Wenn der Kaderreite Patrick Rüegg von seiner Pferdedisziplin spricht, gerät er ins Schwärmen: «Es ist diese tiefe Beziehung zwischen Mensch und Pferd, die mich so am Vielseitigkeitssport fasziniert.» Über das umfassende Training der drei Teilprüfungen Dressur, Geländeritt und Springen lerne man alle Facetten des vierbeinigen Partners kennen. Und die Höchstleitung auf der Cross-Strecke verlange fast blindes gegenseitiges Vertrauen. 

Die mehrere Kilometer lange Geländestrecke, auf der es im rasanten Galopp Gräben, Baumstämme, Auf- und Absprünge oder Hecken zu überwinden gilt, bildet das Herzstück eines Vielseitigkeits-Wettbewerbes. Viel Mut und Ausdauer sind hier unerlässlich. Sieht man die Buschreiter über die mächtigen Hindernisse flitzen, kann einen schon mal kurz der Atem stocken. Eine unglaubliche Energie wird spürbar und die Konzentration aber auch der Spass ist den Reiter-Pferdepaaren, etwa beim Durchqueren eines Wasserhindernisses, ins Gesicht geschrieben.

«Natürlich ist ein seriöses und vielseitiges Training unerlässlich, um eine solche Leistung zu erbringen», sagt Rüegg, der in Altwis LU seine Pferde selber ausbildet. Genauso abwechslungsreich wie die Disziplin muss auch der Trainingsplan gestaltet sein. Dressur- und Springeinheiten werden ergänzt durch Ritte ins Gelände. Hier stehen lange Galoppstrecken, der Trab auf einen Hügel hinauf und das Intervalltraining auf verschiedensten Bodenbeschaffenheiten auf dem Programm. 

Vielseitigkeitsreiten im Video vorgestellt

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Fitness gepaart mit viel Nervenstärke
Rüegg betont, dass es dabei wichtig sei, immer auf die richtige Dosierung zu achten. Denn die Gesundheit des Pferdes hat oberste Priorität. Mit einem guten Training des Pferdes, aber auch der Reiterin oder des Reiters alleine ist es jedoch nicht getan. Von beiden Partnern müssen auch gewisse psychische Voraussetzungen mitgebracht werden. Das sogenannte Interieur des Pferdes, also der Charakter, spielt eine wichtige Rolle. «Die Leistungsbereitschaft muss vorhanden sein», gibt Patrick Rüegg zu bedenken. 

Auch der Reiter muss neben einer guten körperlichen Fitness über viel Nervenstärke, eine gute Portion Selbstsicherheit und ein hohes Mass an Empathie verfügen. Eine realistische Einschätzung und nicht Überschätzung des eigenen Könnens und des Vermögens des tierischen Partners sind wichtig, um Unfälle zu vermeiden.

Korrekte Ausrüstung ist wichtig
Auf den Sicherheitsaspekt legt auch die ausgebildete Vereins-, Jugend- und Sport-Trainerin sowie Crossbauerin Barbara Spejchalová grossen Wert. Die korrekte Ausrüstung von Reiter und Pferd haben bei ihren Gelände-Trainings oberste Priorität. Mit einem Rückenschutz und einem gut passenden Helm muss der Reitende ausgestattet sein. Das Pferd soll vier geschlossene Gamaschen als Beinschutz tragen und einen Halsring oder ein Vorgeschirr, damit sich die Reiterin bei Sprüngen festhalten kann. Dies bietet Sicherheit und verhindert für das Pferd unangenehmes Reissen im Maul. Denn oft sind es im Concours Complet wenig erfahrene Paare, die bei der Amateur-Vielseitigkeitsreiterin erste Erfahrungen in dieser Disziplin sammeln. 

Vom Minishetlandpony, das am Führseil seiner jungen Besitzerin das erste Mal über einen kleinen Baumstamm hüpft, bis zum Westernreiter, der mit seinem Quarter Horse daran arbeiten möchte, die Auf- und Absprünge im lockeren Trab zu meistern, sind alle willkommen. «Spass soll es machen und eine Abwechslung bieten», sagt Spejchalová, der es wichtig ist, Pferdeliebe und Pferdesport zu vereinbaren. Sie findet, genau wie der ambitionierte Sportreiter Patrick Rüegg, die starke Verbindung zwischen Tier und Mensch besonders schön am Concours Complet.

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Schweiz bewirbt sich um nächste EM
«Das gemeinsame Überwinden der Geländehindernisse schweisst das Reiter-Pferd-Paar zusammen und man lernt sich gegenseitig besser kennen.» Ohne Druck, über einen spielerischen und individuell angepassten Aufbau will die Trainerin unerfahrenen Reiterinnen und Reitern oder Pferden einen Einstieg in die Vielseitigkeitsreiterei eröffnen.

Und dieses Angebot stösst auf eine grosse Nachfrage. «Denn die Vielseitigkeitsreiterei hat sich in der Schweiz in letzter Zeit äusserst positiv entwickelt», berichtet Patrick Rüegg. Immer mehr Schweizer gehen an Concours Complet Turnieren an den Start und verbuchen dabei auch Erfolge auf dem internationalen Parkett. So belegten Schweizer Vielseitigkeitsreiterinnen und -reiter an zwei kürzlich im italienischen Montelibretti und Pratoni del Vivaro ausgetragenen, hochkarätig besetzten Turnieren zahlreiche gute Klassierungen und gar Podestplätze. 

Diese Erfolge sind auch dem innovativen Förderprogramm «Masterclass Swiss Eventing» zu verdanken. Dank Bundesbeiträgen aus dem Nationalen Sportanlagenkonzept können Trainings unter Wettkampfbedingungen und ein Monitoring durch wissenschaftliche Studien zu Fitness, Belastung oder Thermoregulation der Sportlerpaare, angeboten werden. Und mit beispielsweise dem Nationalen Pferdezentrum in Bern oder dem Nationalen Reitsportzentrum (IENA) in Avenches VD verfügt die Schweiz über Institutionen, die für das Training und die Ausrichtung von Turnieren dieser Disziplin ausgezeichnete Voraussetzungen bieten. So bestätigte der Equipenchef des Schweizer CC-Teams, Dominik Burger, Mitte Dezember 2020 die offizielle Kandidatur des IENA für die Ausrichtung der Concours-Complet-Europameisterschaft im September 2021.