Einblick in die solidarische Landwirtschaft
Was ist eigentlich Solawi?
Viele haben den Begriff Solawi im Zusammenhang mit Landwirtschaft schon mal aufgeschnappt. Tex Tschurtschenthaler von der Schweizer Solawi Kooperationsstelle gibt Auskunft, was genau unter dem Konzept zu verstehen ist.
Solawi ist eine Abkürzung – wofür steht sie?
«Solawi» steht für solidarische Landwirtschaft. Durch zunehmende Beliebtheit hat der Begriff sich in letzter Zeit leider stark verwässert. Solawi kämpft gerade gegen das Image von hipper Gemüse-Dienstleistung, Wochenendspass an der Grabgabel oder karitativer Hilfe für sympathische aber existenzbedrohte Landwirtinnen. Um all das geht es aber nicht. Sondern im Zentrum steht Landwirtschaft, im urklassischen Sinne von Nahrungsmittelproduktion, und zwar nachhaltig, für uns sowie unsere Nachkommen. Produzierende und Konsumierende sollen ihre Landwirtschaft aktiv und eng gemeinsam so gestalten, dass sie dahinterstehen können. «Solidarität» hat mehrere verschiedene Bedeutungen. In der Solawi ist das gemeinsame Ziehen am selben Strick gemeint, und nicht etwa die Hilfe des Stärkeren für den Schwächeren.
Solidarische Landwirtschaft basiert auf der direkten Zusammenarbeit von Landwirten und Konsumentinnen. Wie gestaltet sich diese konkret?
Eine Zusammenarbeit im Sinne von Solawi setzt partizipative und demokratische Strukturen voraus, auf der Grundlage von mittel- bis längerfristiger gegenseitiger Verbindlichkeit. Gerade in der Schweiz ist viel Knowhow vorhanden sowohl bezüglich Landwirtschaft als auch bezüglich der Unternehmensführung und genossenschaftlicher Organisation. Solawi verbindet diese Bereiche, um deren Vorteile für eine nachhaltige Landwirtschaft zu nutzen. Konkret organisieren sich Konsumierende idealerweise als Genossenschaft oder als Verein und gehen dann mit den Landwirten einen Vertrag ein. Der Vertrag ist kein simpler Kaufvertrag (Produkte gegen Geld), sondern ein Kooperationsreglementarium aus verschiedenen Vereinbarungen, welche die Produkte betreffen, die Anbaumethoden, die Arbeitsbedingungen, die Finanzierungsstrukturen, die Modalitäten der Mitgliedermitarbeit, die Verantwortlichkeiten und die Entscheidungskompetenzen und -wege. Für eine Landwirtin mag das im ersten Moment möglicherweise nach einer Entmündigung klingen. Aber in diesen Kooperationsvereinbarungen lässt sich alles einbauen, was einem beiderseits wichtig ist.
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Welches Anliegen/welche Idee steckt hinter diesem Konzept?
Um das zu beantworten, möchte ich die bekannten Missstände im aktuellen System in Erinnerung rufen. Landwirtschaft ist ein unverzichtbarer und sehr sensibler Wirtschaftszweig, der seit längerem den oft selbstzerstörerischen Unwägbarkeiten des sogenannten freien Marktes ausgesetzt ist. Staatliche Interventionen helfen da nur wenig und führen zu einem grossen Teil sogar noch weiter in die Irre. Die Ergebnisse sind industrielle Landwirtschaft, Monokulturen mit entsprechenden Gesundheitsgefahren (sowohl für die Kulturen wie für den Menschen), Überproduktion und in der Folge Foodwaste und/oder absurde Preisregulationen, schlechte Arbeitsbedingungen, null Kostenwahrheit etc.. Solawi ist nicht einfach ein neuer Absatzkanal, sondern ein Systemchange. Es findet kein Kauf/Verkauf mehr statt, sondern Produzierende und Konsumierende legen ihre Ressourcen – also Knowhow, Geld, Arbeit, Produktionsmittel – zusammen, um Landwirtschaft Quadratmeter um Quadratmeter in die eigenen Hände zu nehmen und so zu bewirtschaften, wie sie es für sich und für zukünftige Generationen für richtig halten. Wenn beispielsweise der Gemüseacker nicht durch Maschineneinsatz verdichtet werden soll, beteiligen sich halt viele Menschenhände an Jätsamstagen. Oder wenn die Menschen immer weniger Fleisch auf dem Teller haben wollen, dann wird die Tierzahl reduziert, anstatt regelmässig Aktionen durchzuführen.
Was bietet die Solawi den Landwirten und den Konsumentinnen für Vorteile und worin liegen die Herausforderungen?
Die Autonomie der Landwirte ist in einer Solawi deutlich grösser als bei einer Abhängigkeit von einem Grossabnehmer. Zwar kann eine konsequente Direktvermarktung ohne Solawi ebenfalls die Autonomie stark steigern. Jedoch nur gegen einen Zusatzaufwand. Und die Konsumierenden können Wirtschaft aktiv und partizipativ mitgestalten. Durch die direkte Beteiligung ist Transparenz hergestellt. Während der sogenannte freie Markt davon lebt, dass die Akteurinnen einander bei jeder Gelegenheit übervorteilen, leben Solawi-Beziehungen von aufrichtiger Offenheit und dem Ziehen am selben Strick. Etwas anders gelagerte Herausforderungen bestehen bei der Mitarbeit der Solawi-Mitglieder. Einerseits wird von den Konsumierenden ein zeitlicher Zusatzaufwand gefordert. Zudem muss die Genossenschaft beziehungsweise der Verein die Mitgliedermitarbeit sorgfältig planen und organisieren. Es zeigt sich halt, dass wesentliche Solawi-Ziele nur erreicht werden können, wenn die Konsumierenden neben ihrem Geldbeitrag auch Arbeitseinsätze leisten. Etwa wenn die Landwirtinnen «nur noch» 45 Stunden pro Woche arbeiten sollen, anstatt 60. Schon mit fünf halben Tagen Einsatz pro Person und Jahr können wesentliche Nachhaltigkeitseffekte erzielt werden.
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Die meisten Solawi-Betriebe bauen in Stadtnähe Gemüse an, gibt es auch Solawi-Landwirte, die Milchprodukte oder Fleisch produzieren?
Ja, das gibt es in Deutschland schon seit einigen Jahrzehnten. In der Schweiz mittlerweile auch. In der Surselva GR gibt es die bergsolawi.ch mit Ziegen. Zudem gibt es in Worb BE mit radiesli.org oder in Dietikon ZH mit ortoloco.ch seit einigen Jahren Hofsolawis mit Rindfleisch oder Huhn und Ei, neben Gemüse, Obst und Getreide. Ebenfalls in Dietikon gibt es eine Milch-Solawi basimil.ch mit Milch, Joghurt und Käse.
Seit wann gibt es dieses Konzept in der Schweiz und wer hat es ins Leben gerufen?
Kaum zu glauben, aber die Schweiz ist zusammen mit Japan und den USA eines der Pionierländer bezüglich Solawi. Konkret waren das die «Jardins de Cocagne» in Genf, anfangs der 1980er-Jahre, als junge intellektuelle politische Initiative, welche die Welt verändern wollte. Noch früher entstanden die japanischen Solawis, die «Teikei», in den 1960er-Jahren, als sich die Supermärkte immer mehr verbreiteten. Viele Hausfrauen konnten sich mit den neuen riesigen Gemüsegestellen nicht anfreunden und begannen, direkt mit den Nachbarslandwirten Kooperationen zu vereinbaren. Unterdessen ist in Japan jeder vierte Haushalt an eine Teikei angegliedert.
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Wie viele Solawi-Betriebe gibt es in der Schweiz? Und wie finde ich die?
Solawi ist zwar ein Begriff, der vor einigen Jahren an einem deutschsprachigen Netzwerktreffen gebildet und definiert wurde. Aber es handelt sich nicht um eine Branche oder Marke. Wenn eine Gruppe von Menschen eine Solawi-Initiative starten will, kann sie das tun, ohne jemanden zu fragen oder sich irgendwo anzumelden. Zudem gibt es Betriebe, die sich selber zwar als Solawi bezeichnen, bei genauerer Betrachtung den ursprünglichen Sinn der Sache aber etwas verfehlen. Wenn ich unter diesen Vorbehalten eine Zahl nennen soll, dann sind aktuell schätzungsweise etwa 70 Solawi-Initiativen aktiv. Wer Solawis sucht, findet sie am ehesten im Internet. Es gibt unter solawi.ch oder fracp.ch oder regionalevertragslandwirtschaft.ch Karten oder Linklisten.
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Was braucht es, dass ich bei Solawi mitmachen kann?
Böse Zungen behaupten, nur Reiche mit viel Zeit können in einer Solawi mitmachen. Aber tatsächlich machen Menschen aus den verschiedensten sozialen Schichten bei Solawi-Initiativen mit. Immer wieder können Mitgliedschaften durch einen internen Solifonds ermöglicht werden. Es scheint aber, dass in Solawis der Anteil an Höhergebildeten oder zumindest Intellektuellen grösser ist als im gesellschaftlichen Durchschnitt. Das wird sich mit zunehmender Beliebtheit wohl noch ändern. Konkret liegt der finanzielle Aufwand in der Regel irgendwo zwischen dem was wir uns in Bioläden und dem Biosortiment von Supermärkten gewohnt sind. Bezüglich Zeitaufwand zeigt sich, dass sich in ganz unterschiedlichen sozialen Zusammenhängen die Menschen für Solawi Zeit nehmen oder eben nicht. Ich habe von einer jungen Familie gehört, die aus ihrer Solawi ausgetreten ist, weil nun ihre Zeit knapper ist, gleichzeitig ist eine andere junge Familie einer Solawi beigetreten, weil sie jetzt erst recht mehr gesellschaftliche Verantwortung wahrnehmen will.
Wer noch mehr über Solawi erfahren möchte:
Es gibt einen Solawi und Bergsolawi Film- und Informationsabend, am 31. Mai, um 19.00 Uhr, in der Photobastei, Sihlquai 125, in Zürich.
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