In der katholischen Kirche in Spreitenbach AG geht es tierisch zu und her. Auf der Kirchturmspitze in 50 Meter Höhe thront ein metallener Wetterhahn. Darunter hat ein Turmfalkenpärchen seinen Brutplatz bezogen – und in direkter Nachbarschaft sollen in den neu aufgestellten Nistkästen bald Mauersegler einziehen. Im Dachstuhl hängen seit Jahrzehnten Braune Langohr-Fledermäuse. Diese Wohnsituation zeigt sich in vielen Kirchtürmen in der Schweiz (siehe Box).

Zahlreiche Vogelfreunde betreuen in ihrer Freizeit die fliegenden Kirchturmbewohner. So auch Koni Wiederkehr, Präsident des Natur- und Vogelschutzvereins Spreitenbach-Killwangen. 2009 zimmerte er einen Nistkasten für Turmfalken. Durch ein Fensterchen im Kirchturm auf rund 30 Meter Höhe fliegen die Vögel direkt in die hölzerne Nisthilfe, die geschützt im Dachstuhl montiert ist. «Seit 2011 gab es jedes Jahr eine Brut», sagt der gelernte Gärtner.

In diesem April lagen sechs Eier im Nistkasten. Von den fünf geschlüpften Jungvögeln hat nur eins überlebt. Wiederkehr steigt wöchentlich den Turm hoch, um einen Blick in die bewohnte Turmfalkenkiste zu werfen. Ab und zu filmt der 66-Jährige die Tiere. Darauf ist zu sehen, wie die Eltern Mäuse anschleppen, die sie in mundgerechte Häppchen zerkleinern und verfüttern. Gegen Ende Juni unternehmen die Jungvögel jeweils ihre ersten Flugversuche. 

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Die Turmfalken gehören in der Schweiz zu den potenziell gefährdeten Vögeln: Es fehlen Brutplätze und die intensiv genutzte Landwirtschaft hat ihr Nahrungsangebot verschlechtert. Gemäss Vogelwarte Sempach leben bei uns zwischen 5000 und 7000 Turmfalkenpaare.

Sie bauen selber kein Nest. Stattdessen nisten die Vögel gerne in Spalten, Felshöhlen und an Klippen oder sie nutzen alte Krähennester. «Die Nistkästen sind ein wichtiger Beitrag dazu, dass diese Vögel genügend Plätze zum Brüten finden, die in der Natur immer mehr verschwinden», erzählt Wiederkehr. Zudem verschwinden nach Gebäudesanierungen ideale Brutorte wie Vorsprünge oder Nischen.

Turmfalken besiedeln deshalb alternativ gerne Kirchtürme. Gemäss der Vogelwarte Sempach brüten Turmfalken in der Schweiz zum grössten Teil auf Bauernbetrieben, wo sie Nistkästen bewohnen. In dieser Umgebung finden sie genügend Mäuse als Nahrung.

Fledermausdamen wohnen alleine
Szenenwechsel. Die Spurensuche nach Kirchturmbewohnern führt ins Weindorf Fläsch GR, das nicht nur für seine guten Tropfen bekannt ist – sondern auch für die grösste Kolonie von Grossen und Kleinen Mausohren der Schweiz. Die beiden Arten gelten als gefährdet, das äusserst seltene Kleine Mausohr ist sogar vom Aussterben bedroht.

«In der Schweiz kennen wir heute nicht einmal mehr 100 Dachstöcke, in denen sie ihre Jungen aufziehen. In jeder Gemeinde sollte darum mindestens ein ruhiger Dachstock, beispielsweise in der Kirche oder im Gemeindehaus, für die Mausohren zugänglich gemacht werden», fordert die Stiftung Fledermaus Schweiz. Die Tiere wurden in den vergangenen Jahrhunderten aus Aberglauben oft getötet, bis in die 1970er-Jahre gelangten zudem noch mehr Umweltgifte in die Natur, was das Nahrungsangebot schmälerte. Die Kleinen und Grossen Mausohren ernähren sich von Heuschrecken, Schnaken und Maikäfern. 

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Im Zwiebelturm der reformierten Kirche Fläsch hängen rund 1000 der filigranen Tierchen, die zwischen 20 und 40 Gramm schwer werden. Pro Jahr gebären die Weibchen etwa 500 Junge: Nur ein Drittel bis die Hälfte überlebt den ersten Winter. Unten am Turm wartet Primarlehrerin Ladina Thomasin Kühne. Sie betreut seit rund zehn Jahren mit ihrem Mann Jörg Kühne die Turmfledermäuse. Hinter der geöffneten Tür liegt altes Gemäuer und eine schmale Holztreppe.

Jetzt wird es richtig eng. Eine Leiter führt auf einen Zwischenboden. Den hat Ladina Thomasin Kühne zuvor gesäubert – der Boden war übersät von Fledermauskot. Im Dreck entdeckt die Fledermausbetreuerin einen Winzling. «Dieses Baby ist weniger als vier Tage alt. Es trägt noch keinen Flaum und hat die Augen geschlossen», erklärt sie.

Das Kleine nimmt sie zur Fütterung nach Hause und wird es am Abend wieder in die Kolonie zurückbringen, in der Hoffnung, dass es die Mutter vor ihrem abendlichen Ausflug zu sich holt. In gebückter Haltung lässt sich ein Blick in die mit Holzbalken verkleidete Turmzwiebel erhaschen. Zu hören ist ein leises Fiepen. Es herrscht absolute Dunkelheit: Doch mit einer Rotlichtfilter-Taschenlampe sind die kleinen Tierchen zu erkennen, ohne dass sie geblendet werden.

Die Fledermäuse, die man bei der Kirche über eine Livekamera beobachten kann, leben von März bis Oktober im Turm. Im Sommer, wenn es unter der Turmzwiebel sehr heiss wird, verziehen sich die Tiere bis zu drei Stockwerke tiefer. Winterschlaf halten sie in Höhlen, Stollen oder Kellern. 

Beleuchtung wird früh ausgeschaltet
«Der Kirchturm ist nur von den Weibchen und den jeweils diesjährigen Jungen, die von den Müttern gesäugt werden, bewohnt. Die Männchen leben individuell, wohl in direkter Umgebung. Aber genau wissen wir das nicht», sagt Thomasin Kühne.

Tagsüber schlafen die Fledermäuse. Bei Sonnenuntergang werden sie aktiv und verlassen bei Anbruch der Dunkelheit den Turm durch ein Fenster. Meist kehren die filigranen Flieger kurz vor Sonnenaufgang in die Kirche zurück. «Die Distanz zum Jagdhabitat kann grösser als zehn Kilometer sein. Bei einer Untersuchung vor rund 20 Jahren hat sich aber gezeigt, dass einige Tiere weitaus grös­sere Strecken zurücklegen», erzählt die Fledermausbetreuerin.

Um Lichtverschmutzung zu minimieren und Strom zu sparen, wird in Fläsch die öffentliche Beleuchtung ab 21 Uhr massiv reduziert und ab 23 Uhr ausgeschaltet. Dann gehen einzelne Lampen nur bei Bedarf mit Bewegungsmelder an. Von dieser Massnahme profitieren die Fledermäuse, die eine dunkle Umgebung bevorzugen, wenn sie auf der Suche nach Nahrung ausfliegen.

Die Mausohren in der Kirche Fläsch

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Wohnort KirchturmAlpensegler: Fraumünster Zürich, ref. Kirchgemeinde Burgdorf, Stadtkirche Biel, Hofkirche Luzern, kath. Kirche Hergiswil LU

Mauersegler: St. Maria Bern, ref. Kirche Rothenfluh BL, ref. Kirche Kerzers, kath. Kirche Ibach SZ, ref. Kirche Bümpliz BE, ref. Friedens-kirche Bern, ref. Kirche Muri bei Bern, kath. Kirche Malters, kath. Pfarrhaus und Kirchturm
Lenggenwil SG

Turmdohlen: ref. Kirche Riehen BS, ref. Kirchgemeinde Schöftland AG, ref. Kirche Andelfingen ZH, kath. Kirche Reichenburg SZ, ref. Steig-kirche Schaffhausen, Grossmünster Zürich, Predigerkirche Zürich

Turmfalken: Pauluskirche Basel,
ref. Kirche Riehen BS, ref. Kirche Zürich Enge

Felsenschwalben: Münster Bern

Quelle: «oeku Kirche und Umwelt»