Es ist ein natürlicher Instinkt, dass Pferde scheuen. «So gefährlich Schreckhaftigkeit unterm Sattel ist, so wichtig war sie in freier Wildbahn», sagt die Biologin, Tierpsychologin und Barockreiterin Helga Syz aus Grüningen ZH. «Näherte sich zum Beispiel ein Schatten von der Seite, mussten Pferde möglichst schnell reagieren, um nicht von einem Raubtier getötet zu werden.»

Einige Rassen sind weniger schreckhaft als andere, dazu zählen Kaltblüter, Gebirgspferde wie Haflinger und Freiberger, Iberer oder Quarter Horses, die für Stierkampf und Arbeitsweise gezüchtet sind. «Das liegt zum einen an ihrer ursprünglichen Heimat, denn im Gebirge ist eine kopflose Flucht weitaus gefährlicher als in der Steppe, zum anderen am Zuchtziel, nämlich sanfte, ehrliche Pferde mit guten Nerven aber doch feurigem Temperament mit schneller Auffassungsgabe und Reaktionsfähigkeit», erklärt Syz, die auch Verhaltenstherapie für Pferde anbietet.

Neben der Rasse spielen der Gesundheitszustand, die Haltung und der Reiter eine gros­se Rolle. Ein Pferd, das Schmerzen hat oder sich unwohl fühlt, scheut in der Regel schneller. Und dass ein Vierbeiner, der fast ausschliesslich Box und Halle sieht, bei einem seltenen Ausflug ins Freie beim Anblick einer Plastiktüte in Panik gerät, ist kaum überraschend.  

Geduld und Erfahrung sind gefragt, Bestrafungen verstärken nur die Angst
Artgerechte Haltung, bei der die Pferde vielen Ausseneinflüssen ausgesetzt sind, vermindert dagegen die Schreckhaftigkeit. Auch gezieltes Gelassenheitstraining an der Hand und später unter dem Sattel, bei dem das Pferd lernt, über Planen, Brücken und durch Tore mit Flatterband zu gehen und entspannt neben einem Regenschirm oder einem Klappersack stehen zu bleiben, hilft. «Das kann man schon mit jungen Pferden machen. Wichtig ist aber, dass der Mensch bei dieser Arbeit weiss, was er tut und viel Ruhe ausstrahlt – im Zweifel sollte man einen erfahrenen Ausbilder um Hilfe bitten», rät Syz.

Es sei völlig kontraproduktiv, das Pferd zu strafen, wenn es sich erschreckt, denn dann verbindet es die Strafe mit dem Furcht einflössenden Objekt und fühlt sich in seiner Angst nur bestätigt. Besser: Das Pferd für jeden Schritt in die richtige Richtung mit Stimme und Streicheleinheiten loben. Auch Belohnungswürfel seien erlaubt – das Kauen trage zur Entspannung bei.

Neigt ein Pferd zum Scheuen, sollte es im Gelände nur von sehr guten Reitern geritten werden, die das Problem nicht durch ihre eigene Unsicherheit verstärken und frühzeitig reagieren können. «Man sollte das Pferd bei den ersten Anzeichen von Unruhe an den Zügel stellen und seine Aufmerksamkeit auf sich lenken. Das funktioniert aber nur, wenn es eine solide Grundausbildung bekommen hat», erklärt Syz.

Springt das Pferd vor dem Mülleimer oder der Parkbank trotzdem zur Seite, solle man ihm zwar nicht erlauben, das Weite zu suchen, es aber auch nicht mit Gewalt am vermeintlich gefährlichen Gegenstand vorbeibringen wollen. Wie bei der Bodenarbeit ist es wichtig, dem Pferd ausreichend Zeit zu lassen und alle Anstrengungen am Gefahrenobjekt vorbeizugehen mit Lob quittieren. Manchmal kann es sinnvoll sein, abzusteigen und zu führen. «Eine grosse Hilfe kann ein ruhiges Begleitpferd sein, das als gutes Vorbild vorangeht. Aus Sicherheitsgründen sollte man mit Pferden, die scheuen, nie alleine ausreiten», sagt Syz.