Vor über 4000 Jahren hat der Mensch in der Eurasischen Steppe Pferde domestiziert, um sie als Arbeits- und Reittiere einzusetzen. Seit dem Ende des Zweiten Weltkrieges hat sich in dieser Verbindung zwischen Zwei- und Vierbeinern etwas Grundlegendes verändert, zumindest in der westlichen Welt: Das Pferd wurde als Arbeits-, Transport- oder Kriegsmittel obsolet und wandelte sich zum Sport- und Freizeitpartner. Die Bezeichnung «Partner» verdeutlicht es: Immer lauter wird die Forderung nach einer Gleichbehandlung von Mensch und Tier. Das Pferd soll als eigenständiges Subjekt gesehen, mit den gleichen Rechten ausgestattet und nach denselben ethischen Massstäben behandelt werden wie der Mensch. «Für eine zunehmende Anzahl Personen besteht gar kein moralischer Unterschied mehr zwischen Mensch und Tier», sagt Heinrich Binder, der ehemalige Tierschutzbeauftragte des Bundesamtes für Lebensmittelsicherheit und Veterinärwesen. Gemeinsam mit Michael Hässig, Professor für klinische Epidemiologie am Tierspital Zürich, referierte er an der Netzwerktagung «Pferd und Gesellschaft» zur Ethik im Pferdesport. Darüber, wie genau ein Pferd gehalten werden soll und genutzt werden darf, sind neue Ansichten entstanden. Früher galt die Meinung, wenn ein Tier körperlich gesund ist, geht es ihm gut. Heute wird gefordert, dass auch psychische respektive emotionale Aspekte in die Beurteilung miteinbezogen werden. «Wohlbefinden bedeutet ein Zustand, der geprägt ist von positiven Gefühlen, Sicherheit, Wahlmöglichkeiten und der Entfaltung der eigenen Persönlichkeit», so Verhaltensbiologin und Pferdetrainerin Marlitt Wendt.

Die Pferdewissenschaften haben sich in den vergangenen Jahren gerade im Bereich der Emotionsforschung stark entwickelt und verschiedene Parameter wie die Bestimmung der Stresshormone, die Herzfrequenzanalyse und die Augapfelthermografie ausgearbeitet, um die Befindlichkeit objektiv zu beurteilen.

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Persönlichkeit fördern, nicht überfordern

Der Auffassung vom Pferd als sensibles und selbst-bestimmtes Wesen stehen jedoch Vorfälle, die in den Medien Furore machten, diametral entgegen. Zuletzt war es der dänische Weltklasse-Dressurreiter Andreas Helgstrand, der in Verruf geriet. In dessen Handelsstall waren während verdeckten Filmaufnahmen Pferde zu sehen, die so brutal trainiert wurden, dass sie aus dem Maul und an den Flanken bluteten. Ein würdevoller und dem Wohlergehen zuträglicher Umgang mit Pferden sieht anders aus. Doch wie genau?

Dieser Frage hat Marlitt Wendt ein Buch mit dem Titel «Die Rechte der Pferde. Ein Plädoyer für Tierwohl und Ethik» gewidmet. Darin thematisiert sie das Konfliktfeld, das sich zwischen den Wünschen und Ansprüchen der Menschen und dem Recht der Pferde auf ein artgerechtes Leben auftut. Wendt ist sich mit Heinrich Binder dahingehend einig, dass die Befolgung der Mindestanforderungen, die im Tierschutzgesetz festgehalten sind, noch keine tiergerechte Haltung garantiert. «Es geht nicht nur um das, was die Tierart Pferd mindestens braucht, um sich wohlzufühlen, sondern gerade um das Quäntchen, was das einzelne Individuum zu seiner Persönlichkeitsentfaltung benötigt», so Marlitt Wendt.

Ein pferdegerechter Umgang ist dann gegeben, wenn das Tier verstehen kann, was man von ihm verlangt, die Stimuli müssen erklärbar sein. Und das Pferd muss die körperlichen und mentalen Ressourcen mitbringen, um diese Anforderungen erfüllen zu können. Zudem soll sich eine Leistung lohnen, also mit einem positiven Erlebnis verknüpft sein. Diese Ansicht vertritt Michael Hässig. «Ein Pferd darf niemals mit Gewalt über sein körperliches und psychisches Leistungsvermögen und seine Leistungsbereitschaft gebracht werden», sagt auch Marlitt Wendt. Wichtig sei, in diesem Bezug gut erkennen und berücksichtigen zu können, wie das jeweilige Pferd stressauslösende Situationen meistert. Gehört ein Pferd zum aktiven Stresstyp, der innere Konflikte mit impulsivem Verhalten zeigt, oder gehört es zum introvertierten Stresstyp, der sich bei Stress zurückzieht und förmlich erstarrt.

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Ein ethisch korrekter Umgang – aber wie?

Schnell erfolgt dann ein Klapps mit der Gerte, um den widerspenstigen Bock anzutreiben, oder ein lauter Lacher über das vor Stress buckelnde Pferd. «Gewalt im Pferdebereich hat viele Gesichter und ist so allgegenwärtig, dass sie oft gar nicht als solche wahrgenommen wird oder gar gebilligt wird», so Marlitt Wendt. Die Pferdekennerin appelliert, dass Ausdrucksformen der Gewalt nicht verharmlost werden dürfen, sondern viel mehr die Ursache, weshalb ein Pferd sich widersetzt, gesucht werden muss.

Ein weiterer wichtiger Punkt, um zum Wohlergehen beizutragen, ist laut Wendt die genaue Beobachtung und kritische Hinterfragung des angewendeten Ausbildungskonzeptes. Wird kleinschrittig und über positive Verstärkung statt Druck gearbeitet? Oder zeigen die Pferde Meideverhalten sowie erlernte Hilflosigkeit? Hier können der Pferdebesitzer und die Reitschülerin eine Wahl treffen.

Der Ort, wo ein unmoralischer Umgang für die grössere Öffentlichkeit sichtbar wird, ist der Turnierplatz. Doch bisher fehlt es laut Michael Hässig an einem griffigen Überwachungssystem. «Wer das Kontrollorgan stellt, wenn es um die Einhaltung ethischer Grundsätze im Pferdesport geht, ist noch ungeklärt.» Damit es gar nicht dazu kommen muss, dass eine Instanz aktiviert wird, die bei Schmerzsignalen der Pferde eingreift, müsste der Turniersport grundlegend umgekrempelt werden, findet Wendt. «Pferdefreundliches Reiten muss belohnt und die Prüfungsanforderungen müssen heruntergeschraubt werden.» Das Ziel des Sports soll ein harmonisches Miteinander sein, das die Gesundheit fördert, statt immer mehr ins Extreme zu gehen.

«Offensichtliche Problemfelder bei den anderen zu benennen, ist das eine, bei sich selbst sieht die Sache oft anders aus», sagt Marlitt Wendt. Deshalb seien ein konstruktives Feedback von aussen und eine selbst-kritische Haltung wichtig. Für jede einzelne Reiterin sei es eine Lebensaufgabe, immer weiterzulernen, die eigene Reiterei konstant zu überprüfen sowie Stress- und Schmerzsymptome beim Pferd ernst zu nehmen.

Würden Pferdeleute nicht konstant prüfen, welches Verhalten das Potenzial hat, dem Tier zu schaden, und dieses zu vermeiden, dann sei ein Reitverbot als Konsequenz in gar nicht so ferner Zukunft kein unrealistisches Szenario mehr, gibt Heinrich Binder zu bedenken.