Dass man über die Vogelwelt der Schweiz so viel weiss, ist Amateuren zu verdanken. Tausende von Hobbyornithologen beobachten die Vögel jahrein, jahraus auf jedem Quadratkilometer. Dass kein Ei gelegt würde, von dem die Beobachter nichts wüssten, ist zwar übertrieben. Doch die freiwilligen Helfer sammeln regelmässig gewaltige Datenmengen, ohne die den wenigen professionellen Vogelforschern bei der Schweizerischen Vogelwarte kein derart genauer Überblick möglich wäre.

Die Hilfe von Laien ist auf vielen Forschungsgebieten willkommen – wissenschaftliche Projekte oder Natur- und Tierschutzmassnahmen sind oft nicht möglich ohne umfangreiches Zahlenmaterial. Die Vogelkunde hat da aber die grösste Tradition und daher auch entsprechend ausgereifte Methoden. Auf der Website der Info-Zentrale für Ornithologen geben die Beobachter ihre aktuellen Informationen in eine Datenbank ein.

Fast 11 000 sind in der Schweiz eingeschrieben, weltweit sind es über 90 000. Die Ornitho-Datenbank zählt 55 Millionen Beobachtungen, davon gut 7,5 Millionen aus der Schweiz. 40 000 der 41 000 Quadratkilometer des Landes sind schon mindestens einmal erfasst worden. Am Spitzentag flossen 13 729 Meldungen aus der Schweiz in die Datenbank.

Die Beobachter bei Ornitho nehmen ihre Aufgabe ernst. Sie werden ausgebildet, und ihre Meldungen werden von Fachleuten überprüft. Manchmal sucht die Vogelwarte auch zusätzliche Helferinnen und Helfer, wie letztes Jahr für eine schweizweite Suche nach brütenden Mehlschwalben. Hunderte von Freiwilligen meldeten sich, darunter auch Schulklassen. Sie fanden 12 300 Nester. Für die Übermittlung der Daten hatte die Vogelwarte eine spezielle Internetplattform eingerichtet. «Mit diesen Erkenntnissen können wir den Mehlschwalben-Schutz optimieren», schreibt die Schweizerische Vogelwarte.

Walgesang und Sternbilder
Ein Beobachtungsnetz mit Laienhelfern haben auch die Klimaforscher der ETH Zürich aufgebaut. Im Phaeno-Net melden Beobachterinnen und Beobachter, wie sich bei bestimmten Bäumen der Jahresverlauf spiegelt. Interessant für die Forscher ist jeweils der Zeitpunkt, wann die Knospen sich zeigen, die Blätter sich entfalten, die Früchte reif sind oder die Blätter fallen. Im parallelen Globe-Programm der ETH können auch Beobachterinnen und Beobachter mitmachen, die nicht eingeschrieben sind. Das ist vor allem für Schulklassen eine spannende Sache, denn es geht tatsächlich um echte Wissenschaft, nicht nur um Übungen. Auch interessierte Laien können sich hier beteiligen. 

Kantone lassen Laien ebenfalls mitforschen. Das Amt für Natur, Jagd und Fischerei des Kantons Schwyz hat Freiwillige aufgerufen, beim Zählen von Krebsen mitzuhelfen. Die einheimischen Krebsarten sind bedroht durch die fremden, die schneller wachsen und gegen Krankheiten widerstandsfähiger sind. Die Umweltexperten möchten nun wissen, wie es um die einzelnen Arten im Kanton steht. 

Mithilfe bei der Forschung ist aber nicht nur mit Fernrohr und Gummistiefeln möglich. Immer mehr Projekte finden im Internet statt. So können Laien helfen, alte Schriften in computergerechte Form zu bringen, die Gesänge von Walen zu vergleichen oder Aufnahmen von Sternen zu sortieren. Die meisten dieser Aufgaben erfordern neben einem guten Computer aber auch gute Englischkenntnisse. Die Webseite Scistarter liefert zahlreiche Hinweise auf solche Mitmachprojekte.

Jeder ist fast auf allen Gebieten ein Laie
International nennt man die Mitwirkung von Laien bei der Forschung «Citizen Science», einen deutschen Begriff dafür gibt es bezeichnenderweise nicht, die wörtliche Übersetzung «Bürger-Wissenschaft» erklärt die Sache nicht richtig. Die deutschsprachigen Länder hinken den angelsächsischen noch um ein paar Längen hinterher. Christian Preiswerk, wissenschaftlicher Mitarbeiter bei der Schweizerischen Akademie der Naturwissenschaften, sagt, die Projekte in der Schweiz spielten sich in kleinerem Rahmen regional oder in Fachgesellschaften ab. Eine zentrale Förderung von Citizen Science gibt es in der Schweiz nicht.

Dass die professionelle Wissenschaft von eifrigen und neugierigen Laien profitieren kann, hat sich herumgesprochen. Beim Wettbewerb «Jugend forscht» oder auf den Wikipedia-Seiten zeigt sich, mit wie viel Einsatz Laien arbeiten können. Peter Finke, ein deutscher Professor, der sich kritisch mit dem Betrieb der Wissenschaft befasst, hat kürzlich ein Buch über Citizen Science geschrieben (das auch für interessierte Laien lesbar ist). Finke glaubt, dass in Zukunft der Einbezug der Laien in die Forschung noch viel weiter gehen müsse als heute. «Laien sind nicht dumm», schreibt er. Alle Menschen seien Laien ausserhalb des kleinen Bereichs, in dem sie ihre Ausbildung genossen hätten. Deswegen sei die Profiwissenschaft aber nicht überflüssig. Finke illustriert seine Überlegung mit dem Bild eines Apfelbaums: Um die Früchte an der Spitze zu holen, brauche man Leitern, die vielen Äpfel unten könne man auch vom Boden aus erreichen. Er sieht die nicht professionellen Forscher als diejenigen, welche die leicht erreichbaren Früchte einsammeln. Oder er erklärt es mit einem anderen Bild: Bergsteiger brauchen auch die Leute im Basislager.

Finke sieht auch die Gefahren eines Booms von Citizen-Forschern. Die Qualität der Arbeit dürfe nicht leiden, es gehe nicht um ein Freizeitvergnügen nach dem persönlichen Lust-und-Laune-Prinzip. Der Aufwand der Profis bei der Auswertung der Laienbeiträge ist unter Umständen sehr gross. Vor allem in Amerika wird die Idee propagiert, man solle doch das gemeinsame Wissen von Tausenden von Menschen anzapfen –  was dank Internet, Smartphones und anderen modernen Kommunikationsmitteln heute möglich sei. In Europa ist es noch nicht gelungen, Massen für die Mitarbeit bei der Wissenschaft zu mobilisieren. Es dürfe aber auch nicht sein, sagt Finke, dass professionelle Forscher die Laien als kostenlose Hilfskräfte missbrauchen. 

Die Vorteile einer Mitwirkung der Öffentlichkeit liegen für Finke unter anderem darin, dass mehr Lebensnähe in den oft abgeschotteten Wissenschaftsbetrieb hineinfliessen könne und dass Forschungsprojekte auch wieder einmal ohne den riesigen und teuren Aufwand der akademischen Einrichtungen möglich würden. Ohne das Mitdenken und Mitarbeiten des Publikums, so Finke, werde es der Wissenschaft allein immer weniger gelingen, die Probleme der Zukunft richtig zu lösen – und zwar in allen Fächern. Für Hobbyforscher gibt es also noch einiges zu tun. 

Vom Amateur zum Experten
Laien, die sich in der Forschung betätigen, werden manchmal etwas herablassend als Amateure bezeichnet. Doch bisweilen überflügeln engagierte Amateure studierte Profis und finden auch in der Fachwelt Anerkennung, manchmal in Museen oder in Form eines Ehrendoktortitels. Die Zürcherin Veronika von Stockar etwa hatte die Betreuung und Pflege von Greifvögeln entwickelt und eine heute noch bestehende Greifvogelstation aufgebaut. In ihrer Jugend war es noch nicht üblich gewesen, dass Mädchen Biologie studierten. Edwin Tobler war Tramkondukteur, erforschte in der Freizeit eingehend die Münzgeschichte, schrieb Bücher darüber und baute eine Sammlung auf, die heute im Museum liegt. Heinrich Seitter war SBB-Kondukteur und erforschte daneben die Pflanzenwelt im Kanton St. Gallen und im Fürstentum Liechtenstein, er war schliesslich der führende Botaniker der Ostschweiz. Ruben Sutter war ein Bergbauer, der durch Selbststudium zum Experten für die alpine Pflanzenwelt wurde. Peter Kocher arbeitete als Lehrer, verbrachte daneben aber einige Hundert Nächte beim Beobachten der Sterne. Fast 300 Kleinplaneten hat er entdeckt und vermessen. Das berühmteste Beispiel eines Amateurforschers allerdings ist Charles Darwin: Der Mann, der neue Grundlagen für die Naturwissenschaften legte, war dafür eigentlich gar nicht ausgebildet, er hatte Theologie studiert.

 

Literaturtipp: Peter Finke: «Citizen Science. Das unterschätzte Wissen der Laien», oekom Verlag, München, 2014, ca. Fr. 24.–

www.ornitho.ch, www.phaeno.ethz.ch, www.scistarter.com