia ihm bei.
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Sie, die in der Raumplanung tätig ist, weiss sehr genau, dass die rechtlichen Vorgaben für den Bau eines Einfamilienhauses mit einem Zirkuswagen nur schwer eingehalten werden können. «Wir haben uns viel Zeit genommen, alle Besonderheiten zu erklären», erzählt sie. «Es ist einfach sinnvoll, solche kleinen Restflächen in der Bauzone auf diese Weise zu verwenden, denn ein Einfamilienhaus hätte hier niemals Platz gehabt.» Dass der Entscheid dennoch in jedem Kanton und in jeder Gemeinde anders hätte ausfallen können, ist beiden sehr bewusst.
Zusammen mit dem Quäntchen Glück brauchten die beiden aber auch einen langen Schnauf, um ihren Traum zu verwirklichen. «Kräftezehrend war nicht die Baubewilligung, sondern der Umbau an sich», erzählt Martin.
Weniger Besitz, mehr Natur
Bereut haben die beiden ihren Umzug in den 22 Quadratmeter kleinen Zirkuswagen nie. «Ich fühle mich überhaupt nicht eingeengt», meint Claudia und fügt lächelnd hinzu: «Wir schränken uns eher gegenseitig ein. Zum Beispiel sage ich Martin, er solle nicht so viele Spiele und Bücher kaufen. Mir sagt er hingegen, ich bräuchte nicht noch mehr Schuhe.» Doch nicht nur einander vor unnötigen Käufen zu bewahren, sondern vor allem auch aufeinander Rücksicht zu nehmen, sei bei einem Wohnwagen ohne Türen wichtig geworden. «Wenn es Konflikte gibt, müssen wir die blitzartig lösen, sonst wird es schon auf einmal sehr eng», erzählt Martin. Notfalls gehe man eben schnell vor die Tür, um etwas Luft zu schnappen.
Diese Nähe zur Natur ist etwas, was der Ingenieur sehr geniesst. «Man erlebt die Umwelt viel intensiver, da man automatisch näher dran ist», erzählt er strahlend. Intensiv sind vor allem die Winter, wenn der Schnee nicht nur vor der Tür, sondern auch auf dem Dach geräumt werden muss. In die Ferien gehen die beiden in dieser Zeit nie. Auch, weil sonst der Wagen zu stark runterkühlen würde. «Wer als Erstes aufsteht, schmeisst bei uns den Holzofen an», erzählt Claudia. Fast jeden Tag steht auch Holzspalten auf dem Programm. «Das machen wir aber zum Glück beide sehr gerne», erklärt sie.
Exotische Wohnform setzt einiges voraus
Skepsis im eigenen Umfeld, ob das Projekt eine gute Idee ist, habe es durchaus gegeben, bestätigen beide. Im kleinen Dorf des Zürcher Oberlandes, wo ihr Zirkuswagen heute steht, seien sie aber sehr herzlich empfangen worden. «Die meisten haben Freude dran, sagen aber auch, dass das nichts für sie wäre», erzählt Martin und fügt verständnisvoll an: «Es wird wohl für die allermeisten immer eine exotische Wohnform bleiben.» So etwas sei ja auch als Ergänzung gedacht, ordnet die Raumplanerin den Tiny-House-Trend ein. Ideal dafür seien solche ungenutzten Restflächen auf bereits bebauten Grundstücken oder Zwischennutzungen auf gänzlich brachliegenden Flächen.
Wer sich für ein solches Projekt entscheidet, sollte «gute Nerven, etwas Mut und viel Lust mitbringen», wie Martin empfiehlt. Denn auch wenn die beiden längerfristig sparen können, darf man nicht davor zurückscheuen, Geld in die Hand zu nehmen. Perfektionisten hätten es wohl auch schwer, mutmasst der Heimwerker. «Man muss damit leben können, dass mal ein Nagel nicht ganz perfekt eingeschlagen ist», sagt er. Ihm und seiner Partnerin wird die Lust am Rumbasteln mit Sicherheit nicht so schnell vergehen.
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