Der Blick bleibt an ihnen haften. Und wird erwidert. 14 Kühe mit einem Stier heben ihre Köpfe, schauen und trotten langsam herbei, um Wanderer zu begutachten. Die Tiere mit ihrenharmonisch geschwungenen und ausladenden Hörnern sind eine Augenweide. Sie wirken stolz, erhaben und ruhig.

«Sie möchten gerne auf eine neue Weide», sagt ein Mann mit Schnauz, Cowboy-Hut, blauen Jeans und braunen Stiefeln. Auf der Gurtschnalle prangt der Kopf eines Texas-Longhorn-Rindes. Er steht auf der Veranda des Big Horn Saloon, einer Bretterbude mit Kuh-Schädel an der Aussenwand. Sein grosser, schwarzer Amerikaner-Pickup gleich daneben.

Die Szene spielt nicht irgendwo in Texas. Die Weiden sind grün und hügelig, nicht gelblich und flach, und das Auto hat ein CH-Nummernschild, keines aus den USA. Im Eigenried oberhalb des Baselländer Dorfes Buus aber scheint sich eine Enklave des nordamerikanischen Südstaates zu befinden. Der Eindruck entsteht auf den ersten Blick wegen der bemerkenswerten Texas Longhorn. Dass es diese besondere Kuhrasse in Europa überhaupt gibt, ist Urs Weiss und seiner Frau Daniela zu verdanken.

Neuland für Europa

Alles begann mit einer Agrarreise der BauernZeitung nach Texas. «Ich hatte den Hof auf Mutterkuhhaltung umgestellt, mein Vater konnte ihn somit währendunserer Abwesenheit bewirtschaften», erinnert sich Urs Weiss. Er war 24 Jahre alt, als er den Zwölf-Hektaren-Milchbetrieb von seinen Eltern übernahm. Das junge Paar tauchte schliesslich in die Welt vonTexas im Südosten ein und besichtigte einen Viehslot mit 20 000 Angus-Rindern, die von sechs bis neunberittenen Cowboys betreut wurden. «Das war fürdortige Verhältnisse ein kleiner Betrieb», sagt Urs Weiss. Die Kühe seien auf riesigen Flächen mit kärglichem Wuchs von den Cowboys zusammengehalten worden. Auf dieser Reise sah das Paar erstmals Texas Longhorn.

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Die beiden kehrten voller Wehmut zurück. «DerLebensstil in Texas fasziniert mich», sagt Urs Weiss. Dort möge der eine dem anderen etwas gönnen, es sei ein hartes Leben in rauer Welt. Doch: Auswandern kam nicht in Frage. Darum holten Urs und Daniela Weiss Texas nach Buus im Baselland. Das Urrind mit eindrücklichen Hörnern wurde zu ihrem Traum. Sie wollten die Rasse auf ihrem Hof – und stellten fest, dass es sie in Europa nirgendwo gab.

«Wir fanden in Dänemark einen Händler, derEmbryonen importierte.» Zwei Holstein-Kühe seien damit belegt worden, erzählt Urs Weiss. «Wir wussten überhaupt nicht, worauf wir uns da einliessen», sagt der Schweizer Texas-Freund rückblickend.

Am 11. November 2004 wurde Lady und am25. Dezember Stier King Noel geboren. Die ersten Texas Longhorn in der Schweiz. Das Interesse an den sehr besonderen Kühen sei so gross gewesen, dass sie die Swiss Texas Longhorn Association gründeten. Das Paar importierte weitere Embryonen aus einer bekannten Zucht und baute mit Kollegen verschiedene Zucht-linien auf. Schliesslich führten die Pioniere 32 Longhorn lebend per Flugzeug aus Kanada ein. Als die Kühe mit langen Hörnern nach langem Prozedere auf der Anhöhe oberhalb von Buus weideten, war die Freude umso grösser. Der Weg vom Milchbetrieb mit Kreuzungen zwischen Simmentaler und Holsteiner Kühen über die Mutterkuhhaltung mit einer Angus-Herde bis zum Texas Longhorn gelang dank enormer Ausdauer und Hartnäckigkeit.

Sprache der Kuh verstehen

Als Präsident der Swiss Texas Longhorn Association ist Urs Weiss europaweit mit Longhorn-Züchtern vernetzt. In der Schweiz gebe es mittlerweile über 100 Tiere, europaweit über 400. Den texanischen Lebensstil mit Ambiente, Auto und Countrymusik würden aber lange nicht mehr alle Longhorn-Züchter führen, erzählt Urs Weiss. Er sitzt in seinem Saloon, den er und seine Frau nach Bildern und Szenen in alten Filmen eingerichtet haben. Alter Radio, ein Klavier, Bilder, die Lampen und Vorhänge, alles passt. Und wer auf die Veranda tritt und die Longhorn sieht, wähnt sich endgültig in Texas. «Dieses Gebäude haben wir erst kürzlich gekauft und hier wieder aufgebaut», sagt Urs Weiss. Wenn ihrebeiden Kinder und Grosskinder da seien, fänden sie da alle Platz, zudem würden sie den Saloon vermieten, fügt Daniela Weiss an. Am 1. Mai allerdings, dem grossen Tag auf der Texas Longhorn Ranch, reicht das Western-Gebäude längst nicht mehr. «Darichte ich den Laufstall her, darin finden dann 300 Leute Platz», erzählt Urs Weiss über das jährliche Ranchfest, das zu einem Begriff bei Texas-Freunden geworden ist.

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Western Style gibt es vielleicht auch sonst wo, aber nicht die Longhorn. Sie sind die Haupt-akteure. Und auch im Winter sind sie draussen und haben dann freien Zugang zu einem Aussen-klima-Laufstall mit Tiefstreu. «Die langen Hörner bereiten überhaupt keine Probleme, ich habe am Stall gar nichts abgeändert.» Sie lägen alle beisammen in der gleichen Ecke. Es habe noch nie gravierende Verletzungen durch die Hörner gegeben, sagt Urs Weiss. «Die Kuh gibt Zeichen mit ihren Hörnern. Diese Sprache muss man kennen.» Die Hörner seien bis fast zur äussersten Spitze durchblutet. Die Kühe würden auch Äste mit den Hörnern abknicken. Dünne Stämme würden sie damit biegen, um an das Laub zu gelangen.

«Normalerweise gibt es pro Jahr und Kuh ein Kalb», sagt Urs Weiss, während er und seine Frau in einer Weide mit Kirschbäumen dem Muni Hans die Hände entgegenstrecken. Das mächtige Tier schnuppert daran. Urs und Daniela Weiss verkaufen Zuchttiere und schlachten um die zwölf Rinder jährlich. Das Fleisch verkaufen sie direkt ab Hof im Saloon und auf Märkten, beispielsweise jeden Samstag und Freitagvormittag in Sissach und Gelterkinden. Das Fleisch habe einen höheren Proteinanteil als anderes Rindfleisch. Es beinhalte weniger Kalorien, Cholesterin und Fett als Schweine-, Hühner- oder Trutenfleisch.

Jedes Tier hat seinen Namen und ist individuellgefleckt. Das Fell ist kurz. «Den Stier King hatten wir 17 Jahre lang, auch Kühe werden so alt», sagt Daniela Weiss. Manchmal nimmt Urs eines seiner drei Pferde und treibt seine Longhorn zusammen. Wie ein richtiger Cowboy eben. Dass seine Kühe umgänglich sind, zeigt auch die Tatsache, dass die Bardigiano-Pferde im Winter mit ihnen im Stall und auf den angrenzenden Weiden leben.

Es sei nicht falsch gewesen, die Longhorn hier zu etablieren, sinniert Urs Weiss. «Wenn es im Sommer wochenlang nicht regnet und die Felder karg und gelblich werden, rufen und reklamieren unsere Tiere nicht wie die anderen Kühe.» Auch in diesem Sommer gab es solche Phasen. Texas in Buus.

«Wer auf die Veranda tritt und die Kühe sieht, wähnt sich endgültig in Texas.»

Die Mutterkühe auf der Texas Longhorn Ranch in Buus bringen ihre Kälber auf der Weide zur Welt. Im Sommer fressen sie Gras, im Winter erhalten sie eigenes Heu, Grassilage und Getreide, ergänzt mit Mineral- und Viehsalz. Das Fleisch ist zart und aromatisch.

Texas LonghornBei den Texas Longhorn handelt es sich um eine iberische Rinderrasse mit wenig Genen indischer Tiere, dies vermutlich wegen des Genflusses über die Strasse von Gibraltar. Als gegen Ende des 17. Jahrhunderts die Spanier das heutige Texas erreichten, liessen sie mitgebrachte Rinder frei. So entwickelten die Nachkommen dieser Rinder eine hohe Futter- und Trockentoleranz. Die Longhorn starben fast aus, ein gutes Dutzend reinrassige Tiere überlebte. Der Bestand konnte wieder etabliert werden, in Texas und Europa, wobei die Schweiz da mit der Texas Longhorn Ranch in Buus (BL) eine ganz besondere Rolle spielt.