Als Verlängerung des Reiterarmes können Gerten die Richtung weisen, touchieren, begrenzen oder zu einem fleissigeren Vorwärts animieren. «Besonders in der Bodenarbeit ist die Gerte für mich unverzichtbar», sagt Zoe Sanigar, pferdepsychologische Verhaltenstherapeutin und Reitlehrerin. «Ich tippe mit ihr einzelne Beine an, etwa bei der Aktivierung der Hinterhand für das vermehrte Untertreten, und nutze sie, um Stellung und Biegung im Rippenbogen zu erarbeiten.» 

Neben der Touchiergerte nutzt die Ausbilderin aus Gränichen AG regelmässig eine Longiergerte. Damit gibt sie unter anderem im Anfängerunterricht Gangart und Tempo vor, damit sich der Reitschüler erst einmal ganz auf seinen Sitz konzentrieren kann. Bei der Ausbildung von jungen Pferden können gezielte Impulse mit der (Longier-)Gerte dabei helfen, dass das Pferd, noch bevor es das Reitergewicht trägt, Hilfen kennenlernt, ein besseres Körperbewusstsein und einen Sinn für Balance entwickelt. Unterm Sattel kann man mit der Gerte unter anderem Schenkel- und Gewichtshilfen unterstützen und verstärken. Es gibt also gute Gründe und viele Möglichkeiten, mit Gerte zu trainieren – allerdings nur unter Beachtung von ein paar Regeln.

Gerten sind nichts für Anfänger ...
Die Sporen muss man sich verdienen, das ist ein alter Leitsatz der klassischen Reitkunst. Für die Gerte sollte das Gleiche gelten, denn sie erfordert einen ausbalancierten Sitz, eine ruhige Hand und gutes Koordinationsvermögen. Das gilt ganz besonders, wenn man ein junges Pferd oder ein Korrekturpferd reitet. «Leider wird die Gerte vielerorts ohne Plan und unbedacht eingesetzt, teilweise sehe ich schon Anfänger in den ersten Reitstunden damit herumwerkeln», sagt Sanigar.

Besonders in der Bodenarbeit ist die Gerte für mich unverzichtbar

Zoe Sanigar
Pferdepsychologische Verhaltenstherapeutin

Die Gerte in der Hand eines unerfahrenen Reiters ist in mehrerer Hinsicht problematisch. Wer ein Pferd ohne Gerte nicht so reiten kann, dass es schwungvoll, losgelassen und vertrauensvoll die Anlehnung sucht, kann das mit der Gerte nicht kompensieren. Im Gegenteil: Unpräziser oder ständiger Gerteneinsatz kann zu Verspannungen, Gegenwehr oder Abstumpfung führen.  

Sitzt ein Reiter entweder wackelig oder steif und dadurch mit unruhigen Händen im Sattel, berührt er mit der Gerte möglicherweise ständig den Pferdekörper. Oder er ruckt beim Touchieren der Hinterhand unabsichtlich gleichzeitig am Zügel. Das ist eine für das Pferd so verwirrende wie frustrierende Situation, die übrigens auch entstehen kann, wenn man die Hinterhand mit einer zu kurzen Gerte touchieren möchte. 

... und sind auch kein Gaspedal
Neben der richtigen Gertenlänge hilft diese Übung von Verhaltenstherapeutin Zoe Sanigar: «Man legt eine zweite, kürzere Gerte auf beide Zügelhände unter die Daumen. Zieht die Hand, die die Dressurgerte hält und diese einsetzen will, nun am Zügel, merkt die andere Hand das sofort.» So lernen Reiterinnen und Reiter, die Gertenhand so weit zur Seite zu bewegen, dass die Gerte über den Oberschenkel des Reiters aus dem Handgelenk den hinteren Teil des Pferdekörpers erreichen kann.

Zwei lange Gerten – in jeder Hand eine – sind sinnvoll, wenn das Pferd noch nicht mit vertrauensvoller Anlehnung ans Gebiss tritt und in der Bahn viele Richtungswechsel geritten werden. «Denn beim Wechsel der Gerte von einer Hand in die andere fällt es selbst geübten Reitern oft schwer, die Hände ruhig zu halten», weiss die Expertin.

Gertenhilfen sollten mit so wenig Druck wie möglich, aber durchaus eindeutig gegeben werden. Wie stark der Impuls sein muss, hängt vom Pferd und der Situation ab. «Im normalen Training fängt man wie bei jeder Reiterhilfe mit einer höflichen Bitte an, welche in weiteren Phasen verstärkt wird, bis die gewünschte Reaktion des Pferdes eintritt», erklärt Sanigar. Dies sei ein verständlicher und fairer Prozess, dessen Ziel es sei, dass das Pferd in allen Bereichen auf die feinsten Hilfen reagiert. Wichtig ist, dass man die richtige Reihenfolge einhält, also die Gerte immer erst dann einsetzt, wenn Schenkel- und Gewichtshilfen nicht genügend angenommen werden. In diesem Fall dient die Gertenhilfe als Verstärkung. 

Strafend bedeutet für mich: Die Handlung wird von Emotionen wie Ärger, Unmut oder sogar Verzweiflung begleitet. Diese Energie nimmt das Pferd wahr

Zoe Sanigar
Pferdepsychologische Verhaltenstherapeutin

Die Gerte kann aber auch als Begrenzung eingesetzt werden, um das Ausscheren der Hinterhand auf Wendungen oder das Fallen auf die Schulter zu begrenzen. Die Gerte sollte immer wieder ganz weggelassen werden, ohne dass das Pferd zum Beispiel «auseinanderfällt», an Schwung verliert oder gegen die reiterlichen Hilfen geht. Nur so kann kontrolliert werden, ob das Pferd die Hilfen auch verstanden hat. 

Bei Pferden, die sehr untertourig laufen, ist die Gerte allerdings oft ständig im Einsatz. Nachhaltig zum fleissigen Vorwärts motivieren lässt sich der Vierbeiner so aber nicht. Allein schon deshalb, weil die vermeintliche Faulheit meist lediglich ein Symptom für ganz andere Probleme ist. «Man sollte abklären, ob das Pferd grundsätzlich gesund ist, die Ausrüstung passt und ob der Reiter das Pferd nicht in der Bewegung blockiert», rät die Trainerin. Ist in diesen Bereichen alles in Ordnung, empfiehlt sie die Korrektur durch einen sachkundigen und feinfühligen Bereiter. «Das Pferd muss erst wieder lernen, Hilfen anzunehmen und durchlässig vorwärtszugehen. Denn oftmals sind sogenannte faule Pferde erstmals steif gerittene Pferde.»

Klare Impulse, aber nie bestrafen
Aus Angst, dem Pferd wehzutun, setzen viele Reiter die Gerte sehr zögerlich, aber konstant ein. Was freundlich gemeint ist, führtletztlich zur Desensibilisierung. Das Pferd glaubt, dass es seine Aufgabe ist, dass unangenehme «Gefitzel» einfach auszuhalten. Oft reagiert der Reiter irgendwann doch mit Unmut auf die fehlende Reaktion des Pferdes. Nachdem er eine Stunde lang auf das Pferd mit der Gerte eingesäuselt hat, werde die Intensität des Gerteneinsatzes plötzlich ums zehnfache erhöht, erzählt Sanigar. Für das Pferd, das nicht versteht, was der Reiter von ihm wollte, sei das ein Riesenknall aus dem Nichts. «Zu Recht reagieren sensible Pferde darauf mit Angst und Flucht, selbstbewusstere Tiere mit Abwehrverhalten und Protest.»

So oder so sollte man die Gerte nie als Strafmittel benutzen. «Strafend bedeutet für mich: Die Handlung wird von Emotionen wie Ärger, Unmut oder sogar Verzweiflung begleitet. Diese Energie nimmt das Pferd wahr», sagt die Reitlehrerin. «Pferde können sehr gut unterscheiden, ob es sich um einen fairen korrigierenden oder um einen strafenden Impuls handelt.» Verknüpft ein Pferd die Gerte mit Angst und Schmerzen, ist das Vertrauensverhältnis zum Menschen in Sekundenschnelle zerstört und die Gerte als Hilfsmittel erst einmal unbrauchbar geworden. Dann muss das Pferd langwierig umkonditioniert werden und sehr viele positive Erfahrungen mit der Gerte machen, bevor man sie wieder normal einsetzen kann.