Kleinere Rangeleien kommen in der harmonischsten Herde vor. «Beim Toben sind Pferde oft recht grob. Für den Besitzer ist es nicht immer einfach, den Unterschied zwischen Spiel und Kampf zu sehen», sagt Michelle Meister, pferdepsychologische Verhaltenstherapeutin und Pferdelehrerin. Sie leitet zusammen mit Karin Weber den Islandpferdebetrieb Fliederhof in Maschwanden ZH.

Zum Problem werden die Raufereien dann, wenn sie zum Dauerstress oder ernsthaften Verletzungsrisiko werden. In der Regel lässt sich dem einfach vorbeugen: Sind ausreichend Platz zum Ausweichen und genügend Futter vorhanden, und ist die Zusammensetzung der Herde einigermassen konstant, gibt es gar keinen Nährboden für Frust und Aggressionen.

Nicht alle Pferde haben Sozialverhalten gelernt
Trotzdem trifft man auch in artgerechter Haltung gelegentlich auf einen Vierbeiner, der andere Pferde ständig gezielt angreift und sich in keine Gruppe integrieren lässt. «Solche Tiere wurden oft jahrelang einzeln gehalten und haben nie Sozialverhalten gelernt», sagt Meister. «Sie können die Mimik und die Körpersprache ihrer Artgenossen nicht deuten und zeigen auch selber keine typische Mimik. Das führt zwangsläufig zu Konflikten.»

Ebenso gebe es Pferde, die nach schlechten Erfahrungen – etwa, wenn sie in einer Herde gejagt und vom Futter vertrieben wurden – aggressiv werden. Meister empfiehlt in solchen Fällen, den «Unruhestifter» zunächst mit nur einem verträglichen Weidepartner zusammenzustellen. Wenn das gut funktioniere, sollte man die Gruppe nur langsam vergrös­sern. Es könne gut zwei Jahre dauern, bevor ein erwachsenes Pferd, das in jungen Jahren keine Erfahrungen mit anderen Pferden sammeln konnte, in der Herde verträglich wird. In seltenen Fällen sei für alle Beteiligten die Haltung in einer Paddockbox mit Sozialkontakt über den Zaun und auf einer Weide, die zwar von den anderen Pferden getrennt ist, aber Sichtkontakt ermöglicht, die beste Lösung.

Manche Pferde schlagen und beissen vor allem während des Reitens nach ihren Artgenossen. Dahinter können sowohl schlechte Erfahrungen als auch Haltungsfehler stecken: Sehen sich Pferde sonst nur durch die Gitterstäbe der Box, wollen sie unter Umständen die Rangordnung klären und Frustrationen entladen, wenn sie auf dem Reitplatz aufeinandertreffen. Bei Turnieren werden aggressive Pferde mit einer roten Schleife im Schweif «geschmückt», um die anderen zu warnen.

Manchmal werden Treten und Beissen unterm Sattel zur Gewohnheit. «Dann ist es schwierig und langwierig, das wieder abzustellen. Deshalb ist es wichtig, dass der Reiter es erst gar nicht so weit kommen lässt», sagt die Trainerin. Dazu gehöre, auf Signale wie Ohrenanlegen oder Drohen sofort ruhig, aber bestimmt zu reagieren, damit die Situation gar nicht erst eskaliert. Man könne dem Pferd eine Aufgabe geben, sodass es sich wieder auf den Reiter konzentriert. Funktionieren kann das natürlich nur, wenn das Pferd die Aufgabe annimmt.

«Vertraut und respektiert das Pferd seinen Reiter als Alphatier, kommt es beim Reiten meiner Erfahrung nach meist gar nicht zu Aggressionen gegenüber anderen Pferden», erklärt Meister. Man sollte deshalb stets an einem guten Verhältnis arbeiten und schon kleine Anzeichen dafür, dass das Pferd den Menschen nicht als Leitfigur anerkennt, ernst nehmen. Ein Alarmsignal könne zum Beispiel Anrempeln beim Führen oder das Ziehen am Jackenärmel sein. Kommt man alleine nicht weiter, solle man möglichst früh einen erfahrenen Ausbilder um Hilfe bitten.