In der Reitanlage von Familie Bachmann bei Winterthur grasen Pferde einträchtig Seite an Seite, betreiben Fellpflege und toben zusammen über die Koppeln. Das wäre nicht weiter ungewöhnlich – wäre da nicht die Tatsache, dass hier überwiegend Hengste stehen. «Nachdem wir feststellen mussten, dass Hengste in den meisten Pensionsställen entweder in Einzelhaft gehalten werden oder gar nicht willkommen sind, haben wir 2008 den Hengststall gegründet. Jetzt kommen bei uns sowohl Hengste mit Hengsten, als auch Hengste mit Wallachen auf die Weide», berichtet Claudia Bachmann.

Den meisten Reitern mag dieses Haltungskonzept reichlich gewagt erscheinen. Denn obwohl artgerechte Gruppenhaltung seit Jahren auf dem Vormarsch ist, hat sich für die meisten Hengste nichts geändert. Sie haben höchstens durch die Gitterstäbe ihrer Box oder aus sicherer Entfernung über den Weidezaun Kontakt zu Artgenossen. Fehlender sozialer Umgang und oft mangelnder Auslauf sind Stressfaktoren, die Wohlbefinden und Gesundheit des Hengstes beeinträchtigen und sich auch im Umgang mit dem Menschen negativ bemerkbar machen.

Dabei macht uns die Natur vor, dass es anders geht. Wildpferde bilden neben dem Harem mit einem Hengst, mehreren Stuten und deren Fohlen auch Junggesellen-Verbände. In die Männergruppen aufgenommen werden ein- bis vierjährige Junghengste und ältere Hengste, die ihre Stuten einem jüngeren Konkurrenten überlassen mussten. Ausser, wenn Stuten in der Nähe zu Rivalitätskämpfen animieren, ist das Zusammenleben friedlich und erhöht die Überlebenschancen der einzelnen Tiere. Denn alleine könnten die Fluchttiere in freier Wildbahn kaum in Ruhe fressen oder schlafen, ohne leichte Beute zu werden.

Dass man das natürliche Prinzip auf die Haltung von Reit- und Deckhengsten übertragen kann, ist sogar wissenschaftlich belegt. 2009 und 2010 führte das Schweizer Nationalgestüt in Avenches VD zwei Studien mit fünf beziehungsweise acht Freibergerdeckhengsten in Gruppenhaltung durch. Nach einer zweiwöchigen Eingewöhnungsphase wurden die 9- bis 18-jährigen Pferde zusammen auf die Weide gelassen. Nach heftigen Auseinandersetzungen in der ersten halben Stunde, bei denen aber kein Tier nennenswert verletzt wurde, kehrte Ruhe ein. Im Laufe der nächsten Monate beobachteten die Forscher eine Festigung der Hierarchie und zunehmend positive Interaktionen wie Fellpflege. Ähnliche Erfahrungen machte auch der Naturschutzbund Deutschland, der in einigen Naturschutzgebieten halbwilde Konikhengstherden zur Landschaftspflege einsetzt.

Sogar streitlustige Hengste lassen sich in Gruppen integrieren
Damit artgerechte Hengsthaltung in der Reitanlage funktioniert und nicht zu einem Verletzungsrisiko wird, dürfen aber natürlich keine Stuten in Sicht-, Geruchs- oder Hörweite gehalten oder geritten werden. Ein Aufwand, der sich lohnt: «Wir hatten schon sehr energiegeladene Hengste hier, die nach drei Wochen zum Erstaunen der Besitzer plötzlich extrem cool wurden. Sie liessen sich gut führen, waren lieb, ausgeglichen und zeigten keine Stress-Symptome mehr», erzählt Bachmann.

Selbst Hengste, die durch lange Einzelhaltung streitlustig und unsozial geworden waren, liessen sich in der Regel mit Geduld in die richtige Gruppe integrieren. «Wir haben festgestellt, dass sich solche Hengste am leichtesten mit einem unkomplizierten Wallach oder Pony anfreunden», sagt Bachmann. «Es ist aber wichtig, ihnen genügend Zeit zu geben, sie konsequent und mit Fachwissen zu erziehen und sie nicht in der Einzelhaft zu belassen.»