Eichhörnchen, Specht, Fuchs, Reh – im Wald treffen wir immer wieder auf Tiere. Doch Ziegen, Schafe, Schweine oder Rinder zwischen Buchen, Tannen und Eichen? «Vor 150 Jahren waren Nutztiere im Wald völlig normal», sagt Serge Buholzer, Leiter Team Biodiversitätsförderung bei Agroscope, dem Kompetenzzentrum des Bundes für landwirtschaftliche Forschung. Der Wald entpuppte sich mit seinen vielfältigen Kräutern, Gräsern, Laub, Eicheln und Bucheckern für Nutztiere als gefundenes Fressen.

Den Tieren schmeckte es – mitunter allzu gut: Immer grösser werdende Viehbestände und starker Holzschlag schwächten die Wälder zusehends, sie wurden lichter und fragiler. Eine Lösung musste her. Im Jahr 1902 besiegelte das Forstpolizeigesetz schliesslich das Aus der Waldweide. Das gesetzlich verankerte Verbot hatte aber nicht nur Vorteile: Die Wälder erholten sich und wurden wieder dichter und dunkler, doch licht- und wärmeliebende Tiere und Pflanzen verloren ihrenangestammten Lebensraum und verschwanden teils komplett von der Bildfläche.

Ein Verbot mit Ausnahmen

«Das Waldweideverbot dient der Walderhaltung. Dieser starke Schutz ist vernünftig und soll auch so belassen werden», stellt Serge Buholzer klar. Unter Einhaltung gewisser Regeln bezüglich Beweidungszeitpunkt und -intensität können Waldweiden aber einen wichtigen Beitrag für mehr Biodiversität leisten – ohne die Walderhaltung zu gefährden. Untersuchungen zeigen: Die Strukturvielfalt und Heterogenität sind in Grasland- und Waldweiden deutlich grösser als auf jenen Flächen, die von Menschen bewirtschaftet werden. Und bezüglich Artenreichtum ist ein lichter, offener Wald einem dichten, dunklen Nadelwald klar überlegen.

Ebenso wichtig: Weidetiere verbreiten mit ihrem Fell Samen und mit ihrem Dung ganz spezifische Arten, von denen sich wiederum Insekten und andere Tiere ernähren. Und weil das Vieh vor allem auf schmackhafte Pflanzen aus ist und dornige Arten verschmäht, finden zahlreiche Kleintiere und Insekten in solch stachligen Gürteln ein sicheres Refugium.

Unbestritten ist: Ziegen, Schafe oder Kühe im Wald helfen, einzelne Stellen auszulichten und neue Lebensräume zu schaffen. Insbesondere auch dort, wo mit Maschinen nur schwer hinzukommen ist. Einmal mehr ist aber das richtige Mass entscheidend: «Eine allzu intensive Weide im Wald verhindert das Aufkommen junger Gehölze, womit unter Umständen der Waldcharakter verloren geht», führt Serge Buholzer weiter aus. Und auch lokale Überdüngung oder Trittschäden können dem Waldboden zusetzen.

Möglichkeiten für Waldweiden gibt es derzeit in mehreren Kantonen. Einer der ersten Kantone, der grünes Licht für Waldweiden gab, war vor 30 Jahren der Kanton Aargau. Weitere Kantone erteilen ebenso Ausnahmebewilligungen oder planen diese. Doch die Praxis stösst auch auf Widerstand: «Förster und Jäger sehen die Waldweide immer noch sehr kritisch. Diese Bedenken müssen ernst genommen werden. Auch wenn wir uns wünschen, dass die Waldweide für den Arten- und Naturschutz in Zukunft stärker zum Tragen kommt, soll sie die Ausnahme bleiben und nur an geeigneten Stellen umgesetzt werden», betont Serge Buholzer. Agroscope will sich in einem neuen Forschungsprojekt gezielt den Waldrändern zuwenden. Hier könnte die Beweidung im Hinblick auf eine grössere Biodiversität besonders sinnvoll sein und das Miteinander von Forst- und Landwirtschaft möglich machen.

Jura: Sonderfall Wytweiden

Donat Capaul, Biolandwirt im Berner Jura, treibt sein Vieh auf Wytweiden. Dabei handelt es sich nicht um klassische Waldweiden, sondern um mit Waldbäumen bestockte Weiden.

«Die Wytweiden sind im Jura verbreitet. Meine Schafe, Ziegen, Rinder und Esel weiden hier je nach Witterung. Wenn das Gras gut wächst, sind sie häufig auf diesen Weiden, aber immer wieder mit Pausen. Besonders wichtig: Im Hochsommer spenden die Bäume den Tieren Schatten. Und auch der Boden trocknet unter den Bäumen weniger aus; das Gras wächst sogar noch im Juli oder August. Wir sind immer wieder am Experimentieren und Optimieren: Weil die Ziegen oft Baumrinden fressen, ist es schwierig, die Bäume zu verjüngen. Im Moment schützen wir junge Bäume mit Flechtzaun und Elektrodraht.» [IMG 2]