Die Urbanisierung schreitet immer weiter voran. Millionenstädte wachsen vor allem in Asien so rasant wie gut gedüngte Rasen. Nach Schätzungen der UNO werden bereits im Jahr 2050 zwei Drittel der Menschen in Städten leben. Parallel dazu nimmt die Anbaufläche für Lebensmittel ab. Damit es zu keinen Engpässen mit Nahrungsmitteln kommt, müssen Lösungen her. Der amerikanische Agrarforscher Dickson Despommier richtet diesbezüglich den Blick nach oben. Er möchte Hochhäuser in Bauernhöfe verwandeln. Dabei sollen möglichst viele Felder übereinandergestapelt werden.

Das sogenannte «Vertical Farming» sieht nicht nur den Getreide- und Gemüseanbau in Gebäuden vor, sondern auch die Viehzucht. Singapur ist diesbezüglich Vorreiter. 2012 eröffnete in dem Stadtstaat die erste kommerzielle vertikale Farm. Sie produziert täglich rund eine Tonne frisches Gemüse. Das ist insofern bemerkenswert, als Singapur mehr als 90 Prozent seiner Lebensmittel importiert. Bei den sogenannten Sky-Greens handelt es sich um vierstöckige Gewächshäuser. Die bepflanzten Etagen rotieren wie ein Riesenrad in Zeitlupe: Runter zu einem Wasserbad mit Nährstoffen und danach wieder rauf zur Sonne.

Die Schweiz versorgt sich bereits selbst
Ähnliche Projekte laufen in Korea und den USA, wo beispielsweise im Bundesstaat Wyoming ein altes Parkhaus zu einer vertikalen Farm umgebaut wurde. Dort spriessen diverse Salate, Kräuter und Tomaten. Wie in Singapur bewegt sich das Gemüse auch hier karussellartig. Es wird dabei mit einer Nährstofflösung besprüht und braucht keinen Boden. An der Qualität soll sich deshalb nichts ändern. Bezüglich einer gesundheitlichen Gefährdung von Pflanzen aus Hydroponikkulturen sind bisher keine wissenschaftlichen Untersuchungen bekannt. «Auch geschmacklich scheint sich eine im Gewächshaus produzierte Gemüsesorte aus der Erde von einer aus der Hydroponikkultur nicht signifikant zu unterscheiden», sagt der Agrarforscher Alex Mathis vom Institut für Umwelt und Natürliche Ressourcen der Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften.

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Im US-Bundesstaat Wyoming ist aus einem Parkhaus eine
vertikale Farm entstanden.
Bild: Vertical Harvest of Jackson Hole

In Europa und der Schweiz sind derartige Anbausysteme trotzdem (noch) eine Utopie, da genügend landwirtschaftliche Anbauflächen vorhanden sind. «Die Saisonalität des Gemüseanbaus in der Schweiz besteht unabhängig von der Produktionsform. Wir haben von Mitte April bis November Vollversorgung mit Inlandprodukten», sagt Alex Mathis. Es bestehe sogar latent die Gefahr einer Überproduktion. Und selbst in verdichteten Ballungsräumen wie Genf und Zürich liegen grössere Produktionsbetriebe von Gemüse in unmittelbarer Nähe der Zentren.

Fremd ist das Konzept des «Vertical Farming» aber auch hierzulande keineswegs. So verweist Mathis darauf, dass beispielsweise Tomaten, Gurken oder Peperoni bereits vertikal produziert werden, indem die Stehwandhöhe der Gewächshäuser genutzt wird. Die Pflanzen hängen dabei auf einer Spanndrahthöhe von bis zu über drei Metern. Der entscheidende Unterschied zu den Modellen in den USA und Singapur liegt allerdings darin, dass diese Pflanzen in Erde oder in Substrat ankern, entweder im Boden oder auf einer Rinnenhöhe von etwa einem halben Meter. «Neu beim ‹Vertical Farming› ist dagegen, dass die Methode nun auch an niedriger wachsenden Kulturen angewandt wird, die auf unterschiedlichen Höhen wurzeln», erklärt Mathis.

Finanzierung in Europa als Hauptproblem
Die Vorteile liegen bei diesem System wie bei Gewächshauskulturen auf der Hand. «Wettereinflüsse und ein Befall von Schädlingen fallen komplett weg», sagt der deutsche Agrarforscher Joachim Sauerborn, der sich intensiv mit dem senkrechten Landbau beschäftigt. Ein Problem sei dagegen die Frage der Beleuchtung. Wie viel Licht braucht eine Pflanze? Zu welchem Zeitpunkt? In welcher Qualität? Und wie lange? Die Lösung soll farbiges LED-Licht bieten, das die Pflanzen mit bestimmten Wellenlängen im roten und blauen Bereich versorgt, damit das Wachstum funktioniert. Sauerborn selbst plant in Deutschland ein Hochhaus für Reis, da dieser beim konventionellen Anbau besonders viel Fläche benötigt. Die Umsetzung dürfte aber noch einige Jahre dauern, da es bisher an potenten Investoren mangelt.

In der Finanzierung sieht auch Alex Mathis das grösste Problem: «Die Heiz- und Stromkosten für die Lichtversorgung sind hier anders als in Amerika und Asien beträchtlich und lassen sich mit den bestehenden Marktpreisen nicht decken.» In der Schweiz sei der vertikale Anbau deshalb im Moment höchstens für den urbanen Gartenbau interessant, bei dem es nicht primär um eine kostendeckende Produktion gehe, sondern auch um ein kollektives Erlebnis und Umweltbildung.

Vertikale Bauernhöfe – Video von Arte:

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