Die lange Tradition der Schweizer Pferdezucht
Grosse Vielfalt an Pferderassen auf kleinem Raum
Vor der eigentlichen Rassenbildung existierten in der Schweiz lokale Benennungen, beispielsweise für das Seeländer oder das Einsiedler Pferd. Diese Pferdegruppen wurden seit der Gründung des Bundesstaates 1848 in den als Freiberger bezeichneten Zugpferdetyp und einen leichteren Reitpferdetyp, das Warmblut, zusammengefasst. Wie haben sich diese beiden Pferderassen weiterentwickelt? Zuchtexperten verraten es.
Die meisten Autos, die der Hauptstrasse des 100-Seelen-Dorfes entlangfahren, haben ein französisches Kennzeichen. Links und rechts der Strasse erheben sich ausladende Jura-Steinhäuser, bei etlichen bröckelt der Verputz vor sich hin. Für seine Bauwerke kann die Gemeinde Damvant keine Lorbeeren einheimsen, für seine vierbeinigen Bewohner allerdings schon. Hinter diesen Häusern im letzten Zipfel der Haute-Ajoie erstreckt sich die Wiege des Freibergers – der einzigen heute noch existierenden Pferderasse mit Ursprung in der Schweiz. «Mit ihren weiten Juraweiden eignet sich unsere Region vorzüglich für die Pferdezucht», so Guy Juillard. Gemeinsam mit seiner Frau Chantal, Sohn Xavier und Schwiegertochter Carola führt er hier die Élevage du Clos Virat.
«Wir leben von und für die Freibergerzucht.»
Bis zu 130 Pferde leben auf dem Hof: zwischen acht bis zehn Zuchtstuten, einige Junghengste, die auf die nationale Hengstselektion in Glovelier (JU) vorbereitet werden, Zuchthengst Hannael sowie jeweils rund 25 Jährlinge, zweijährige und dreijährige Freiberger. Dazu kommen einige Pensionspferde. «Wir leben von und für die Freiberger-Zucht», sagt Guy Juillard nicht ohne Stolz. So richtig losgelegt mit der Pferdezucht haben die Juillards 1999. Dann haben nämlich Guy und Chantal den bisher eher auf Kühe, denn auf Pferde ausgerichteten Betrieb von den Eltern übernommen. Die rund 30 Mutterkühe und 40 Aufzuchtrinder sind erhalten geblieben, der Pferdebestand hingegen wurde stark erweitert.
[IMG 2]
Von der Familie für die Familie
Die Freiberger-Zucht ist in Damvant Familiensache, eine «Travaille d’équipe». Zu den eigenen Fohlen kaufen die Juillards jedes Jahr einige vielversprechende Jungtiere von anderen Züchtern dazu, die sie dann bei sich aufziehen und ausbilden. Der Pferdeerwerb ist die Aufgabe von Guy und Xavier. Die beiden Männer kümmern sich zudem um den Futteranbau und die Angewöhnung der dreijährigen Pferde an die Kutsche. Die Frauen übernehmen die Basisausbildung ihrer jungen Freiberger unter dem Sattel. Während Chantal zudem einigen Kindern und Erwachsenen aus der Umgebung Reitunterricht erteilt, stellt die ausgebildete Bereiterin Carola die vielversprechendsten Pferde an Turnieren vor.
«Von der Geburt bis zum Verkauf eines solide ausgebildeten Jungpferdes – bei uns läuft alles auf dem Hof ab», erklärt die quirlige Chantal Juillard. Auf eine solide Ausbildung legt die Züchterfamilie besonders grossen Wert. Denn wenn nur eines von 100 verkauften Pferden bei seinen neuen Besitzern querschlägt, macht das sofort die Runde. Das haben die erfahrenen Züchter schnell gelernt. Ende Jahr sollten jeweils alle Dreijährigen verkauft sein, damit im Stall wieder Platz für die nächste Fohlengeneration frei ist. 2022 sei ein speziell gutes Verkaufsjahr gewesen, 2023 etwas weniger.
[IMG 3]
Wer sind die Käufer der Freibergerpferde aus dem äussersten Winkel der Schweiz? «Unsere Kunden kommen etwa zu gleichen Teilen aus der Schweiz, aus Deutschland und aus Frankreich, neu sind Belgier als Interessenten dazugekommen», so Chantal Juillard. Sie hätten sogar schon sechs Freiberger miteinander nach Schweden verkauft. Viele Franzosen kämen gerne in die Schweiz, um Pferde zu erwerben. Denn in ihren Augen sind die Schweizer vertrauensvolle Züchter, die nur gute Pferde verkaufen. Das Image der ausgezeichneten Schweizer Qualität hat sich also von den Uhren bis auf die Freibergerpferde ausgeweitet. «Kürzlich haben wir zwei Pferde an eine Gemeinde im Elsass verkauft, wo sie als Polizeipferde und zur Abfallentsorgung eingesetzt werden – eine bessere Werbung für das vielseitige Freibergerpferd kann man sich nicht wünschen.» Ab und zu würde sie auch ein junges Pferd gezielt für die Reittherapie ausbilden, sagt Chantal Juillard.
Eine Frau um die 50, die zuvor einen temperamentvollen Spanier besass und sich nun ein ausgeglichenes Pferd für unbeschwerte Ausritte wünscht, so beschreiben die Juillards ihre typische Kundin. Freiberger sind die idealen Familienpferde. Sie sind unkompliziert, ausgeglichen und vielseitig. Anders als die sportlichen Warmblüter, die regelmässig gearbeitet werden müssen, damit sie nicht ungestüm werden, verträgt ein Freiberger gut ab und zu eine Pause. Auch als Reitschulpferde sind Freiberger gut geeignet, da sie einem ungeübten Reiter Fehler verzeihen und nicht gleich hektisch werden. «Ich finde, dass in jede Schweizer Reitschule mindestens ein Freiberger gehört, als Schulpferde müssten sie noch viel verbreiteter sein», so die Züchterin.
Wirbel um Weissanteil
Allem voran stellen die Juillard die Gesundheit und den Charakter ihrer Pferde – erst danach kommen Schönheit und Leistung. «Ich muss aber schon zugeben, dass ich es toll finde, wenn vor mir an der Kutsche ein gang-gewaltiges Pferd richtiggehend über die Wiese fliegt», sagt Guy Juillard schmunzelnd. Einig sind sich die beiden Eheleute in Bezug auf das Äussere: Ein gutes Pferd hat keine bestimmte Farbe. Ob etwas mehr oder weniger weisse Abzeichen an den Beinen und am Kopf zu sehen sind, spielt für die Züchter eigentlich keine grosse Rolle. Aber natürlich halten sie sich an die diesbezüglichen Vorgaben des Zuchtverbandes, auch wenn sich Freiberger mit viel Weissanteil hervorragend verkaufen liessen.
[IMG 4]
In den Zuchtrichtlinien spielen die weissen Abzeichen eine wichtige Rolle und sind nicht verhandelbar. In einer separaten «Weisung der weissen Abzeichen» ist genaustens festgehalten, wie viel oder eben wie wenig Weiss bei einem Freiberger erwünscht ist. Dort ist zu lesen, dass die weissen Abzeichen am Kopf die Augenbogenlinie nicht überschreiten dürfen, weisse Abzeichen an den Gliedmassen nur bis unter die Falte des Vorderknies respektive Sprunggelenks akzeptiert werden und auf dem Körper nur zugelassen sind, wenn sie keinen genetischen Ursprung haben. Pferde, die diese Vorschriften in puncto weisse Abzeichen überschreiten, sind nicht zur Zucht zugelassen.
Wie viel Fremdblut darf es sein?
Ein weiteres heisses Eisen, an dem sich ein Freibergerzüchter die Finger verbrennen kann, ist die Diskussion um den Fremdblutanteil. Um zu deren Ursprung zu gelangen, muss in der Geschichte der Freiberger-Zucht etwas zurückgeblickt werden. Nach langen Bemühungen der Vereinheitlichung etablierte sich vor rund 130 Jahren im Jura der Freiberger als leichtes Kutschpferd, das auch in der Landwirtschaft gute Dienste tat. Als Gründerhengst wird der 1891 geborene Vaillant angesehen. Nach dem Zweiten Weltkrieg wurden Pferde aber aufgrund der Motorisierung und Technisierung als Arbeitstier immer obsoleter. In dieser Zeit beschloss man, den Freiberger künftig als Freizeitpferd zu züchten. Um ein leichteres Reitpferd zu erhalten, wurden zur Veredlung Warmbluthengste und sogar Vollblutaraber eingekreuzt. Dieser Einsatz von Warmbluthengsten rief die Freunde der Freiberger im Originaltypus auf den Plan. Die Interessensgemeinschaft zur Erhaltung des Originalfreiberger Pferdes (IG OFM) definiert den Originalfreiberger folgendermassen: «Die Bezeichnung Original Freiberger Pferd darf ein Freiberger Pferd tragen, wenn sein Fremdblutanteil zwei Prozent nicht übersteigt. Dabei gelten als Fremdhengste alle Warm- und Vollbluthengste, die ab 1950 in der Freiberger-Zucht eingesetzt wurden.» Heute gebräuchlicher ist allerdings die Bezeichnung Basisfreiberger. Mit der Beschränkung der Fremdblutzugabe soll der heutige Freiberger auf den vor 1950 vorhandenen, eher schweren Freiberger-Typ zurückgeführt werden.
«Allen Linien können tolle Freiberger entstammen, wichtig ist eine gute Stute.»
Noch drastischer der Erhaltung des alten Schlages, des sogenannten Ur-Freibergers, hat sich der Eidgenössische Verband des reinrassigen Freibergerpferdes (RRFB) verschrieben. Der Verband kämpft um den Erhalt der Urgenetik der Freiberger-Rasse, akzeptiert nur Pferde mit null Prozent Fremdblutanteil und hat sich zur Durchsetzung dieses Zuchtziels vom Freibergerzuchtverband losgelöst. Es werden eigene Zuchtprüfungen durchgeführt, eigene Papiere ausgestellt und nur sogenannte Nullerhengste zugelassen. Vom Bundesamt für Landwirtschaft wurde der RRFB bisher noch nicht als eigenständige Zuchtorganisation anerkannt.
Guy Juillard betont, keine Einwände gegen diese Zuchtbemühungen hin zum Originaltyp zu haben. «Wir machen uns allerdings eine etwas andere Vorstellung vom Exterieur und bevorzugen leichter gebaute Freiberger.» Sie würden ihre vorgesehenen Anpaarungen immer mit dem digitalen Zuchtprogramm, dem sogenannten Virtuellen Fohlen, auf den Inzuchtgrad überprüfen, sagt Chantal Juillard. Seit 1998 ist das Herdebuch der Freiberger-Rasse geschlossen. Durch den somit fehlenden Eingang von fremder Genetik nimmt die Wahrscheinlichkeit von Anpaarungen miteinander verwandter Tiere zu. Mit dem Programm des «poulain virtuell» können Züchter sich die Frage beantworten lassen, welche Anpaarung unter dem Gesichtspunkt der möglichst geringen Verwandtschaft und einem möglichst grossen Zuchtfortschritt am günstigsten ist.
[IMG 5]
Dass gewisse Zuchtlinien mehr bevorzugt werden und andere verschwinden, kann aber auch so nicht verhindert werden. Pferde aus der N-Linie seien weitaus am beliebtesten, da sie dafür bekannt sind, modern, sportlich, bewegungsstark und gross zu sein. Freiberger aus der Q-Linie hätte er in der Ausbildung als eher schwierig und nervig erlebt, sagt Juillard. Deshalb sei dies auch eine Linie, die immer seltener werde. Der erfahrene Züchter betont jedoch: «Aus allen Linien können tolle Freiberger entstammen, das Wichtigste ist, immer auf eine charakterlich gute Stute zu setzen.» Das Fohlen übernimmt nämlich viele Eigenschaften, die es bei seiner Mutter sieht. Würde diese beispielsweise immer aufgeregt nach den anderen Pferden wiehern, wachse an ihrer Seite fast sicher ein kleiner Schreihals heran. Und so zeigt sich, um hervorragende Freibergerpferde heranzuziehen, braucht es nicht nur das ideale Weideland, sondern auch ganz viel Erfahrung und Pferdekenntnis. Dass in den vergangenen 30 Jahren bereits 40 Freibergerhengste aus der Zucht du Clos Virat als Deckhengste gekört wurden, spricht für sich.
Schmökerecke
Véronique Curchod und Sandra Culand: «Augenblicke. Das Freibergerpferd», 239 Seiten, zahlreiche Farb-fotos, Editions Equus caballus.
Urs Weiss und Fritz Heinze: «Der Freiberger, das Schweizer Pferd», 132 Seiten, zahlreiche Fotos, Eigenverlag.
Jean-Pierre Graber: «Das unglaubliche Schicksal von Max», 160 Seiten, zahlreiche Fotos, Eigenverlag.
Thomas Frei: «Das Kloster Einsiedeln und seine Pferde», 79 Seiten, zahlreiche historische Abbildungen, Schwyzer Hefte, Band 103.
Schweizer Pferderassen
Erlenbacher
Bis ins 19. Jahrhunderts, bevor sich der Rassenbegriff etablierte, wurden Pferde nach ihrer Herkunft benannt. Es gab Seeländer, Pruntruter oder Erlenbacher Pferde. 1476 erhielten die Einwohner des Simmentals 100 Hengste als Kriegsbeute. Daraus entstand eine widerstandsfähige Rasse, die in alle Welt verkauft wurde, benannt nach ihrem Marktort Erlenbach. Der Erlenbacher war ein Halbblut, gut zum Reiten und zum Ziehen geeignet. Um 1780 zählte allein Erlenbach 22 Hengstzüchter. Der Niedergang der Erlenbacher Zucht begann 1812, als Napoleon 10 000 Erlenbacher Pferde für seinen Russlandfeldzug kaufte, wo sie elendiglich zu Grunde gingen.
[IMG 6]
Einsiedler
Im Marstall des Klosters Einsiedeln, dem ältesten Gestüt Europas, werden seit über 1000 Jahren Einsiedlerpferde gezüchtet, die «Cavalli della Madonna». Es sind drei Stutenlinien, auf denen die Einsiedler-Zucht begründet. Die Klima-Linie, die Quarta-Linie und die Sella-Linie. Als eigene Rasse dürfen die Einsiedler jedoch nicht bezeichnet werden, wie eine genetische Untersuchung aus dem Jahr 2004 offenbarte. Sie stellen vielmehr einen Schlag innerhalb der Rasse des Schweizer Warmblutes dar.
Schweizer Warmblut
Ab 1960 nahm in der Schweiz das Interesse für die Zucht eines athletischen Reit- und Sportpferdes zu. Zahlreiche Warmbluthengste wurden aus Frankreich, Deutschland und Schweden importiert und mit einheimischen oder importierten Stuten angepaart. Ziel war und ist es noch heute, ein Sportpferd zu züchten, das in den Disziplinen Dressur, Springen, Vielseitigkeit und Fahren auf hohem Niveau gute Leistungen erbringt. Der grösste Teil der Warmblutpferde findet Einsatz im Springsport.
[IMG 7]
Burgdorfer
Beim Burgdorfer handelt es sich um ein mittelschweres Kaltblut, das durch die Kreuzung von Ardenner- mit Freibergerpferden entsteht. Burgdorfer werden weniger als Reit-, sondern als Fahr- oder Arbeitspferde eingesetzt. Ihren Ursprung haben sie in Burgdorf (BE). Der Beginn der Zucht reicht zurück zum Ende des Ersten Weltkrieges. Die Rasse war in den 1960er-Jahren ausgestorben. Seit rund drei Jahren ist es wieder möglich, Burgdorferstuten mit Burgdorferhengsten zu decken. Rund 60 Burgdorfer leben in der Schweiz.
Freiberger
Der Freiberger, kurz FM für Franches Montagnes genannt, wird als einzige erhaltene Pferderasse mit Ursprung in der Schweiz verstanden. Die alte Rasse gilt als letzter Vertreter des leichten Zugpferdes in Westeuropa. Ihre Wiege liegt in den Freibergen im Jura. Dort wurde der Freiberger ursprünglich als kräftiges Arbeitspferd gezüchtet. Dank seinem ruhigen Charakter und der Genügsamkeit erfuhr er mit dem Aufkommen der Freizeitgesellschaft als vielseitig einsetzbares Familienpferd grossen Aufschwung. Um die Reiteignung des Freibergers zu verbessern, wurden nach 1965 mehrere Halbbluthengste eingekreuzt, so ist ein leichterer Typ entstanden.
Bitte loggen Sie sich ein, um die Kommentarfunktion zu nutzen.
Falls Sie noch kein Agrarmedien-Login besitzen:
Jetzt registrieren