Ihren Namen hat die Hufrolle bekommen, weil ihr Hauptbestandteil, das Strahlbein, als eine Art Umlenkrolle für die tiefe Beugesehne fungiert. In Wirklichkeit «rollt» die Sehne aber nicht, sondern gleitet über den kleinen Strahlbeinknochen. Damit das schmerzfrei und problemlos funktionieren kann, liegt zwischen Knochen und Sehne der Hufrollenschleimbeutel. Der Hufrollenkomplex umfasst ausserdem noch die Gefäss- und Nervenversorgung des Strahlbeins, das untere Strahlbeinband, die Seitenbänder sowie den hinteren Teil des Hufgelenks.

Jeder einzelne Teil dieses Komplexes kann erkranken. Und da Nerven, Gefässe, Sehnen, Bänder und Knochen sehr nah beieinanderliegen und oft auch funktionell miteinander verbunden sind, führen Entzündungen oder Erkrankungen in einem Teil häufig dazu, dass auch andere Bereiche der Hufrolle Schaden nehmen. Im Endstadium verändert sich der Strahlbeinknochen im Inneren und an seinen Gleitflächen, sodass er seine Funktion nicht mehr richtig erfüllen kann und das Pferd enorme Schmerzen hat.

Eine Krankheit, viele Ursachen
Das Hufrollensyndrom, auch Strahlbein­erkrankung genannt, gehört zu den häufigsten Gründen für Lahmheiten der Vorhand – meistens sind beide Vorderhufe gleichzeitig betroffen. Je nachdem, wie weit fortgeschritten die Erkrankung ist, laufen betroffene Pferde oft nur zu Beginn des Trainings ein wenig steif oder stolpern häufiger. Manche Pferde werden plötzlich auf dem Springplatz oder bei bestimmten Lektionen in der Dressur oder beim Westerntraining widersetzlich oder zögerlich. Später kommen deutliche Taktstörungen und Lahmheiten, vor allem auf harten Böden, gebogenen Linien und auf engen Wendungen dazu, die Pferde versuchen auch auf der Weide oder in der Box, eine Schonhaltung einzunehmen.

Wissenschaftler sind sich heute weitgehend einig, dass es mehrere Faktoren gibt, die zur Entstehung des Hufrollensyndroms beitragen. Neben einer genetisch bedingten Veranlagung, Fehlstellungen und Gefässveränderungen begünstigen mangelhafte Durchblutung des Gewebes, zum Beispiel aufgrund von Haltungsfehlern, aber auch übermässige Belastung die Erkrankung.

Eine wichtige Rolle spielt zudem die Hufgesundheit. Denn nur ein korrekt geformter, gesunder Huf mit gut ausgebildetem Strahlkissen und funktioneller Sohle kann als Stossdämpfer wirken und die Kräfte, die beim Training unter dem Sattel auf den Hufrollenkomplex wirken, bis zu einem gewissen Grad kompensieren.

Da Vorbeugen bekanntlich besser ist als Heilen, sollte man den Hufen schon beim gesunden Pferd viel Aufmerksamkeit schenken. «Die Hufe sollten je nach Wachstumsgeschwindigkeit konsequent nach sechs bis sieben Wochen korrigiert werden, auch wenn die Eisen noch länger halten würden», rät der Tierarzt Jürg Hugelshofer, der seit rund 35 Jahren auf Hufkrankheiten spezialisiert ist und mit der Tierklinik Rossweid in Gockhausen ZH zusammenarbeitet. «Vorbeugend sollte man zudem übermässige Belastungen des Strahlbeins, etwa durch Galopp auf harten Böden, vermeiden.»

Moderne Technik hilft bei der Diagnose
Bei Verdacht auf Hufrollensyndrom untersucht der Tierarzt Hufe und Beine zuerst durch Abtasten und indem er das Pferd in der Bewegung beobachtet. Um festzustellen, wo in der Hufrolle das Problem genau sitzt, werden einzelne Strukturen betäubt. Ist das Pferd anschliessend weniger schmerzempfindlich oder läuft es sogar lahmfrei, könnte man den Erkrankungsherd gefunden haben.

In der Theorie klingt das einfach. Die Praxis ist jedoch viel komplizierter. Dies weil die umgebenden Strukturen der Hufrolle durch ihre Nähe kaum unabhängig voneinander betäubt werden können. Zudem sind im fortgeschrittenen Krankheitsstadium oft so viele Strukturen betroffen, dass es fast unmöglich ist, die eigentliche Ursache von den Folgeerkrankungen zu unterscheiden. Auch das Röntgen des Strahlbeines, lange das gängige Diagnoseverfahren beim Hufrollensyndrom, erlaubt keine wirklich spezifische Diagnose, da Probleme in den Weichteilen nicht erkannt werden.

«Dank moderner Techniken wie der Magnet-Resonanz-Tomographie und der Szintigraphie, mit der entzündliche Gewebe erkannt werden, können wir uns inzwischen auch die Weichteile des Hufes anschauen und wissen, dass mehr als die Hälfte der sogenannten Strahlbeinlahmheiten ihre Ursachen in der der direkten Umgebung des Strahlbeines haben», sagt Jürg Hugelshofer. Die eigentliche Erkrankung des Strahlbeinknochens, für die es bis heute keine zufriedenstellende Therapie gebe, komme also weit weniger häufig vor, als früher vermutet wurde.

Frühere Fehldiagnosen hätten zu unzähligen unnötigen Nervenschnitten und Schlachtungen geführt. Eine Situation, die sich zum Glück verbessert hat. Denn werden sie rechtzeitig bemerkt, können Entzündungen der Weichteile durch mehrwöchige Ruhepausen und entzündungshemmende Mittel mehr oder weniger schnell abheilen, sodass das Pferd danach wieder normal eingesetzt werden kann. Enorm wichtig ist in dieser Phase die regelmässige Hufkorrektur durch einen erfahrenen Hufschmied oder Hufpfleger. Manchmal hilft die fachgerechte Umstellung aufs Barhuflaufen, manchmal ist ein orthopädischer Beschlag nötig. Eine der Lahmheit entsprechende, kontrollierte Bewegung auf weichem Boden ist zu empfehlen.  

Letzter Ausweg: Nervenschnitt
Sind die Strukturen der Hufrolle schon stark geschädigt, können sie aber bis heute trotz diverser neuer Therapieansätze nicht geheilt, sondern im besten Fall noch gemanagt werden, sodass das Pferd nahezu schmerzfrei weiterleben kann.

Letzter Ausweg ist dann manchmal der Nervenschnitt. «Ein unterer Nervenschnitt in Höhe der Fesselbeuge kann zum Beispiel bei Arthrosen des Hufgelenkes, die nach Hufbeinfrakturen entstehen können, sinnvoll sein», erklärt Hugelshofer. Wichtig sei, dass der Besitzer über die Folgeproblematik dieser Operation informiert werde. Da das Pferd keine Schmerzen im hinteren Hufbereich mehr empfindet, steigt laut den Experten das Risiko, dass beispielsweise Hufabzesse übersehen werden, die zu Hufrehe und im schlimmsten Fall zum Tod führen können. Pferde mit tiefem Nervenschnitt können vorsichtig geritten werden, an Turnieren dürfen sie aber nicht teilnehmen.

Da inzwischen mehrere Studien darauf hinweisen, dass die Strahlbeinerkrankung vererbbar ist, sollten Pferde mit durchtrennten Nerven auch nicht in der Zucht eingesetzt werden.