Uteriner Kannibalismus

Bei manchen Geschwistern fängt der Konkurrenzkampf bereits im Mutterleib an. Diese besondere Form des Kannibalismus, bei der sich ungeborene Jungtiere fressen, ist unter anderem bei den Sandtigerhaien bekannt. In den beiden Gebärmuttern des Weibchens wachsen bis zu 40 befruchtete Eier heran. Die beiden erstgeschlüpften Tiere, die noch im Mutterleib zur Welt kommen, haben bereits scharfe Zähne. Ist ihr Dottervorrat aufgebraucht, fallen die kleinen Räuber über die restlichen Embryonen her. Als Resultat kommen sie, da sie nicht in Konkurrenz mit ihren Geschwistern stehen und vor der Geburt reichlich Nahrung zu sich nehmen, mit einer Grösse von einem Meter auf die Welt. Damit haben die jungen Haie bessere Überlebenschancen.

Matriphagie

Mütter sind fürsorglich und aufopfernd. Manche von ihnen geben ihr eigenes Leben, um die Zukunft ihres Nachwuchses zu sichern. Die Matriphagie, bei der Jungtiere ihre Mutter fressen, ist vor allem bei Spinnen und Tausendfüssern bekannt. Die Weibchen der bei uns heimischen Keller- und Fensterspinne sterben einige Tage nach dem Schlupf ihres Nachwuchses, ihr toter Körper dient ihm als Nahrung. Dadurch wird sichergestellt, dass die Jungspinnen ausreichend versorgt werden und möglichst viele von ihnen überleben. Auch die in Südamerika lebende und zu den Amphibien zählende Ringelwühle betreibt eine seltsame Brutpflege. Die geschlüpften Jungtiere ernähren sich in den ersten Monaten von der nährstoffreichen Haut ihrer Mutter, ohne, dass sie dabei ums Leben kommt.

[IMG 2]

Kainismus

Laut der biblischen Erzählung ermordete Kain seinen jüngeren Bruder Abel aus Neid. Daher stammt der Begriff Kainismus – eine Form des Kannibalismus bei Vögeln, bei denen ältere Tiere ihr jüngeres Geschwister töten und fressen. In der Regel tritt der Kainismus nur bei Fleischfressern und Prädatoren auf, die wenige Eier zeitversetzt legen. Biologen unterscheiden zwischen dem fakultativen und dem obligaten Kainismus. Bei Ersterem, den man von Schleiereulen kennt, wird das letztgeschlüpfte und somit kleinste Geschwister von den älteren Jungtieren nur getötet und verspeist, wenn akuter Nahrungsmangel herrscht. Beim obligaten Kainismus, wie ihn der Bartgeier betreibt, ist der Kannibalismus als Verhaltensweise angeboren. In der Regel frisst das grössere Jungtier das kleinere, auch wenn genug Nahrung zur Verfügung steht. Interessant ist, dass beide Jungtiere von den Eltern gegen Feinde verteidigt werden, der Geschwistermord von den Altvögeln aber geduldet wird.

[IMG 3]

Sexueller Kannibalismus

Der sexuell motivierte Kannibalismus, bei dem ein Männchen während oder nach der Paarung vom Weibchen gefressen wird, ist eine Besonderheit bei Gliederfüssern wie Insekten und Spinnen. In vielen Fällen profitiert das Weibchen von der Extramahlzeit. So fanden Forscher heraus, dass weibliche Tiere, die das Männchen fressen, oftmals eine grössere Zahl an Nachkommen zeugen können, die vitaler, fruchtbarer und langlebiger sind. Dennoch wollen sich nicht alle Männchen von ihrer Angebeteten verspeisen lassen. Insbesondere männliche Spinnen haben vielfältige Strategien entwickelt, um den gefrässigen Weibchen nach der Paarung zu entkommen. Manche Verehrer nähern sich erst, wenn die Auserwählte mit Fressen beschäftigt und somit abgelenkt ist. Männchen anderer Arten fesseln sie mit einem Spinnfaden oder katapultieren sich nach der Paarung so schnell wie möglich weg.

[IMG 4]

Kronismus

Bei dieser Form des Kannibalismus töten und fressen ausgewachsene Tiere ihre oder fremde Jungtiere. Der Name Kronismus leitet sich her aus der griechischen Sage von dem Titan Kronos, der Kinder verschlang. Nicht nur gewisse Reptilien, Fische und Wirbellose sind dafür bekannt, ihre eigenen Jungtiere zu fressen, auch Säugetiere zeigen dieses Verhalten. Bekannt ist der Infantizid bei Löwen und Bären. Männchen dieser Raubtiere töten Jungtiere, die nicht von ihnen selbst gezeugt wurden und fressen sie unter Umständen. Ziel der Kindestötung ist es, dass die Weibchen, die ihren Nachwuchs verlieren, schneller wieder paarungsbereit sind. Somit können die Männchen sichergehen, dass ihre eigenen Gene weitergegeben werden. Werden mehr Jungtiere geboren, als versorgt werden können, kann es dazu kommen, dass Mütter ihre eigenen Jungen fressen. Dies konnte unter anderem bei Mäusen, Störchen und Löwinnen beobachtet werden.

[IMG 5]