Brandy aus Michigan hatte die längste: Die Zunge des 2002 verstorbenen Boxers brachte es auf eine bis heute ungeschlagene Länge von 43 Zentimetern und ging in die US-Fernsehgeschichte ein, als der Hund eine 30 Zentimeter entfernt stehende Puddingschüssel leer schleckte. Was für den Zuschauer unterhaltsam war, war für den Rüden allerdings permanenter Stress. Denn die lange Zunge war ein Geburtsfehler und hing Brandy ständig aus dem Maul, sodass er dauernd Durst verspürte. 

In der Regel streckt der Hund seine Zunge nämlich nur raus, wenn er verlegen oder ihm warm ist. Denn eine der wichtigsten Aufgaben dieses Organs ist es, für Abkühlung zu sorgen, da Hunde nur an den Pfoten Schweissdrüsen besitzen. Also lassen sie Flüssigkeit über die Zunge verdunsten, sodass ihr Körper abkühlen kann. 

Hecheln bei Hitze
«Benötigt der Hund viel Abkühlung, kann er seine Zunge entsprechend weit aus dem Maul heraushängen lassen, wodurch die Wärmeaustauschfläche grösser und die Abkühlung effizienter wird», sagt Julika Fitzi vom Schweizer Tierschutz STS. Braucht er noch mehr Kühlung, fängt er gleichzeitig an zu hecheln, und seine Atemfrequenz steigt von etwa 30 auf bis zu 300 Atemzüge pro Minute. So könne er die Wärmeabgabe beziehungsweise die Kühlung bedarfsgerecht steuern, erklärt die Tierärztin weiter. 

Warum das so wichtig ist? Weil Hunde keine Warmduscher sind. Liegt ihre Körpertemperatur zwischen 37,5 und 38,5 Grad Celsius, ist alles okay. Ab 39 Grad jedoch wird es ungesund und ab 40 Grad kann ihr Gehirn überhitzen. «Das Problem am Ganzen ist, dass es den Hund viel Energie kostet, wenn er das Fehlen der Schweissdrüsen mit Hecheln auszugleichen versucht», sagt Fitzi. Hält die Hitze an, hört der Hund irgendwann erschöpft auf zu hecheln und gerät in Lebensgefahr. Seine Sauerstoffversorgung verschlechtert sich, das Blut verdickt und es kommt schliesslich zu einem Kreislaufschock. Der noch verfügbare Sauerstoff konzentriert sich dann auf das Hirn und die Organe, um die Herztätigkeit zu erhalten. Das sei beim Menschen nicht anders, sagt Fitzi. «Auch dieser kann sich bei Überhitzung nicht selbst retten und wird die intensive Atmung herunterschalten, um sein Herz-Kreislauf-System minimal aufrechtzuerhalten.» 

So sieht eine Hundezunge beim Trinken in Zeitlupe aus:

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Die Zunge als soziales Medium
Beginnt eine solche Überhitzung also noch mit vermeintlich ungefährlichen Kopfschmerzen, kommt es bald zum Organversagen und spätestens bei einer Körpertemperatur von 44 Grad bricht das Tier zusammen und stirbt. Ein Schicksal, das jeden Sommer wieder Schlagzeilen macht, wenn etwa Hunde im Auto gelassen wurden. Denn das Innere des Autos kann sich binnen weniger Minuten auf 70 Grad aufheizen. Da helfen auch keine leicht geöffneten Fenster.

Daher ist Trinken extrem wichtig – sowohl an warmen Tagen als auch im Winter bei Heizungswärme. Dabei gehen Hunde anders vor als Katzen, die mit ihrer Zunge eine Flüssigkeitssäule aufbauen. Die Hundezunge gleicht eher einer Suppenkelle: Der Hund taucht sein Schleckwerkzeug in den Napf, klappt die Zungenspitze um 90 Grad nach hinten und löffelt los. Möglich macht das ein etwa vier Zentimeter langer Schlauch namens Lyssa, der aus Knorpelzellen, Fett und quer gestreifter Muskulatur besteht und in der Zungenspitze liegt. Dieser «Schlauch» sorgt dafür, dass der Hund seine Zungenspitze beinahe unabhängig vom Rest der Zunge verformen kann – eine enorme Bewegungsfreiheit, die übrigens Fleischfressern vorbehalten ist.

Neben der Temperaturregulierung und dem Trinken liegt die drittwichtigste Aufgabe der Zunge beim Fressen. Die Verdauung beginnt bei Hunden bereits im Maul. Was auch immer dort landet, muss zerkleinert und eingeweicht werden. Und da kommt wieder die Zunge ins Spiel. Denn der dafür benötigte Speichel wird grösstenteils von der Unterzungendrüse produziert. 

Dass der Einsatz der Zunge auch für Nachschub sorgen kann, lernen Hunde von Beginn an. Schliesslich leckt ihre Mutter sie direkt nach der Geburt ausgiebig ab, was nicht nur der Hygiene dient. Sie nimmt stattdessen den Geruch der Welpen auf und fördert ganz nebenbei mit dem Belecken des Bauches die Verdauung. Das schauen sich die Kleinen ab und lernen rasch, sich ebenso untereinander abzulecken, damit vorverdaute Nahrung hervorgewürgt wird.

Im späteren Verlauf ihres Lebens erkennen sie, dass das Lecken auch eine soziale Geste ist – oftmals eine der Unterwerfung: Ob Herrchen oder Hund, wer um den Mund herum abgeschlabbert wird, hat die Hosen an und soll womöglich sogar beschwichtigt werden. Bei Kindern verhält es sich in der Regel etwas anders. Bekommen sie die Zunge des Hundes zu spüren, hat es weniger etwas mit Unterwürfigkeit zu tun. Stattdessen zeigt der Vierbeiner ihnen damit seine Zuneigung und Fürsorge. 

Im Vergleich zur menschlichen Zunge hat die Hundezunge also mehr Funktionen. Geschmacklich kann sie allerdings mit der Zunge des Menschen nicht mithalten. Während wir mit unseren 9000 Geschmacksknospen auf der Zunge fünf oder gar mehr Geschmacks­richtungen schmecken können, müssen sich Hunde mit sauer, süss, salzig und bitter zufrieden geben; stehen ihnen doch lediglich 1500 Geschmacksknospen zur Verfügung. 

Nicht eklig, sondern gesund
Und dann ist da noch der Geruch: So mancher Mensch ekelt sich davor, von einem Hund abgeleckt zu werden. Die Spucke riecht unangenehm, die Schnauze ist nass und kalt – das alles wird oft als widerlich empfunden. Dabei sei die Zunge eines gesunden Hundes nicht mehr oder weniger mit Bakterien belegt als die des Menschen, sagt Julika Fitzi. Da war man im Mittelalter um einiges hartgesottener. Hundegalle kam bei Epilepsie zum Einsatz, Hundehaut bei Arthritis und Hundefett bei Lungenerkrankungen. Ja, der Hund war ein beliebter Rohstoff in der Medizin. 

Bis heute gehalten hat sich die Redewendung, sich «die Wunden lecken». Sie beruht darauf, dass der Speichel des Hundes Bakterien abtötet. Welche und wie viele genau, ist allerdings nicht bekannt. Und dann gibt es sogar die schon seit einiger Zeit von Wissenschaftlern aus Arizona untersuchte These, wonach die Mikroben auf der Hundezunge das Wachstum positiver Mikroorganismen im menschlichen Körper anregen und damit zur Gesundheit beitragen sollen. Das Ergebnis bleibt abzuwarten. Fest steht aber jetzt schon, dass Hundehalter, die immer kleinen Mengen an Bakterien ihrer Lieblinge ausgesetzt sind, ein besseres Immunsystem haben.