Wer von Bern südwärts fährt, erlebt innert weniger Minuten einen kompletten Szenenwechsel: Kaum endet das schier endlose Häusermeer der Agglomeration, befindet man sich bereits inmitten einer idyllischen Hügellandschaft. Hier, am Rande der Grossgemeinde Köniz scheint die Welt noch in Ordnung und der Alltagsstress in weiter Ferne. Diese Entschleunigung ist jedoch nur einer der zahlreichen Gründe, weshalb der Ziegenhof Brönnimann in Oberscherli (BE) immer häufiger frequentiert wird. Die wohl grösste Anziehungskraft üben die rund 60 Ziegen aus, die den Hof mit ihren einzigartigen Charakteren beleben. Auch die meckernde Meute scheint ihren Spass an Besuch zu haben. Mit interessiertem Blick inspizieren sie alles, was fremd ist – die mutigsten Gitzi knabbern sogar ein bisschen daran.

Jungtiere in der Herde ist für die Brönnimanns jährliche Routine. Bis zu drei Monaten lassen sie diese bei der Mutter aufwachsen und ihre Milch saugen. Dies bietet den Gitzi einen besonders gesunden Start ins Leben. «So sind sie schon immun gegen jegliche Käfer, die ihre Mutter allenfalls hatte», erklärt Andreas Brönnimann vereinfachend. Auch der Landwirt hat etwas davon: Weniger kranke Tiere im Stall und auf lange Sicht eine stetig robustere Herde.

Gegensteuer zum Mainstream

Die so eingesetzte Ziegenmilch bedeutet für den Betrieb Einbussen, denn gerade in den ersten Monaten gäbe es besonders viel Milch zu melken. In der Branche ist es deshalb üblich, die Jungtiere direkt von der Mutter zu trennen und mit günstigerer Kuhmilch zu füttern – wenn überhaupt. «Vor allem im Ausland sind die Gitzi zu einem Abfallprodukt geworden», stellt Brönnimann klar. Dieser Entwicklung will er unbedingt Gegensteuer geben. «Ich finde es wichtig, dass das Gitzifleisch ein hochwertiges Nebenprodukt ist.»

Abseits der Hauptsaison vor Ostern seien die Preise jedoch dermassen tief, dass sich ein Verkauf gar nicht mehr lohne, so Brönnimann. Dabei hätten längst nicht alle Jungtiere zur selben Zeit dasselbe Gewicht. «Wenn der Herbst lange warm ist, sind die Tiere noch gar nicht in Brunftstimmung», erklärt er. Das sei also je nach Wetter jedes Jahr anders.

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Nur dank der Direktvermarktung können sich die Brönnimanns unabhängig von solchen Preisschwankungen nach ihren Tieren richten. «Wir finden es sehr schön, im Rhythmus der Natur zu leben und es im Winter ebenfalls etwas ruhiger anzugehen», schwärmt der Landwirt.

Ziegen brachten einen Stein ins Rollen

Dass die Brönnimanns einmal auf Direktvermarktung angewiesen sein würden, hätten sie nie gedacht, bevor sie den Betrieb vor 15 Jahren übernahmen. Grund dafür waren letztendlich die Ziegen, an denen der Hoferbe schon in seiner Lehrzeit einen Narren gefressen hatte. «Mit Kühen hätten wir hier ohnehin keine Zukunft gehabt», ist Andreas Brönnimann überzeugt. Schon damals stand die Existenz des kleinen Hofes auf der Kippe. Die steile Hanglage machte es beinahe unmöglich, den Stall auszubauen. So begann das junge Ehepaar nach und nach, auf Ziegen umzustellen. Ein grosser Vorteil im Gelände ist, dass die um einiges leichteren Tiere bei nassen Bedingungen viel weniger Trittschäden machen als Kühe. Doch als die Brönnimanns 2014 ihre letzte Kuh verkauften, hatte der Aufbau ihres Hofes erst richtig begonnen.

«Zuerst versuchten wir, die Ziegenmilch zu verkaufen, was damals in der Menge sehr schwierig war», erzählt der Landwirt. «So haben wir gemerkt, dass wir die Milch selbst verarbeiten und verkaufen müssen.» Nach und nach entstand so eine eigene Käserei, in der Annemarie Brönnimann mittlerweile auch Eigenkreationen herstellt. Doch um diese Ziegenprodukte zu vertreiben, musste ein Hofladen her. Auch dieser ist mittlerweile gut gefüllt mit dem eigenen Käse und Fleisch, aber auch Produkten aus der Region – darunter Teigwaren, Eingelegtes, Gebranntes und auch Seifen, die aus der Oberscherliger Ziegenmilch hergestellt werden. «Nur wegen einem Produkt fährt niemand mehr zu einem Hofladen», so die Überlegung von Annemarie Brönnimann. «Die Kundschaft schätzt es, wenn sie neben Käse noch etwas anderes kaufen kann.»

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Auch die Gaststube wuchs mit der Nachfrage. Als Lagerplatz gebaut, meldeten immer mehr Freunde Interesse an, den Raum für Feste mieten wollten. Mittlerweile ist daraus ein weiterer Betriebszweig gewachsen und die Gaststube wird fleissig für Geburtstage, Taufen und Jubiläen inklusive selbst gekochtem Menü gebucht. Um das alles zu stemmen, wurden die Brönnimanns zu Arbeitgebern. «Es ist ein Rattenschwanz und das eine zieht das andere nach», fasst Andreas Brönnimann die Zeit der Umstellung zusammen. «Irgendwann, nach ein paar Jahren ist nichts mehr gleich, wie es einmal war.» Doch das Ehepaar hadert nicht und würde kaum etwas anders machen. «Manchmal muss man es auch einfach geschehen lassen», findet der Landwirt. Trotzdem sind sich die beiden einig, dass nun keine grossen Umstellungen mehr anstehen. «Mal etwas zur Ruhe kommen», wäre der Wunsch von Annemarie. «Optimieren beim Arbeitsaufwand», formuliert Andreas denselben Gedanken etwas anders. Er merke schon, dass er mit seinen etwas über 40 Jahren die Dinge viel mehr durchdenke, bevor er etwas ändere. «Es ist ein Glück, dass wir den Hof so jung übernehmen konnten», ist er überzeugt. «Mit dem damaligen Elan haben wir einfach gemacht, ohne viel nachzudenken. Sonst hätten wir den Mut vielleicht nicht gehabt.»

Mit viel Herzblut dabei

Um die vielen Investitionen auf dem Hof überhaupt finanzieren zu können, arbeiten Annemarie und Andreas Brönnimann bis heute auch noch auswärts. «Mittlerweile würden wir es wohl auf Biegen und Brechen hinkriegen, vom Hof alleine zu leben», meint Andreas. «Wir wollen aber nicht, dass unsere Söhne deswegen auf etwas verzichten müssen.» Den Kindern ein gutes Fundament mit auf den Weg zu geben, ist ihm besonders wichtig. «Mehr Geld für Investitionen erhält man in der Landwirtschaft schnell, aber wir wollten nicht, dass die nächste Generation bis zum Anschlag in Schulden steckt.» Schon die Fixkosten für den laufenden Betrieb seien wahnsinnig hoch. «Die kann man fast nicht decken mit dem, was man erwirtschaftet.» Dieser Fakt hindert die Bauernfamilie aber nicht daran, in jeden Betriebszweig ihres vielseitigen Hofes eine Menge Herzblut hineinzustecken.

Strenge Hierarchie

Im Zentrum ist und bleibt aber die Ziegenherde. Angefangen mit der Hochleistungsrasse Saanenziege, kreuzen die Brönnimanns nach und nach Bündner Strahlenziegen und Gemsfarbene Gebirgsziegen ein. «Da wir als Biobetrieb nur höchstens fünf Prozent Kraftfutter geben können, brauchen wir etwas robustere Tiere», begründet Andreas Brönnimann diese Entscheidung. Um Inzucht zu verhindern, werden die Böcke alle zwei bis drei Jahre ausgewechselt. Ansonsten achten die Betriebsleiter aber darauf, dass die Herde möglichst stabil bleibt. «Ziegen haben eine klare Rangordnung und um diese zu klären, kann es zu bösen Kämpfen kommen», weiss er aus Erfahrung. Kommen keine fremden Tiere dazu, gibt es jedoch kaum Probleme – trotz Hörnern.

«Als wir noch Zucht-Ziegen hatten ohne Hörner, gab es teilweise gröbere Verletzungen», erzählt Annemarie Brönnimann. Ihrer Meinung nach hat sich die hornlose Zucht überhaupt nicht bewährt. «Auch auf die Milchqualität und die Verdauung haben die Hörner einen Einfluss», weiss sie. Ein entscheidender Punkt bei einem solch labilen Verdauungstrakt, wie ihn die Ziegenhaben. Wenn es im Frühling wieder auf die Weide geht, müssen die Tiere schrittweise an die Futterumstellung gewöhnt werden. «Am ersten Tag lassen wir sie nur15 Minuten raus», erklärt Andreas Brönnimann. Dann jeden Tag ein Stückchen länger, bis sie wieder den ganzen Tag auf der Weide verbringen. «Wenn man das nicht macht, kann es schwere Folgen haben und sogar zum Tod führen.»

Immer einen Schritt voraus

Neben der heiklen Verdauung sei manchmal aber auch die Intelligenz der Tiere eine Herausforderung. «Eine Weile hatte ich das Gefühl, sie sind mir immer einen Schritt voraus», erzählt Andreas Brönnimann. «Du kannst etwas einrichten und denken, jetzt habe ich sie im Griff. Und am nächsten Tag hat schon eine herausgefunden, wie man das Problem lösen kann – zum Beispiel, das Türchen zum Laufhof zu öffnen.»

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Immerhin: Mit ausgebüxten Tieren hat die Bauernfamilie selten zu kämpfen. «Manche erzählen, dass sie zwei Meter hohe Zäune haben und die Ziegen trotzdem drüber springen», so Brönnimann. «Bei uns machen sie das kaum, weil wir sie früh an den Elektrozaun gewöhnen.» Ab und an komme es schon vor, dass ein, zwei Frechdachse auf die andere Seite hüpfen, um besonders leckere Triebe abzuknabbern. «Sie bleiben aber immer in der Nähe der Herde», betont Annemarie Brönnimann. Immerhin ein Klischee, das ihre Ziegen nicht erfüllen. «Es sind gwundrige, neckische, neugierige und irgendwie auch fröhliche Tiere», schwärmt sie. «Die Leute haben Freude an ihnen», bestätigt auch ihr Mann. Im Stall möchte sie trotzdem nicht jeder haben. «Ein Gewerbeschullehrer hat einmal gesagt, Schafe sind zu dumm, Ziegen zu schlau, deshalb hat er Kühe», erzählt Brönnimann. «Für uns hat das aber gepasst.»