Als Francesca Balmelli im Halbdunkel unter Blättern auf den leuchtend grünen Grossen Madagaskar-Taggecko zeigt, ist ihr die Aufmerksamkeit der Kinder sicher.

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Alle Augen sind auf die Echse gerichtet, die auf einem waagrechten Ast liegt. «Der Gecko hat an den Zehen so etwas wie Haftpolster», erklärt die Zoopädagogin. «So kann er sich auch an glatten, senkrechten Flächen festhalten. Wenn ihr genau schaut, könnt ihr die Lamellen sogar erkennen.» Staunen, schon schnellen die ersten Arme in die Höhe. Die Kinder wollen mehr wissen. Kein Problem für Francesca Balmelli. Sie weiss die Antwort auf jede Frage, mahnt liebevoll, nicht zu nahe an den Gecko zu drängen, und hat den Zeitplan im Griff.

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Francesca Balmelli ist seit 19 Jahren im Zoo Zürich als Zoopädagogin tätig, also fast so lange wie der Zürcher Masoala-Regenwald alt ist. Die Tessinerin studierte Zoologie und Geobotanik. Nach Praktika und anderen beruflichen Erfahrungen fühlte sie sich von einer Ausschreibung des Zoos angesprochen, durchlief eine interne Ausbildung. Seither veranstaltet sie Workshops wie an diesem Nachmittag im Juni oder macht Führungen für Gruppen in unterschiedlichen Bereichen des Zoos.

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Auch die Weiterbildung von Lehrpersonen und Begabtenförderungskurse im Zoo gehören zu ihrem Tätigkeitsbereich. Sie begeistert die Kinder der dritten und vierten Klasse aus dem Kanton Thurgau sofort. Schon kurz nach der Begrüssung sagt sie geheimnisvoll: «Wir werden gemeinsam nach Madagaskar verreisen.» Und schiebt nach: «Dabei lernen wir ganz viele Pflanzen und Tiere kennen und ganz wichtig: Wir werden lernen, was wir machen können, um Tiere zu schützen, jeder von uns, inklusive mir.»

Pantherchamäleons unter Bananenstauden

Zuerst zeigt Francesca Balmelli an einer Karte, wo die Insel Madagaskar liegt und wo sich die Halbinsel Masoala befindet. «Der Zoo Zürich ist eine Partnerschaft mit dieser Region eingegangen. Mit welchem Ziel?», fragt sie. Die Antwort eines Buben kommt rasch: «Artenschutz.» Die Kinder an diesem Nachmittag wissen viel. Sie lernen, was ein Nationalpark ist, und erfahren von der grossen Bedrohung des natürlichen Lebensraums. Madagaskar sei einzigartig, weil viele Tier- und Pflanzenarten nur dort lebten. Darauf fragt ein Schüler: «Warum vergrössert ihr die Halle denn nicht?» Balmelli will wissen, warum der Zoo das machen sollte. «Um mehr Tiere und Pflanzen zuschützen», meint der Junge. «Die Tiere und Pflanzen stellen zwar eine Zuchtreserve dar, aber ihre Rolle als Botschafter für ihre bedrohten Artgenossen ist ebenso wichtig», erklärt Balmelli und fährt fort: «Der Zoo setzt sich vor Ort auf Masoala für den Schutz des Regenwaldes ein und bezieht die Menschen dort mit ein.»

Neugierig strömen die Kinder hinter Balmelli in die feucht-heisse Tropenluft. Kaum in der Halle will ein Mädchen wissen: «Was ist das für eine Pflanze?» Das sei eine Medinilla, antwortet Balmelli. «Da, ein Chamäleon!», ruft ein Mädchen.

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Gelegenheit für die Zoopädagogin, auf die Farbwechsel dieser Reptilien einzugehen. Francesca Balmelli kann nicht wie in einem Hörsaal ein vorbereitetes Referat dozieren. Im Masoala-Regenwald des Zoos Zürich ergeben sich stets neue Situationen. Plötzlich hangelt sich ein Roter Vari durchs Geäst, um bald danach wieder im Grün zu verschwinden. Der Lemur wird fälschlicherweise von einem Kind als Kleiner Panda identifiziert. So erklärt Francesca Balmelli rasch die Unterschiede. «Ein Bananenbaum!», ruft ein Mädchen. «Genau», bestätigt Balmelli und ergänzt, dass es sich eigentlich um eine Staude handle, nicht um einen Baum.

«Eine Zoopädagogin muss auch Menschenkenntnisse haben.»

Die Zoopädagogin weist auf eine dezente Blüte am Stamm eines Kakaobaums hin, zaubert eine Kakaofrucht aus ihrer Tasche und sagt: «Der Zoo hilft den Leuten auf Masoala, Kakao anzubauen, und zwar zwischen den bestehenden Regenwaldbäumen.» Sie schüttet aus einem Glas Kakaonibs auf die ausgestreckten Kinderhände. Kritisch testen sie es. Ohne Zucker erinnert es nur wenig an unsere Schokolade.

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Das Interesse der Kinder ist ungebrochen. Francesca Balmelli vermittelt Wissen und verbindet es mit Erlebnissen. Die Menschenfreundin motiviert die Kinder, ist ihrem Publikum und ihrer Umwelt gegenüber äusserst aufmerksam.

«36 Grad ischs hie obe!», ruft ein Junge, als er vor der Treppe zum Turmaufstieg die Temperaturangabe liest. Die erhofften bedrohten Flughunde sieht Francesca Balmelli dann im Kronendach nicht, doch weist sie auf einen Bienenfresser hin, der im Astwerk sitzt. Beim Ausgang nehmen alle von Tierpflegern bereitgestellte Blätter des Madagassischen Kardamoms mit. «Die brauchen wir, um unser Zvieri zuzubereiten», meint sie und weckt mit dieser Bemerkung bereits wieder Spannung.

Reis zermörsern

Spätestens beim Ausgang durch den Zooshop zeigt sich, dass Balmelli wirklich auf alles vorbereitet ist. Die fast lebensgrossen Plüschgiraffen beeindrucken. «Werden sie auch verkauft?», will ein Mädchen wissen. «Ja, ich habe mal im Shop gefragt, und es wurde mir gesagt, dass bis zu drei solcher Giraffen jährlich verkauft werden», sagt sie.

Nach einer Pause heisst Francesca Balmelli die Kinder in einem Klassenzimmer willkommen. Gemeinsam stellen sie nun das Pain malagasy her. «Ein Brot aus Reis, Bananen und Zimt, das in Madagaskar an allen Ecken verkauft wird», erklärt die Zoopädagogin. Die Kinder zermörsern den eingeweichten Reis und die Zimtstängel, schneiden Schnurstücke zu, waschen die Kardamom-Blätter. Haptische Erlebnisse, verbunden mit viel Wissen.

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Francesca Balmelli arbeitet wie alle 65 anderen Zoopädagoginnen und Zooführer auf Stundenbasis und führt hauptsächlich in Deutsch, aber auch in den Sprachen Französisch und Italienisch durch den Zoo. «Das flexible Arbeitspensum kam mir entgegen, als meine drei Kinder klein waren», sagt sie. Nicht alle Teilnehmer seien gleich interessiert, wüssten gleich viel, dem passe sie sich an. Gäste eines Firmenausflugs in den Zoo hätten andere Fragen und Interessen als Mitglieder eines Vereins. Klar nach diesem Nachmittag ist: Eine Zoopädagogin muss nicht nur ganz viel über Tiere, Pflanzen, den Zoo, Natur- und Artenschutz wissen, sie muss besonders auch Menschenkenntnisse und die Fähigkeit haben, Naturzusammenhänge spannend zu vermitteln.

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Doris Kyburz, Leiterin der Zooführerinnen und-führer – so werden im Zoo Zürich auch die Zoopädagogen genannt –, erklärt: «Wir haben mit der Lewa-Savanne, den Elefanten, Masoala und dem oberen Zooteil Schwerpunkte und gehen auf die Wünsche der Schulklassen und Gruppen ein.» Organisatorisch sei die Zoopädagogik unter dem Dach Bildung untergebracht. Dazu gehörten die Bereiche Beschriftungen, Schulservice und das Freiwilligenteam. Zoopädagogen arbeiten in allen Bereichen, werden regelmässig weitergebildet und müssen über die Entwicklungsziele des Zoos Bescheid wissen. «Heute Abend haben wir intern einen Weiterbildungskurs zu Europäischen Erhaltungszuchtprogrammen», sagt Kyburz.

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Die Kinder haben die letzten Reste des in Kardamom-Blättern gekochten madagassischen Brotes weggeschleckt. Francesca Balmelli hat den Zoo für sie zum Klassenzimmer verwandelt. So abwechslungsreich kann Schule sein – wenn sie mit einer Zoopädagogin stattfindet.

 

Wie wird man Zoopädagogin?
• Zoopädagogin ist keine geschützte Berufsbezeichnung
• Kein direkter Weg zum Posten, interne Schulung und stete Weiterbildungen
• Qualifikationen: Entweder naturwissenschaftliches Studium oder pädagogische Ausbildung (je nach Zoo)
• Weitere Voraussetzungen: Kommunikativ, gerne mit Menschen arbeiten, rhetorische und sprachliche Begabung, Fähigkeiten, Kinder und Erwachsene zu begeistern, praktische Begabungen bei der Durchführung von Workshops