Die Geburt eines Fohlens ist immer wieder ein magischer und besonders spannender Moment. Neben der Sorge um den Gesundheitszustand des Neugeborenen beschäftigt viele Züchter die Frage, ob und wie sie das Fohlen in der Phase kurz nach der Geburt an den Menschen gewöhnen sollen.

Anhänger der «Imprinting»-Methode (engl. für «Prägung»), die Anfang der 1990er-Jahre von dem amerikanischen Tierarzt Robert Miller entwickelt wurde, beginnen mit dem Training schon vor dem ersten Saugen. Man hindert das Fohlen am Aufstehen, berührt es am ganzen Körper, klopft die Hufe ab, führt einen Finger in Körperöffnungen wie Nüstern, Ohren und After ein und bringt ihm bei, auf Druck zu weichen. Das Fohlen wird zudem mit Geräuschen wie dem Surren einer Schermaschine und potenziell angstauslösenden Objekten wie Plastikplanen konfrontiert. Dieser Prozess wird in den ersten beiden Lebenswochen mehrfach wiederholt. Richtig durchgeführt soll diese Behandlung in dieser sensiblen Phase gemäss Miller dazu führen, dass das Fohlen den Menschen nicht als Bedrohung, sondern als ranghöheres Pferd wahrnimmt und sich später durch besondere Folgsamkeit auszeichnet. Eine Behauptung, die inzwischen von zahlreichen Züchtern, aber auch von Tierärzten und Wissenschaftlern stark angezweifelt wird.

Stuten-Fohlen-Bindung ist wichtig
Bislang konnte der positive Effekt der Imprinting-Methode von keiner Studie nachgewiesen werden. So stellten zum Beispiel Forscher der Universität in Texas in einer 2010 veröffentlichten Studie fest, dass weder die Anzahl noch der Zeitpunkt der Präge-Übungen bleibenden Einfluss auf das Fohlen hatte – im Alter von sechs Monaten konnten zwischen den unterschiedlich behandelten Fohlen keine Unterschiede mehr festgestellt werden. Schlimmer noch: Laut einer Langzeitstudie der französischen Universität Rennes wirkt sich das Training nach Miller sogar nachteilig aus. Die Fohlen seien dem Menschen gegenüber vorsichtiger und allgemein ängstlicher.

Auch Sabrina Briefer vom Schweizerischen Nationalgestüt in Avenches VD steht der Imprinting-Methode kritisch gegenüber: «Die erste Bindungsphase zwischen Mutter und Fohlen ist äusserst wichtig», sagt sie. Gleich nach der Geburt leckt die Stute das Fohlen intensiv ab, später erkennt sie es an seinem Geruch. Dann steht das Fohlen auf, um die für die Immunisierung so wichtige Kolostralmilch zu trinken. Die Fohlen, die durch die Methode von Miller manipuliert werden, saugen laut Briefer durchschnittlich eine Stunde später als nicht manipulierte Fohlen. «Das Imprinting schwächt nachweislich die Stuten-Fohlen-Bindung.»

Die Wissenschaftlerin empfiehlt, jeden Eingriff in den ersten Stunden nach der Geburt zu vermeiden. Ausgenommen sind natürlich medizinische Notfälle. «Nach aktueller Forschungslage ist die effektivste Methode, eine gute Beziehung zwischen Mensch und Fohlen aufzubauen, diejenige, fünf Tage lang unbeweglich in der Box zu verbleiben und das Fohlen selber entscheiden zu lassen. Aus Neugierde sucht das Fohlen selber den Kontakt», sagt Briefer. Positiven Einfluss habe die Anwesenheit der Mutter, vorausgesetzt, dass diese in Anwesenheit des Menschen entspannt ist.