Still stehen Stella, Cleopatra, Simphony, Milena, Marie-Louise und Giuliana im Rhein. DassMenschen auf ihnen sitzen, kümmert die Kühe nicht. Seelenruhig nimmt Marie-Louise einen Schluck frisches Flusswasser, während Stella immer wieder mit den Hinterläufen ins Nasse stampft. Das sei ein Zeichen, dass es ihr gefällt, erklärt Heinz Morgenegg, Landwirt auf dem Bolderhof in Hemishofen, Chef der Vierbeiner und Initiator des Kuhreitens. Die Kneippkur für die Kühe ist der Wendepunkt des Trips. Eine Stunde davor hat Morgenegg die TierWelt und eine Polterabendfeiernde Männergruppe in ihr Abenteuer eingeführt.

«Die Kuh steht im Zentrum. Ihr müsst euch auf sie einlassen und nicht auf eure Kumpel schauen», sagt Morgenegg mit Nachdruck. Die jungen Männer nicken und leisten der Aufforderung des Trekkingleiterslachend Folge, die Kühe zu Beginn zu knuddeln. «Ihr müsst den Faden zu ihr finden, mit ihr reden, damit sie eure Stimme kennt, und sie streicheln und umarmen.» Das lassen wir uns nicht zweimal sagen, schliesslich haben wir Stella ausgesucht, eine Fleckvieh-Dame mit betörenden Augen. Das Kraulen an der Stirn zwischen den hübsch geschwungenen Hörnern und das Tätscheln des Halses gefallen ihr offensichtlich. Auch hört sie gespannt zu – zumindest bilden wir uns dies ein.

«Die Kuh steht im Zentrum. Ihr müsst euch auf sie einlassen.»

Nach gut fünf Minuten Kennenlernritual fordert Trekkingguide Nino uns auf, den Befehl «komm!» zu geben und kräftig am Strick zu ziehen. Zuerst istStella etwas bockig, weil auf der Weide viel feines Gras lockt, doch dann läuft sie bereitwillig mit. Nachdem Nino den Menschen auf die Kuhrücken geholfen hat, zieht die Karawane los.

Die Kuh wird über Seile angeleitet

Schnell stellen wir fest, dass es sich bequem sitzt auf Stella. Man hockt auf einer Satteldecke und hält sich fest an Griffen des Voltigiergurtes, der um den Körper der Kuh geschnallt ist. Ein Mundstück fehlt, als Zügel dienen zwei Seile. «Es ist wie beim Westernreiten», erklärt Morgenegg. Die Beine hängen lassen und die Kuh über die Seile anleiten. Energisch links zupfen, bedeutet links abbiegen oder nach links gehen, rechts ziehen dementsprechend die andere Seite. Mit beiden Seilen ziehen muss man, wenn die Kuh loslaufen oder anhalten soll – die Kommandos dazu lauten «komm!» und «haaalt!». «Und wenn sie gehorcht», so Nino, «müsst ihr eure Kuh streicheln und danke sagen.»

Stella und ihre Reiterin sind ein gutes Team. Die Kuh marschiert wie angewiesen in der Mitte des Weges. Nach wenigen Minuten kommen wir uns vor wie ein Velo-Profi an der Tour de France, geht es doch vorbei an dicht aneinander gedrängten Zuschauern. Mit dem wesentlichen Unterschied, dass die Schaulustigenkeine Zweibeiner sind, sondern mächtige Wasserbüffel. Von Stella und ihren Kolleginnen ignoriert, kommen die asiatischen Cousins unserer Rinder ganz nahe an den Zaun ihrer Weide und glotzen neugierig.

Die Wasserbüffel mit ihren ausladenden Hörnern sind uns bereits vor der Ankunft auf dem Bolderhof als Erstes aufgefallen. Das Landwirtepaar Doris und Heinz Morgenegg hält eine beeindruckend grosse Herde dieser imponierenden Tiere. Während die einen grasen, liegen andere gruppenweise und mit schwenkenden Schwänzen im grossen Wasserloch. Beäugt von seinen Artgenossen dreht und wendet sich ein Wasserbüffel inmitten der Weide in einem kleinen Schlammloch.

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Schlafen im Silo

Als Zweites stechen auf dem Hof zwei Silos ins Auge. Sie werden allerdings längst nicht mehr als solche genutzt, sondern sind zwei kleine Hotelzimmer. Die Morgeneggs haben einen Zwischenboden eingebaut und diesen mit Matratzen belegt. Wer mag, kann bei schönem Wetter die Dachluke öffnen und sich vor dem Schlafen vom Sternenhimmel bezaubern lassen. Ein Silo ist für zwei Personen, Familien können Ferien-wohnungen mieten, Gruppen schlafen in Matratzenlagern oder über dem offenen Laufstall im Stroh.

«Doris war Lehrerin und brachte vor über zwanzig Jahren mal eine Schulklasse für ein Lager ins Haus», sagt Agraringenieur Morgenegg, der den elterlichen Hof mit Milchvieh und Ackerbau 1996 übernahm und vor zehn Jahren um Wasserbüffel erweiterte. Aus dem ersten Klassenlager entwickelte sich Schritt für Schritt ein Erlebnishof mit Spielen wie «Gummistiefelwerfen» oder «Kuhmelken», mit Erlebniskäsen in der Gruppe, mit Gesellschaftsfahrten auf dem von Kühen gezogenen Wagen und mit dem Kuhreiten.

«Wir haben viele Klassen- und Ferienlager, Vereins- und Betriebsausflüge sowie Familienfeste», sagt Heinz Morgenegg, für den 25 Festangestellte arbeiten. Ein Koch verwöhnt die Gäste mit Menüs, deren Zutaten direkt vor der Haustüre wuchsen – und dies alles nach Bio-Demeter-Richtlinien. Die Wasserbüffel, Milchkühe und Hühner werden nach den strengen Vorgaben von KAGfreiland gehalten.

Sie haben viel Auslauf und die Kälber bleiben bei ihren Müttern. Mit der muttergebundenen Kälberaufzucht begann der Landwirt vor über zwanzig Jahren. Die Kühe melkt er einmal täglich und stellt daraus sechzehn verschiedene Käse her, Büffel-Mozzarella inklusive. Das Fleisch von Weiderinder und Wasserbüffel wiederum wird direkt auf dem Hof zerlegt.

«Wir sind der Anbieter mit dem grössten Demeter-Sortiment in der Schweiz», betont Morgenegg während des Rundgangs durch die Hallen, in denen Käse, Fleischspezialitäten, Rüebli, Salate und vieles mehr darauf warten, abgepackt und in die ganze Schweiz verschickt zu werden. Wer beim Bolderhof bestellt, kann sich seine Lieferung nach Lust und Laune individuell zusammenstellen.

Am Anfang stand ein Kamelreiten

Diese Hofführung ruft nach einer Stärkung unter schattenspendenden Bäumen, ehe das Highlight des Tages ansteht: das Kuhreiten. Während Trekkingführer Nino die Damen parat macht, sie putzt und striegelt, ihnen Decken auf den Rücken legt und Zaumzeug anbringt, erzählt Morgenegg, wie er auf die Idee des Kuhreitens kam. Am Anfang stand ein Kamelreiten, zu dem seine Frau Doris 2008 mit den vier Kindern ging.

«Als sie zurückkamen, haben sie gejammert, es sei kalt gewesen, sie hätten lange warten müssen und die Runde sei so kurz gewesen», erinnert sich der Vater. «Ich habe geantwortet, was geht ihr auch dort hin. Ihr habt ja einen Stall voller Vieh.» Dies habe ihm keine Ruhe gelassen. Als er um zehn Uhr abends durch den andächtig stillen Stall ging, habe er zu einer Kuh gesagt: «Ich hocke jetzt auf dich rauf.» Gesagt, getan – und die Kuh frass in aller Seelenruhe weiter Gras.

Also setzte er sich auf eine zweite, eine dritte und so weiter. «Von elf Kühen blieben zehn stehen.» Dies ganz im Gegensatz zu der Zeit, als Morgenegg selber ein Bube war und auf die Tiere gesetzt wurde. Diese seien immer nach kurzer Zeit weggerannt. Dass seine Milchkühe ihn gewähren liessen, kann sich der Landwirt nicht anders erklären, als dass sie sich im Zuge der jahrelangen Agrotourismus-Angebote auf dem Hof an fremde Menschen gewöhnt hätten und sich nicht mehr erschrecken.

Ruhige und nicht schreckhafte Kühe

Nach diesem abendlichem Versuch übte Morgenegg das Reiten auf den Kühen regelmässig, auch seine Kinder stiegen auf die Tiere. Am Anfang scheuten die Damen immer wieder oder bockten und die Reiter fielen herunter. «Doch seit vielen Jahren ist nichts mehr passiert», betont er. Die letzte der ersten Generation Reitkuh verliess den Bolderhof im Herbst 2021 als 20-Jährige. «Ja, bei uns werden sie alt», bestätigt Morgenegg.

Wenn er neue Kühe kaufe, gehe er in die Ställe und schaue auf das Wesen der Tiere. «Sie müssen einenruhigen Charakter haben und dürfen nicht schreckhaft sein.» Natürlich könne es passieren, dass ein Vierbeiner keine Reiter akzeptiert. Dann versuche er es immer wieder mal. Wenn die Kuh es aber partout nicht wolle, müsse sie es nicht tun. Die fitten, fünf- bis elfjährigen Marie-Louise, Cleopatra, Stella, Simphony, Milena und Giuliana wollen an diesem Tag.

Während wir auf Stella steigen, stellt sich uns die Frage, wie viel Gewicht eine Kuh denn tragen kann. «Bis 120 Kilogramm», antwortet Morgenegg. Das Gewicht des Reiters sei vor allem bei Amerikanern ein Thema. Der Bolderhof hatte bis zur Corona-pandemie Gäste aus aller Welt. Dies dank Einträgen im Lonely Planet und in einem arabischen Reise-führer. Das saudische Königshaus beispielsweise kommt weniger des Reitens wegen in den Kanton Schaffhausen, sondern vielmehr, um Land- und Bauernhofluft zu schnuppern.

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Es ruckelt weniger als auf dem Pferd

Amerikanerinnen und zunehmend Asiaten aber wagen das Kuh-Abenteuer und sind begeistert, wie Posts in den sozialen Medien zeigen. Auch wir geniessen den Ritt auf Stella. Es ist entschleunigend und entspannend und einfach schön, ihren warmen Körper zu spüren. Auf der Kuh ruckelt es weniger als auf einem Pferd – den Rücken werden wir am nächsten Tag aber dennoch spüren.

Während die Karawane gemütlich Richtung Rhein stapft, leistet Stella den Befehlen meist Folge. Dann wird sie ausgiebig gelobt und gestreichelt. Doch kurz vor Ankunft am Rheinufer kann sie den Verlockungen links des Weges nicht mehr wider-stehen. Abrupt bleibt Stella stehen und reisst geräuschvoll büschelweise Gras samt Löwenzahn und anderen Blüten raus und stopft sie in ihr Maul. Entschlossenes Ziehen beider Seile und ein paar Klapse aufs Füdli – geschenkt. Auch die Durchsage «komm!» stösst auf taube Ohren.

«Hey, du bist die Chefin», ruft Nino der Reiterin zu. Diese aber hat gerade einen Lachanfall, weil sie glaubt, den Weg des Futters in Stellas Körper an den Oberschenkelinnenseiten zu spüren. Sie lässt Stella noch zwei, drei Büschel ausreissen, ehe sie richtig energisch wird. Und siehe da: Die Fleckvieh-Dame zuckelt los. Nur drei Minuten später steht Stella genüsslich kneippend im Rhein.

Für wen: Das kurze, eineinhalbstündige Trekking wird für Kinder ab zehn Jahren, Jugendliche und Erwachsene angeboten. Die lange, halbtägige Tour, bei der es zusätzlich ein Picknick gibt, steht Jugendlichen und Erwachsenen offen. Das Kuhreiten in Gruppen auf dem Hof ist auch für Kinder ab vier Jahren geeignet.

Womit: Bequeme Kleidung, die dreckig werden kann, und gute Schuhe.Den Helm stellt der Hof, man kann aber auch den eigenen Velo- oder Reithelm mitnehmen.

Wo: Bolderhof, Hemishofen SH