Herr Furrer, bei einer Berufsausbildung in der Landwirtschaft denken wohl die meisten an die Lehre zum Landwirt EFZ. Welche anderen Ausbildungsmöglichkeiten bieten sich im Bereich Landwirtschaft?

Zum klassischen landwirtschaftlichen Beruf kann eine dreijährige Lehre, aber auch eine zweijährige verkürzte Lehre zum Zweitberuf, eine Nachholbildung und das Berufsattest absolviert werden. Dann gibt es im Sinne einer Weiterbildung den Nebenerwerbs- oder Direktzahlungskurs. Etwas weiter gefasst gibt es zudem die Ausbildung zur Bäuerin mit Fachausweis, die übrigens auch Männer absolvieren können. Und geht man sozusagen noch einen Zwiebelring weiter hinaus, bietet das Berufsfeld Landwirtschaft EFZ-Lehren wie Geflügelwart, Obstfachmann, Pferdefachfrau, Gemüsegärtnerin, Winzer und Weintechnologin.

Welche dieser landwirtschaftlichen Berufsausbildungen sind am gefragtesten?

Der Trend hin zur Natur und zur Scholle ist unverkennbar. Die klassische Lehre zum Landwirt EFZ geniesst deshalb eine hohe Beliebtheit. Grosse Nachfrage, vor allem bei jungen Frauen, findet auch die Ausbildung im Pferdefach. Geflügelwart, Obstfachfrau oder Gemüsebauer wird meist nur, wer bereits auf einem solchen Betrieb aufgewachsen ist.

Ist das Interesse an landwirtschaftlichen Lehrberufen gross oder eher bescheiden im Vergleich zu vor 30 Jahren? Wie hat sich die Anzahl der Lernenden entwickelt?

Da möchte ich eher nur 15 Jahre zurückblicken. Seit 2009 ist das Berufsfeld Landwirtschaft der Bildungsverordnung unterstellt. Seither sind die Lernendenzahlen leicht steigend, dies allerdings bei einer stetig abnehmenden Betriebszahl. Hier kann ich eine eindrückliche Zahl einwerfen: 99 Klassen werden momentan am Inforama in Zollikofen (BE) unterrichtet. Hier sind allerdings auch die Berufsmaturitätsklassen sowie länger dauernde Kurse in Klassenform mit einberechnet.

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Beim Geflügelwart oder der Obstbäuerin haben die meisten Lernenden eine familiäre Prägung. Haben viele Lernende am Inforama einen landwirtschaftlichen Hintergrund?

Bei etwa zwei Dritteln oder vielleicht sogar drei Vierteln der Lernenden sind die Eltern auf einem Landwirtschaftsbetrieb tätig, schätze ich. Es gibt aber immer mehr Lernende, die nicht aus einer Bauernfamilie stammen. Das finde ich übrigens gar nicht schlecht, denn diese Personen bringen oft spannende und innovative Aussensichten mit. Und das sage ich jetzt nicht, weil auch ich ursprünglich der Junge aus der Stadt war, der eine Lehre zum Landwirt absolviert hat.

Wenn Sie die Anzahl der Lernenden im landwirtschaftlichen Bereich betrachten – herrscht demnächst ein Fachkräftemangel oder haben es die Lehrabgänger im Gegenteil schwer, einen Job zu finden?

All unsere Abgängerinnen und Abgänger haben absolut keine Probleme, einen Job zu finden, sei dies nun in der Landwirtschaft oder auch ausserhalb dieser Branche. Denn das sind alles Praktiker, die anpacken können. Es herrscht ganz klar ein Fachkräftemangel bei Angestellten auf landwirtschaftlichen Betrieben. Aber das ist oft eine Frage der Entlöhnung, die halt nicht immer sehr attraktiv ist.

«Die Natur, Tiere und die Mechanisierung sollen unbedingt Freude bereiten.»

Sind landwirtschaftliche Berufe eine Männerdomäne?

Da gab es sicher einen starken Strukturwandel in den vergangenen 15 Jahren. Wenn damals pro Klasse eine Frau vertreten war, liegt der Anteil heute bei 25 Prozent. Die aktuelle Bilanz bei allen Lernenden zur landwirtschaftlichen Ausbildung EFZ und EBA am Inforama: 549 Männer und 168 Frauen. Je höher die Berufsbildung ist, desto mehr steigt auch der Frauenanteil.

Wie hat sich das Berufsbild des Landwirtes in den vergangenen, sagen wir 30 Jahren verändert?

Da gibt es einige Punkte. Neu zu den Aufgaben hinzugekommen ist sicher, dass ein Landwirt heute seine Produkte selbst vermarkten sollte und dass er nach dem Markt agieren muss. 1993/94 wurden die Direktzahlungen eingeführt, seit diesem Zeitpunkt müssen sich die Landwirte danach ausrichten. Sicherlich wurde das Berufsbild deutlich vielseitiger. Denn vor 30 Jahren gab es weder Alpakas und Straussen auf den Weiden noch Soja oder Sonnenblumen auf den Feldern. Und Selbstpflückgärten kannte auch noch niemand. Zudem kam der IT-Bereich hinzu. Heute muss jede Landwirtin in Sachen Informatik sattelfest sein.

Und was werden zukünftig in diesem Berufsfeld für Veränderungen anstehen?

Der Markt wird agil bleiben, die Betriebszweige werden noch vielseitiger und die Informatik wird einen noch grösseren Anteil einnehmen. Dann wird sicher auch das sogenannte Smartfarmig wichtiger werden. Die Arbeit wird sich vermehrt mit Traktoren mit GPS, Melkrobotern oder Überwachungskameras gestalten. Auch der bereits seit einiger Zeit zu beobachtende Trend zur Ökologisierung wird weiter anhalten.

Was muss eine junge Person mitbringen, wenn sie einen landwirtschaftlichen Beruf ergreifen möchte?

Die Natur, Tiere und die Mechanisierung sollten unbedingt Freude bereiten. Zudem müssen die angehenden Berufsleute in der Landwirtschaft sehr vielseitig sein und eine hohe Leistungsbereitschaft mitbringen. Denn eine 55-Stunden- respektive 5,5-Tage-Woche ist in diesem Berufsfeld üblich.

 

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Zur Person
Tobias Furrer ist Leiter des Fachbereichs Höhere Berufsbildung am landwirtschaftlichen Bildungs-, Beratungs- und Tagungszentrum Inforama.