In einem Pulk kommt die 60-köpfige Schafherde von der untersten Ecke der Weide angaloppiert. Das lange graue Deckhaar der Heidschnucken fliesst wellenförmig im Takt der Schritte mit. Doch dann ein plötzlicher Stopp. Überrascht starren die Schafe in Richtung Stall. Dort, in ihrem Unterstand, wo die feinen Maiswürfel warten, hält sich eine fremde Person auf.

Da kann ihr Besitzer noch lange locken, auf das Wagnis will sich nicht einmal die 11-jährige Leitaue einlassen. «Das ist jetzt typisch Heidschnucke, sehr vorsichtig und feinfühlig.» Durch ihren wilden Charakter könne man von diesen Schafen nichts auf Knopfdruck erzwingen. Doch genau dieses Urtümliche gefalle ihm so gut, sagt Hans Salvisberg. Er bewirtschaftet den Ökohof imbernischen Buch bei Mühleberg, wo 300 Mastschweine, zwei Ponys und über 120 Heidschnucken leben.

Aufgeteilt sind sie in eine Gruppe von Auen, die vom siebenjährigen Bock Romulus beschützt wird, und eine Lämmergruppe. Die Jungmannschaft wird von drei Ammenmüttern und einem sehr stabilen Zaun in Schach gehalten.

«Ein wirklich guter Zaun mit fünf Litzen und einem starken Viehhüter ist wichtig.» Denn durch ihr dichtes Vlies spüren die freiheitsliebenden Tiere den Strom sonst kaum und in einem Maschendraht könnten sie sich mit ihren Hörnern verheddern, weiss Hans Salvisberg.

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Farbwechselnde Feinschmecker

Die geschwungenen Hörner sind ein Erkennungsmerkmal dieser Schafrasse. Sowohl männliche als auch weibliche Tiere tragen sie. Ein weiteres ist ihr silbergraues, äusserst langes Haar. Die Lämmer kommen alle schwarz zur Welt und verfärben sich im Laufe des ersten Lebensjahres. Nach der ersten Schur kommt dann die rassetypische Farbe zum Vorschein.

Am Kopf, den filigranen Beinen, dem Bauch und rund um den Schwanz bleibt das feine und kurze Fell allerdings schwarz. Auch der sogenannte Brustlatz ist dunkelgefärbt. Hans Salvisberg zeigt auf eine Aue, deren Vlies einen Braunstich aufweist: «Das entspricht zwar nicht dem Zuchtziel der Grauen Gehörnten Heidschnucke, mein Fokus liegt in der Zucht allerdings ebenso auf einer guten Gesundheit der Tiere.» Und so würden es auch viele seiner Züchterkollegen halten – die Jagd nach der maximalen Punktzahl bei der Bewertung steht bei dieser Landschafrasse nicht im Vordergrund.

Typisch ist auch der genetisch kurze Schwanz, der seine Vorteile hat, so der Landwirt. Bei Schafen mit langem Schwanz muss dieser etwa bei Durchfall gewaschen werden, das fällt bei den Heidschnucken weg. Somit ist auch das Kupieren kein Thema.

Auch die Hörner hätten ihre Vorteile, selbst wenn die Tiere dadurch mehr Platz benötigen. Denn daran könne man die Schafe etwa beim Scheren gut festhalten oder eine Markierung anbringen, ob das jeweilige Tier beispielsweise bereits die Klauen ausgeschnitten bekommen hat. Das steht bei Salvisbergs Tieren vier bis fünf Mal im Jahr an. Und einmal jährlich gibt es ein Klauenbad. Durch ihre harten Klauen seien die Heidschnucken aber wenig anfällig auf die gefürchtete Moderhinke.

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Auch sonst zeichnen sich diese urwüchsigen Schafe durch grosse Robustheit und Genügsamkeit aus. Selbst dürftigen Pflanzenwuchs vermag die Schnucke voll zu nutzen. Deshalb eigenen sie sich besonders gut für die Landschaftspflege. Diese Aufgabe übernehmen sie auch in der Lüneburger Heide im Norden Deutschlands, wo man die Heidschnucken in grossen Herden antrifft.

Für die Dammpflege erhalten die Schafbesitzer dort teilweise Entschädigungen von den Gemeinden. Auch ihren Namen hat diese Schafrasse aus dem Nord-deutschen: «Schnucken» bedeutet so viel wie naschen oder auf Tiere angewendet abwechslungsreich und neugierig fressen. Früher traf man nicht nur in Norddeutschland auf zahlreiche dieser Heideschafe des Nordens, Heidschnucken waren von der Bretagne bis nach Sibirien verbreitet. Wahrscheinlich stammen sie von den auf Sardinien und Korsika beheimateten Mufflons ab. Denn die Heidschnucke ist die einzige domestizierte Schafrasse, die sich noch mit diesem Wildschaf kreuzen lässt.

Seltsame Schafe zu platzieren

Einem Wildschaf gleichen die Schnucken also, und wenn sie geschoren sind, kommt es manchmal zu Verwechslungen mit einer Ziege, schmunzelt Hans Salvisberg. «Viele Leute kennen diese Schafrasse nicht, wobei auch ich anfangs keine Ahnung hatte, was ich mir auf den Hof geholt habe.» Ursprünglich waren Schwarzbraune Bergschafe dafür verantwortlich, die steileren Hänge des Ökohofs abzugrasen.

«Bis mich ein Kollege kontaktierte, dass er auf Grund eines Notfalles spezielle Schafe zu platzieren hätte, und ob wir nicht die zehn merkwürdigen Tiere auf unserem Hof auf-nehmen könnten.» Salvisberg ging das Abenteuer ein und je mehr er sich mit seinen neuen Heidschnucken auseinandersetzte, desto besser gefielen sie ihm. «Schliesslich entschied ich, komplett auf die Schnucken zu setzen.»

Nicht nur Hans Salvisberg hat an den gehörnten Nordschafen Gefallen gefunden. In der Schweiz wird die Rasse immer beliebter. Seit den 1980er-Jahren wird sie hierzulande gehalten. In der Zwischenzeit ist ihr Freundeskreis auf über 90 Halterinnen angewachsen und der Tierbestand umfasst geschätzte 1500 Auen und 200 Böcke.

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Er fände diese Schafrasse auch wirtschaftlich recht interessant, sagt Hans Salvisberg. «Sie sind robust,haben kaum Probleme beim Ablammen und man kann sie ganzjährig draussen halten, womit sich der Bau eines grossen Stalles erübrigt.»

Für diese freiheitsliebenden Schafe wäre es eine Qual, den Winter in einem Stall eingesperrt verbringen zu müssen. Als Infrastruktur reicht auf dem Ökohof ein gedeckter, windgeschützter Unterstand mit allzeit zugänglichen Heuraufen, während der Ablammsaison ein Laufstall für die Nacht und 16 Ablammboxen. Diese werden jeweils im März und April genutzt. Die Brunst ist saisonal und die Erstbelegung erfolgt im Alter von etwa 18 Monaten. Die Tragzeit beträgt fast genau 150 Tage. So wachsen die Lämmer mit der Vegetation.

Grobe Wolle, feines Fleisch

Gut einen Monat später, also Ende Mai, werden die Schnucken geschoren. Dies ist nur einmal jährlich nötig. Lange habe er seine Schafe selber geschoren, sagt Salvisberg. «Bis ich versuchshalber einen Profischerer engagierte. Als ich sah, dass dieser gerade mal zwei statt wie ich zehn Minuten pro Schaf benötigte, war der Fall klar.» Da die Wolle relativ grob ist, wird sie lediglich zu Dämmmaterial oder Filz, aber nicht zu Garn verarbeitet. Der Kilopreis sei allerdings so niedrig, dass mit dem Verkauf nicht einmal der Aufwand der Schur ganz gedeckt sei.

Der Hauptteil des Einkommens kann über das Lammfleisch generiert werden, welches Salvisberg via Direktvermarktung an Privatpersonen, aber auch über einen Zwischenhändler an Restaurants verkauft. Das dunkle und wildbretartige Fleisch hat seine Liebhaber gefunden. Es sieht allerdings anders aus als klassisches Lammfleisch.

Unwissende Kunden meinen aufgrund der dunklen Färbung, es handle sich bereits um altes, abgelegenes Fleisch, und die Fleischstücke sind auch etwas kleiner als bei den klassischen Mastrassen. Einige Zuchtlämmer verkauft der Mühleberger jeweils auch an andere Schafhalter. Teils werden sie dann für Kreuzungen mit anderen Rassen eingesetzt. «Mit unserer Herdengrösse bilden die Einnahmen einen Nebenerwerb, damit wir davon leben könnten, müsste die Herde mindestens sechsmal so gross sein.»

In eine derart umfangreiche Herde wurden seine Heidschnucken jeweils über die Sommermonate integriert, wenn es auf die Alp ging. Doch seitdem die entsprechende Alp nicht mehr bestossen wird, bleiben die Schafe auch den Sommer über im Mittelland. «Hauptsächlich der Wolf, aber auch die Ansteckungsgefahr für Krankheiten wie Lippengrind, Gämsblindheit oder Moderhinke sind für mich Gründe, die Schafe nicht mehr auf der Alp zu sömmern», sagt Hans Salvisberg.

So kann es auch während den warmen Monaten vorkommen, dass man in Buch bei Mühleberg einen Pulk grauer, gehörnter Schafe übermütig über eine Weise galoppieren sieht. Wobei es die Nordschafe bei warmen Temperaturen schon lieber etwas gemütlicher angehen und tagsüber, unter den wachsamen Augen von Bock Romulus am schattigen Waldrand ruhen.