Flink wieselt aus dichtem Grün ein Zwergseidenäffchen auf eine Luftwurzel, tastet sich langsam vor und verharrt. Es scheint die letzten Sonnenstrahlen zu geniessen, welche aus dem Kronendach des Waldes die exponierte Wurzel erreichen. Sein Schwanz hängt wie ein Zweig herunter, das adrette Köpfchen beschienen vom Licht. Darunter entfaltet eine Tamarillo ihre hellgrünen, herzförmigen Blätter, daneben spriesst märchenhafter Blechnum-Farn, dazwischen bemooste Steine, irgendwo ein Plätschern. Nun gesellt sich ein zweites Zwergseidenäffchen dazu. Beide geniessen den Sonnenuntergang im südamerikanischen Regenwald – könnte man meinen. Doch die Szenerie spielt Anfang Februar im Berner Tierpark.

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Die kleinsten Vertreter der Affen leben in einem ihrem ursprünglichen Biotop nachempfundenen Lebensraum. Wie selbstverständlich nehmen Besuchende die Atmosphäre der Anlage auf. «Sie denken, es sei einfach so entstanden», sagt Jürg Hadorn lächelnd. Der Vizedirektor des Tierparks Bern ist auch für Bauprojekte zuständig. Fast jede Anlage und jedes Terrarium trägt die Handschrift des Feinmechanikers, der sich zum Tierpfleger weiterbildete und bis zum Leiter Projekte und Vizedirektor hocharbeitete.

Jürg Hadorn, die Brille im braun-grauen, zu einem Rossschwanz zusammengefassten Haar, gräulicher Bart und braune Augen, sieht nicht nur aus wie ein Philosophielehrer, sondern spricht auch so. Beispielsweise schwärmt er: «Das ganze Vivarium ist für mich wie ein Tier. Ich bin dermassen verwachsen damit, es hat so viel Energie!» Er lebe mit diesem Haus, kenne jeden Kubikzentimeter. «Wenn bei Abendanlässen plötzlich unsere frei lebenden Glasfröschchen ihr Konzert beginnen, werden die Leute ehrfürchtig vor dem Leben, blicken sich um und staunen.»

Die Vision einer Anlage

Er sei nun seit 30 Jahren im Tierpark tätig, doch es vergehe kein Tag, an dem er nicht etwas Neues lerne, sagt der passionierte Aquarianer und Terrarianer. Einst hatte er über 30 Aquarien mit Labyrinthfischen und Welsen und heute freut er sich zu Hause über ein Grossterrarium mit Pfeilgiftfröschen. «Die aquaristischen Bedürfnisse führten mich ins Dählhölzli», sagt der Tierkenner. Jürg Hadorn arbeitete in allen Abteilungen des Tierparks, bevor er Bauchef und Vizedirektorwurde. Er plane für Tiere vom Kleinterrarium bis zur Bärenanlage, sagt Hadorn.

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Er sei meist frei in der Planung, wie eine Anlage aussehen soll, erklärt er. So habe der ehemalige Tierparkdirektor Bernd Schildger beispielsweise entschieden, dass er Zwergseidenäffchen wolle. Hadorn entwickelte daraufhin die Anlage, die dem Lebensraum des Tiers entspricht. Als weiteres Beispiel führt Hadorn an, wie das grosse Aquarium entstand, das ein Korallenriff zeigt. «Am Anfang stand lediglich die Idee, ein zusammenhängendes Riff zu präsentieren.» Jürg Hadorn recherchierte und plante dann zusammen mit den Tierpflegerinnen und Tierpflegern das 40 000-Liter-Meerwasseraquarium. Meist entsteht eine Anlage aus einem guten Einfall eines Mitarbeitenden heraus, erzählt er. «Eine Tieranlage muss eine Geschichte und eine Vision beinhalten, es muss klare Gründe geben, warum ein Tier hier ist.» Bei der Entscheidung, welche Art überhaupt gehalten werde, stünden oft Aspekte des Artenschutzes im Vordergrund. «Wir wollen das Tier in seinem natürlichen Lebensraum zeigen», stellt Jürg Hadorn klar.

Afrika entsteht

Bei der Afrikaanlage etwa habe der Vogelpfleger die Idee gehabt, einen zusammenhängenden savannenartigen Lebensraum zu zeigen. Vorher hätten sich dort vier verschiedene Volieren mit unterschiedlichen Tierarten befunden. Die geringe Tiefe sei eine Herausforderung dieser Anlage gewesen. «Welche Gestaltung bringt den Tieren den notwendigen Sicherheitsabstand?», fragte sich Hadorn – und hatte den Einfall, vor dem Trenngitter zur Voliere mit Aaresteinen einen etwa 60 Zentimeter breiten, durch eine Scheibe einsehbaren Bodenabschnitt zu gestalten, in dem fortan Erntetermiten leben. «Dann baute ich ein Modell.»

«Das ganze Vivarium ist für mich wie ein Tier. Es hat so viel Energie!»

Auf nur einem Meter entstand so eine Abbildung der Savanne Afrikas. Dank dem Modell könne er die optische Wirkung einer Anlage einschätzen. Man dürfe nicht zu viel einfügen, müsse das Hauptthema einer Landschaft herausschälen, erzählt Jürg Hadorn. In der realen, ebenen afrikanischen Savanne ragen inselartig riesige Granitfelsen mit runden Formen in die Höhe. Sie sind von Euphorbien, Aloe und Bogenhanf umwachsen. Genauso sieht es auch in der Afrikavoliere im Tierpark Bern aus.

Aufgrund von Reisen und Büchern würden Lebensräume naturgetreu gestaltet. So schweift Hadorns Blick auch während seiner Ferien prüfend in der Natur umher und sucht den perfekten Quadratmeter. Er schwärmt von einer inspirierenden Szenerie in den Cevennen in Frankreich: «Da ist ein Juniperus-Strauch, daneben gedeiht Rosmarin und in Steinen trotzen Sedum-Pflanzen der Trockenheit. Einige Gräser spriessen und am sandigen Boden vermischen sich Rindenbrösel mit dem Laub einer Steineiche.» Der Spezialist warnt allerdings davor, einen Lebensraumausschnitt zu fotografieren und anschliessend zu versuchen, ihn eins zu eins umzusetzen. Das sei eine Illusion. Beim Bau einer Anlage gebe es tausend Einschränkungen. Es müsse immer technisch machbar und umsetzbar sein.

Einrichtungs-Tippsfür private Tierhalter
Jürg Hadorn rät: «Wichtig ist, dass keine Miniaturen gebaut werden. Eine Voliere oder ein Terrarium wirken sonst wie eine Puppenstube. Nehmen wir als Beispiel ein Aquarium für ostafrikanische Buntbarsche. Da wirken drei grosse Steine naturgetreuer als Aufbauten mit kleinen Steinen und Wurzeln. Die Grössenverhältnisse stimmen, die Fische zeigen sich vor den Steinriesen, wie im Tanganjika- oder Malawisee. Ein anderes Beispiel sind die Pfeilgiftfröschchen aus Costa Rica. Sie rufen auf einer riesigen Brettwurzel. Das ist ihr Lebensraum, ihr Mikrohabitat. Die Riesenwurzel wirkt bestens als Ausschnitt in einem Terrarium. In der Gestaltung muss man grosszügig denken, sonst entsteht eine Ansammlung von 37 Dekogegenständen, die es so in der Natur nicht gibt. Das wäre eine Überinszenierung des Biotops.»

Der Standort einer Anlage – ob Terrarium, Voliere oder Aquarium – ist entscheidend. Es kommt darauf an, ob es viel natürliches Licht hat, ob es eher feucht ist, wie etwa in einem Keller, oder ob die Anlage viel Sonnenlicht ausgesetzt ist. Entsprechend müssen technische Hilfsmittel eingesetzt werden wie zusätzliche künstliche Beleuchtung. Zudem müssen die Temperatur- und die Luftfeuchtigkeitsverteilung in einer Anlage verschiedenartig sein, so wie in der Natur. Die Luftbewegung ist eine weitere wichtige Komponente. So muss man beachten, dass Frischluft durch ein feinmaschiges Gitter eintreten kann. Wenn die Anlage aus Glas besteht, veralgen sonst Pflanzen im unteren Bereich wegen der stehenden Luft. Dies kann verhindert werden, wenn beispielsweise in einem künstlichen Baumstamm ein Lüftungsschacht angebracht wird mit einem Ansauggitter unten. Luftzirkulation sorgt zudem dafür, dass Pflanzen weniger von Schädlingen befallen werden. In der Natur findet ein stetiger Luftaustausch statt.

Beton auf Styroporstruktur

Der Mut zur Reduktion auf wesentliche Gestaltungselemente ist entscheidend, damit die Savannenvoliere lebensecht wirkt. In der Afrikaanlage sind dies die Granitfelsenimitate, der leicht wellige Sand am Boden, einige halb dürre Gewächse vor der bläulich gefärbten Wand, die den Blick ins Weite führt. Auf der Besucherseite, ausserhalb des Gitters, zieht sich die gleiche Landschaft weiter, auch Pflanzen wie etwa der Bogenhanf wachsen dort. So löst sich die Abtrennung optisch auf und der Besucher hat den Eindruck, im Lebensraum zu stehen.

«Die Vorstellung, einen Lebensraum eins zu eins umzusetzen, ist eine Illusion.»

Die Granitfelsenimitate der Afrikaanlagebestünden aus Styropor, der mit glasfaserverstärktem Kunststoff und schliesslich mit Harz beschichtet worden sei. Darauf wurde Sand gestreut. Diese Kunstfelsen hätten nun 20 Jahre lang gehalten. Heute würde er Beton auf die Styroporstruktur auftragen. Das gebe mehr Masse. Tiere seien erdgebundene Geschöpfe und schätzen es, wenn Steine Wärme abstrahlen. Für die Bepflanzung könne er Spezialisten beiziehen. Er habe da ein schönes Beziehungsnetz. In den Anlagen gedeihen immer Pflanzen aus den Ursprungsgebieten der jeweiligen Tiere.

«Eine klassische Gestaltung in einer länglichen Anlage zieht sich von links unten nach rechts in die Höhe», erklärt der Profi und gibt auch gleich ein Beispiel: «Links befindet sich eine offene Landschaft, rechts läuft sie in ein Pflanzendickicht über.» Das zeige etwa den Lebensraum von der Savanne bis zum Galeriewald. Er gehe eine Gestaltung aber nicht akademisch an. «Ich richte mich oft nach meinem Bauchgefühl.»

Ästhetik und Technik vereinen

Licht ist Leben und Licht inszeniert eine Anlage. «Die Beleuchtung ist heute eine Riesenwissenschaft», sagt Jürg Hadorn, zurück von der Tour durch das Vivarium in seinem Büro. Hier trippelt ein grosser, schwarzer Käfer der Art Prionotheca coronata durch ein hell beleuchtetes Terrarium, fast so, als laufe er unter der Sonne Israels, nur um kurz darauf unter Kork zu verschwinden. Grundsätzlich arbeitet der Mitarbeiter des Tierparks bei der Grundbeleuchtung mit LED-Lampen. «Zwei Lichtwerte sind bei LED-Leuchten in der Tierhaltung relevant», streicht er heraus. Der CRI-Wert (Colour Rendering Index) betreffe die Farbwiedergabe, Kelvin die Farbtemperatur. Ein CRI-Wert von 95 und eine Kelvinanzahl von 6500 ähnle dem natürlichen Sonnenlicht. «Billige LED-Leuchten erreichen diese Werte nie.» Zudem seien in allen Innenanlagen Leuchtmittel angebracht, die ultraviolettes Licht und/oder Strahlungswärme abgeben.

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Der Boden einer Anlage bestehe meistens aus einer betonierten Wanne mit Ablauf und Drainageschicht. «Zum Bodenaufbau verwenden wir mineralisches Substrat, das gute Sauerstoffzufuhr im Wurzelbereich garantiert.» Eine Anlage muss eben nicht nur grossartig aussehen, sondern auch technisch einwandfrei funktionieren.

Die Zwergseidenäffchen haben nun genug künstliche Sonne unter der Lampe getankt. Sie klettern einen Baumstamm empor und verziehen sich ins Pflanzendickicht, verharren kurz, sodass nur noch eine Schwanzspitze herausschaut, bis auch sie ganz verschwindet. Wasser plätschert, die grünen Schattierungen der Pflanzen verschwimmen im Dämmerlicht. Ein weiterer Abend im amazonischen Tieflandregenwald im Tierpark Bern neigt sich dem Ende zu.

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