Tierwelt online: Frau Müller, letzte Woche meldeten Sie, das Basler Tierheim an der Birs registriere seit Juni eine steigende Anzahl an Findeltieren. Was versteht man darunter?
Sandra Müller: Grundsätzlich ist ein Findeltier ein herrenloses Tier. Doch was das heisst, ist von Tierart zu Tierart verschieden. Ein streunender Hund beispielsweise, der keinen Besitzer hat und auch nicht gechipt ist, gilt sofort als herrenlos.  

Wie sieht es bei den Meerschweinchen aus?
Kaninchen, Meerschweinchen, ja allgemein Nager – bei ihnen liegt es in der Natur, dass sie einfach mal herum rennen und ausbüxen. Die Besitzer sind oft nicht eruierbar. Und so werden sie gefunden und landen als herrenlose Tiere bei uns. Als Betreiber der kantonalen Meldestellen BS/BL geben wir in solchen Fällen zunächst eine Vermisstmeldung auf, auch bei der Schweizerischen Tiermeldezentrale.

Und Katzen?
Die streunen naturgemäss, und sie müssen auch keinen Chip haben. Oft werden sie nicht als vermisst gemeldet, auch wenn sie mal länger ausbüxen. Es gehört nun einmal zum Wesen der Katze, dass sie herumstreift.

Wann spricht man von Findelkatzen?
Die gibt es natürlich. Das sind vor allem Tiere, die einer verwilderten Population auf einem Bauernhof angehören oder in einem Industrieareal leben. Auch hier kommt es immer wieder vor, dass uns jemand eine Katze aus einer solchen Umgebung vorbei bringt. Solche Tiere werden natürlich nicht abgeholt, denn sie gehören niemandem.

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Damit sind wir beim Thema der Rückführquoten. In Ihrer Medienmitteilung von Ende November stand, dass diese markant abgenommen haben.
Bei Hunden beträgt diese Quote fast 95 Prozent, da sie wie gesagt gechipt sind. Bei den Büsi hingegen war dieser Wert bis vor ein paar Jahren ebenfalls noch hoch. Er beträgt mittlerweile nur noch rund 50 Prozent.

Woran liegt das?
Dass die Hälfte der Leute offenbar ihre Katze nicht suchen, hat verschiedene Gründe. Einerseits mag es sein, dass sie wirklich niemandem gehört. Wir hatten aber auch Fälle von alten Katzen, bei denen sich herausstellte, dass sie gar nicht erst vermisst werden. Wenn das alte Tier verschwindet, haben die Besitzer das Gefühl, es habe sich zum Sterben zurückgezogen. Es wollte seine Ruhe. Das erweist sich mitunter als Trugschluss. Andere Katzen wiederum, vor allem jüngere, sind äusserst fidel und werden einfach von jemand anderem gefüttert, weil sie immer vor der Haustüre sitzen. Die bleiben dann an dem neuen Ort, während der Halter oder Halterin die Hoffnung bereits aufgegeben hat und nicht mehr nach seinem Tier sucht.

Traurige Schicksale.
Ja. Und es gibt auch Fälle, in denen ein Haustier verschwindet, und das kümmert die Besitzer*innen nicht. Sie machen sich erst gar nicht die Mühe, nach ihm zu suchen. Lieber holen sie sich einfach ein neues Tier, zum Beispiel aus dem Tierheim. Aber weil da die Kontrollen mitunter streng sind, halt aus dem Internet, via Online-Handel. Mit allen negativen Folgen für die Tiere («Tierwelt online» berichtete). Ein solches Denken hat leider zugenommen.

Haben wir es mit einer Art Einkaufsladen-Mentalität zu tun? 
Genau, ganz nach dem Motto, ich gehe rasch ins Geschäft oder ins Internet und kaufe mir ein Tier. Wenn es dann mal ausbüxt, ist das auch nicht so schlimm, denken viele. Dann gibts halt wieder ein neues. Oder es passt gerade, dass es weg ist. 

Worauf führen Sie das zurück?
Unter anderem auf die Folgen der Pandemie. Viele mussten ins Homeoffice und fühlten sich dort einsam. Da war es naheliegend, sich einen Ansprechpartner auf vier Pfoten zu suchen, einen Hund, eine Katze, ein Meerschweinchen – Hauptsache irgendein Tier. Nun, nach dem Ende der Homeoffice-Zeit merken viele, dass ein Tier eben auch dann noch Liebe, Pflege und Aufmerksamkeit braucht.

«Tierwelt online» berichtet immer wieder von Tieren, die kaltherzig ausgesetzt werden.
Ja, leider. Das tut weh! Vor kurzem haben wir einen Goldhamster gefunden, den jemand im Wald seinem Schicksal überliess, in einem Karton. Er hatte Todesangst, war im Überlebensmodus. Leider häufen sich solche Fälle in letzter Zeit – wohl auch eine Folge davon, dass die Homeoffice-Zeit teilweise aufgehoben wurde.

Wie lässt sich dieses Leid mindern?
Ich appelliere an alle, daran zu denken, dass Tiere Lebewesen sind, wie wir. Man stelle sich vor, jemand setze uns in einer kalten, unbekannten Umgebung aus, ohne Nahrung... Da ist es mir lieber, wenn sich jemand bei uns meldet, wenn ein Tier nicht mehr haben will, statt es seinem furchtbaren Schicksal zu überlassen. Noch besser wäre es jedoch, sich schon vor der Anschaffung zu überlegen, ob man auch genug Zeit hat und Willens ist, es auch nach Ende der Homeoffice-Tage zu pflegen. Sonst sinkt die Rückführquote bei uns wohl weiter.