Bis Mitte des 20. Jahrhunderts stammten Eier und Fleisch vom selben Huhn. Die jungen Hähne wurden gemästet, während der weibliche Nachwuchs die Eier legte, etwa 140 pro Jahr, und schliesslich als Suppenhuhn im Topf landete. Im Zuge der wachsenden Bevölkerung professionalisierte und intensivierte sich die Landwirtschaft. Dies machte auch vor der Eier- und Pouletfleischproduktion nicht Halt.

Verschiedene Hühnerrassen entstanden. Die Zweinutzungshühner wichen sogenannten Hybridhühnern, die je nach Fokus viele Eier – bis zu 300 im Jahr – legen oder gut Fleisch ansetzen. Diese Zweiteilung schaffte eine neue Praxis, wegen der die Branche in den vergangenen Jahren zunehmend unter gesellschaftlichen Druck geriet: das routinemässige Töten männlicher Küken von Legerassen, da diese weder Eier legen noch genug Fleisch hergeben und deshalb keinen wirtschaftlichen Nutzen haben.

Das Schreddern ist in der Schweiz seit Anfang 2020 verboten, doch das Töten ging weiter. Drei Millionen männliche Legeküken, schätzungsweise 600 000 davon sind Bioküken, überleben pro Jahr ihren ersten Tag nicht. Mit Gas betäubt und getötet, werden sie für die Energiegewinnung in Biogasanlagen oder als Futter für Zootiere und Greifvögel genutzt. Dies ist die Ausgangslage, in der die Branche den Ausstieg aus dem Kükentöten beschloss.

Die verschiedenen Wege von konventionellen und biologischen Produzenten und der Blick in die Nachbarländer zeigen auf, dass die Umsetzung ein Balanceakt zwischen Ethik und Wirtschaftlichkeit ist. In Deutschland beschloss die Vorgängerregierung unter Angela Merkel ein Verbot des Kükentötens ab 2022. Geflügelbetriebe mästen die männlichen Küken seit Anfang Jahr als sogenannte Bruderhähne und schlachten sie trotz der geringeren Fleischausbeute. Oder sie sortieren sie vor dem Schlüpfen mit Geschlechtsbestimmungsverfahren im Ei aus.

Schlupflöcher im deutschen Gesetz

Die grossen Lebensmittelketten stellten gleich im Januar ihre Sortimente um und verkaufen die Schaleneier mit der Aufschrift «Eier ohne Kükentöten». Beim frischen Ei isst am Frühstückstisch das gute Gewissen mit. Gut die Hälfte der konsumierten Eier steckt aber in verarbeiteten Produkten wie Fertiggerichten, Back- oder Teigwaren. Diese stammen aber überwiegend aus Ländern, wo männliche Küken nach wie vor vergast oder geschreddert werden.

Deutsche Geflügelbetriebe beklagen diese fehlende Transparenz und weitere Schlupflöcher des Gesetzes. Zwar dürfte es in diesem Jahr etwa 40 Millionen männlicher Küken vor dem Tod bewahren – dies aber nur in Deutschland. Denn die Minihähne können problemlos zum Vergasen über die Grenzen nach Polen oder in die Niederlande gefahren werden. Legal ist es ausserdem, dass deutsche Unternehmen bei Brütereien im Ausland Junghennen kaufen, deren Brüder nach dem Schlupf getötet wurden.

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Legehennenhalter sind gemäss dem Zentralverband der deutschen Geflügelwirtschaft (ZDG) gezwungen, Junghennen zu importieren. Heimische Brütereien hätten von Januar bis März einen Drittel weniger Bruteier eingelegt als im ersten Quartal 2021. Der ZDG berichtet auch von einem «leisen Sterben der heimischen Brütereien». Seit März 2021 sei ihre Zahl innert Jahresfrist von 19 auf 12 zurückgegangen.

Verfüttern statt entsorgen

«Deutschland hat sehr erfolgreich das Kükentöten exportiert», bilanziert der ZDG und fordert EU-weit einheitliche Regeln. Wünschen würde sich die Branche zudem pragmatische Lösungen wie in Frankreich und Österreich. Frankreich schiebt dem Kükentöten ab 2023 einen Riegel, für Tiernahrung oder für wissenschaftliche Zwecke ist es weiterhin erlaubt. Österreich verbietet die Praxis, die männlichen Küken in Tierkörpersammelstellen zu entsorgen.

Stattdessen arbeitet die Branche mit Zoos und Greifvogelorganisationen zusammen: Die Küken bekommen nun Schlagen, Eulen oder Adler, die sie für ihre artgerechte Ernährung brauchen. Das deutsche Gesetz sieht dies nicht vor, mit der Konsequenz, dass die Zoos entweder Küken importieren müssen oder ihren Tieren eigens dafür gezüchtete Mäuse verfüttern.

Auf diese Entwicklungen schaut auch GalloSuisse, die Vereinigung der Schweizer Eierproduzenten. «Das Verbot in Deutschland ist das Paradebeispiel für eine nicht nachhaltige Lösung», sagt ihr Präsident Daniel Wuergler. Das Problem sei einfach verlagert worden. Mit dem Verschwinden der Brütereien gehe viel Know-how verloren, steige die Abhängigkeit vom Ausland und wird die Versorgungssicherheit gefährdet. «Dies kann und darf nicht unser Anspruch sein.»

Sowohl GalloSuisse als auch Bio Suisse entschieden sich vor einem Jahr für den Ausstieg aus dem Kükentöten. Ethisch vertretbar und nachhaltig müssen die Alternativen sein. Es bringe nichts, eine der grossen Herausforderungen in der Eierproduktion besser zu lösen, indem man neue Probleme hervorrufe, sagt Wuergler. Deshalb hat GalloSuisse alle Akteure in der Wertschöpfungskette in die Erarbeitung der Branchenlösung einbezogen.

Geschlechtsbestimmung im Ei

Dies beginnt bei den Brütereien. Im kleinen Schweizer Markt gibt es nur zwei Unternehmen, die Brütereien betreiben, jeweils eine für konventionelle und eine für biologische Legeküken. Die Branchenlösung von GalloSuisse für konventionelle Eier sieht erstens vor, dass die Firmen Futterküken verkaufen dürfen, die in der Schweiz gebraucht werden. «Es wäre falsch, wenn wir solche plötzlich importieren müssten», betont Wuergler.

Da auch die modernen Zweinutzungshühner für die konventionelle Produktion zu schlecht abschneiden, hat sich GalloSuisse zweitens für die Bestimmung des Geschlechts im Brutei der niederländischen Firma «In Ovo» entschieden. Bei dieser Methode sticht eine Nadel am 9. Bruttag ins Ei und entnimmt ihm einen Tropfen Flüssigkeit. Ein automatisierter Prozess analysiert die enthaltenen Hormone und zeigt an, ob der Embryo weiblich oder männlich ist. Die männlichen werden aussortiert und zu Tierfutter verarbeitet.

GalloSuisse hat das Verfahren in den Niederlanden besichtigt. Derzeit werden seine Praxistauglichkeit und die Leistungsfähigkeit der Maschine namens Ella in einer Brüterei getestet. Erbringt Ella die Nachweise, legen der Verband und die Behörden den gesetzeskonformen Unterbruch des Brutprozesses der männlichen Embryonen fest. Und die Brütereien müssen die notwendige Infrastruktur bauen.

Steht alles, starten die Schweizer Unternehmen Ende 2023 mit der In-Ovo-Technologie – aber nur für eine begrenzte Zeit. «Zufriedenstellend ist einzig eine Geschlechtsbestimmung am Tag Null, was aber heute und morgen technisch noch nicht möglich ist», erklärt Wuergler. Im Moment gebe es zwei Möglichkeiten: entweder abwarten, bis eine perfekte Lösung vorhanden sei, oder in einem ersten Schritt für eine gewisse Zeit die zur Verfügung stehende Technologie umsetzen. «Tag 9 ist dieser erste Schritt.»

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Verbot bei Bio Suisse

Bio Suisse lehnt die Verfahren von In Ovo und des deutschen Unternehmens Respeggt, dessen Eier auch der Schweizer Detailhandel verkauft, ab. «Es verlegt das ethische Problem des Kükentötens ins Ei», erklärt David Herrmann von Bio Suisse. Als sich der Verband mit dem Thema beschäftigt habe, habe es keine taugliche Methode gegeben, die wissenschaftlich evident Tierleid verhindert. Am neunten Tag sei das Schmerzempfinden des Embryos nicht mehr mit Sicherheit auszuschliessen.

Ebenfalls nicht in Frage kam für Bio Suisse die Geschlechtsbestimmung, bei der die Eier am 13. Tag durchleuchtet werden. Sie ist in Frankreich üblich, wo es viele braune Tiere gibt. In der Schweiz gebe es weniger braune Hühner, so Herrmann, deshalb funktioniere die Methode bei uns weniger gut. «Bei beiden Verfahren gibt es grosse Fehlerquoten. Was macht man dann mit den geschlüpften männlichen Küken?»

Aus diesen Gründen hat sich Bio Suisse gegen die Bestimmung im Ei entschieden, sondern für die Aufzucht aller männlichen Tiere ab 2026 – heute sind es gut 15 Prozent – und als Alternative für Zweinutzungshühner. Der Zeitplan ist ambitioniert, sagt Herrmann. Die Bio-Richtlinien wurden aktualisiert, nun geht es darum, mit den Produzenten und allen Akteuren der Wertschöpfungskette zu schauen, wie die Übergangsphase abläuft. Und es braucht Garantien des Handels, dass er die teureren Bio-Eier auch in Zukunft abnimmt.

Begleitet von einer Fachgruppe müssen 2200 Eierproduzenten umstellen, von grossen Betrieben mit zwei Ställen à je 2000 Legehennen bis zu kleinen Höfen mit ein paar Hühnern. Betroffen sein werden in erster Linie die grossen: Moderne Zweinutzungshühner legen etwa 230 Eier im Jahr. Dies ist zwar deutlich mehr als die Rassen früher, aber auch klar weniger als Hybridhennen. Ausserdem seien die Eier der gängigen Zweinutzungshühner kleiner, sagt Herrmann.

Am Schluss entscheidet der Kunde

Über den Erfolg von Eiern aus Produktion ohne Kükentöten entscheiden werden am Schluss die Konsumentin, der Kunde. Die Gesellschaft lehnt das Kükentöten gemäss Umfragen ab. Allein das Wort wecke Emotionen, sagt Gallo-Suisse-Präsident Wuergler. «Dann machen alle die Aussage, dass sie bereit sind, die Kosten zu übernehmen.» Beim Einkaufen im Laden seien dann die Emotionen weiter weg und ökonomische Aspekte würden wichtiger.

Mehr Tierschutz hat aber seinen Preis. Der Ausstieg, so Wuergler, kann nur umgesetzt werden, wenn alle die Kosten über den Eierpreis mittragen. Auch David Herrmann weiss um die Preissensibilität der Kundschaft. Und dies bei einem Bioprodukt mit 30 Prozent Marktanteil. «Ja, wir verändern unser erfolgreichstes Produkt, wir machen es aber auch tierethisch noch wertiger und nachhaltiger. Diesen Mehrwert müssen wir aufzeigen.»

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