Eine weisse, leicht gekrauste Wolle am ganzen Körper, ein schwarzes Gesicht und keck waagrecht abstehende Ohren: Das Shropshire-Schaf sieht dem Braunköpfigen Fleischschaf aus der Schweiz sehr ähnlich. Es stammt aber aus England, genauer aus den westlichen Grafschaften Shropshire und Staffordshire. Wie die Rasse entstand, weiss man nicht. Die einen sagen, die Schäfer hätten die besten Tiere ihrer alten Landschläge miteinander gepaart. Und andere meinen, die Bauern hätten Leicesters und Cotswolds in die einheimischen Schafe mit den schwarzen Köpfen namens Longmynd eingekreuzt.

1848 erstmals als Shropshire bezeichnet, gilt die Rasse seit 1859 als offiziell anerkannt, nachdem sie an der Ausstellung der Royal Agricultural Society teilnahm. Die Schafe wurden schnell populär und nach Übersee verschifft. Die Landwirte schätzten sie ihres Fleisches und der Wolle wegen. Dank ihrer kräftigen Konstitution sowie ihrer Anpassungsfähigkeit waren sie wetterfest und hielten wechselhaftem Klima stand. Ihre dichte, ölige Wolle schützte sie vor Kälte und Schneeregen.

Bis in die 1930er-Jahre galten sie in den USA und in England als des «Bauers Liebling», gerühmt für ihre «Wolle von der Nasenspitze bis zu den Zehenspitzen». Es ist eine Ironie der Geschichte, dass diese Angeberei fast zum Niedergang des Shropshire nach dem Zweiten Weltkrieg führte. Eine extreme Wollbedeckung war damals hoch im Kurs bei den Züchtern. Durch die Selektierung allein auf Wolle wurde das Shropshire immer kleiner und war nicht mehr wettbewerbsfähig.

Zweite Karriere nach Zufallsfund

In den USA erholten sich die Bestände, nachdem die Rasse wieder grösser gezüchtet wurde. In ihrer englischen Heimat ist sie zwar nach wie vor eine beliebte Fleischschafrasse, gilt aber trotzdem als potenziell gefährdet. Derweil erfreut sie sich auf dem Kontinent steigender Popularität. Die Trendwende kam vor 30 Jahren. In den späten 1980er-Jahren entdeckte der schottische Schäfer Graham Allan zufälligerweise, dass das Shropshire als einzige der weltweit 800 Schafrassen keine Koniferen mag. Weil es die Triebe von Nadelhölzern nicht anknabbert, startete das Shropshire eine zweite Karriere als Landschaftspfleger.

Aus der Erkenntnis Allans entstand die Idee, die Schafe in Christbaumkulturen weiden zu lassen – zuerst in Dänemark und später in Österreich, Deutschland, Grossbritannien und in der Schweiz, wo seit 1996 ein Herdebuch geführt wird. Sie sind beliebte Rasenmäher zwischen Tannen und mittlerweile auch zwischen Obstbaumkulturen und auf Streuobstwiesen, die weder die Zweige noch die Rinde der Bäume verbeissen. Auch Markus Grüter von der Straussenfarm am Sempachersee setzt auf die Hilfe vierbeiniger Mitarbeiter.

Keinen halben Meter hoch sind die Bäumchen direkt am Eingang der zwölf Hektaren grossen Blau- und Nordmanntannenkultur. Schafe sind keine zu sehen. Aber zu hören. Weit hinten im Tannenhain ertönen Glöckchen und energisches Blöken. Grüter marschiert voraus, einen Eimer voller Leckerli schwenkend. Und siehe da: Diese lässt sich die Shropshire-Herde nicht entgehen. Die Chefin voraus, rasen 30 Auen, der Bock und ihr Nachwuchs die Böschung herab und nehmen Grüter und Eimer in ihre Mitte.

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Genüsslich kauend, schauen sie durchaus skeptisch in Richtung des Besuches. Shropshires sind sanftmütig und sensibel, aber auch scheuer als andere Schafrassen, da sie jahraus, jahrein fast ausschliesslich draussen leben. «Sie sind lieber auf der Weide als drinnen im Stall», bestätigt Grüter. Im November, wenn es zu gefrieren beginnt und das Gras niedrig ist, holt er seine Herde nach Hause. Er könnte sie im Winter draussen lassen, dafür müsste es aber genug Gras haben.

Ausserdem möchte er die Auen mit dem Nachwuchs, der von Januar bis März kommt, gemeinsam daheim auf der Weide haben. «Da können wir schauen, dass die Auen ihre Lämmer finden, damit sie sie säugen können.» Im Tannenwald wäre die Kontrolle schwieriger. Und den Kleinen die Milch mit dem Schoppen zu geben, wenn sie ihre Mutter nicht finden, dafür habe er keine Zeit, sagt der Schafbesitzer und gelernte Gärtner, der auch Strausse, Belted Gallowayrinder, Geflügel und Bienen hält sowie eine Farmgärtnerei betreibt.

Hervorragende Mütter seien Shropshire, hebt Grüter hervor. Die Auen kommen im Schnitt auf 1,5 Lämmer pro Geburt. «Ja, sie sind äusserst fruchtbar», bestätigt der Schafhalter. Die ehemalige Chefin sei 14 Jahre alt geworden und hatte insgesamt 17 Lämmer. Der Bock dagegen ist in der Gruppe kaum auszumachen. Der Dreijährige ist schlank und nur unwesentlich grösser als die Schafdamen um ihn herum. Er muss dieses Jahr ausgetauscht werden, damit er seine Töchter nicht deckt, die in der Herde bleiben.

Ein Teil des Nachwuchses kommt im Alter von sieben bis acht Monaten zum Metzger und liefern laut Grüter sehr feines, mageres Fleisch. Die Wolle, die einst im Zentrum der Rasse stand, werde zweimal jährlich geschoren und als Gebäudeisolation verwendet. Im Fokus steht in Sempach aber die Landschaftspflege. Nachdem die Lämmer einen Monat bei ihrer Mutter beim Hof geweidet haben, geht es im März zu den Christbäumen, wo sie sich von Gräsern und Kräutern ernähren.

Umzug alle drei bis vier Wochen

Die Herde habe einen klar strukturierten Tag, sagt Grüter lächelnd: «Am Morgen fressen sie, dann halten sie Siesta und am Nachmittag geht es wieder in die Bäume.» Im Frühling lasse er die Schafe allerdings nicht zu lange in der Plantage, «dann könnten sie auch an die Knospen der Bäume gehen». Das richtige Weidemanagement ist das A und O für den Erfolg. Die Tiere brauchen eine grosse Weide, eine Hektare mindestens, und zügeln alle drei bis vier Wochen in eine andere, fix eingezäunt Sektion. Wenn die Schafe die Parzelle verlassen haben, führen Grüter und sein Team einen Säuberungsschnitt durch und entfernen Brennnesseln und Dornen, die die Schafe ebenso verschmähen wie die Tannen. Danach fährt der Transporter zur nächsten Rotation vor, den die Shropshires bereitwillig betreten.

So geht das bis zum November. Die Tiere seien zwar nicht kompliziert und zufüttern müsse er sie nur im Winter. «Aber das Weidemanagement und die Haltung in den Christbaumkulturen braucht schon ziemlich viel Betreuung.» Er sei täglich bei den Schafen und schaue, dass immer Wasser und trockenes Salz zur Verfügung stehe, denn der Mineralstoffhaushalt müsse stimmen. Dennoch ist Grüter überzeugt von seinen vierbeinigen Rasenmähern: «Es ist die Zukunft der ökologischen Christbaumproduktion.» Die Schafe bekämpfen den Unterwuchs wirksam und seien die ideale Alternative zum Mulchen und Spritzen. Er brauche kaum Herbizid, betont Grüter, und wenn, dann nur gegen Dornen und Brennnesseln nach dem Auszug der Schafe aus einer Parzelle oder im Spätherbst bei ihrer Einwinterung.

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Das Idealbild einer Tanne

Dann haben Grüters Tannen Hochsaison. Dies beginnt mit Allerheiligen, wenn der Verstorbenen gedacht wird. «Ein sehr wichtiger Tag im Kanton Luzern.» Als Schnittgrün auf Friedhöfen finden die Zweige seiner teilweise über 20 Jahre alten Blautannen Verwendung. Danach stehen die Nordmanntannen im Mittelpunkt. Sie sind der Weihnachtsbaum schlechthin. Wenn auch dieses Jahr in 1,5 Millionen Schweizer Haushalten wieder Christbäume stehen, sind bis zu 80 Prozent davon Nordmanntannen. Die anderen sind Rottannen.

Nordmanntannen seien deshalb so beliebt, weil sie sehr gleichmässig wachsen und nicht nadeln, sagte der Geschäftsführer der IG Suisse Christbaum, Philipp Gut, einmal in einem Interview mit der «TierWelt». Laut Markus Grüter haben erstklassige Nordmanntannen einen regelmässigen Wuchs mit schön verteilten Ästen und seien saftig grün sowie überall benadelt. «Und eine Top-Spitze müssen sie haben.» Er verkauft Weihnachtsbäume in der Höhe von einem bis zweieinhalb Metern. Bis so ein Nadelbaum überhaupt einen Meter gross ist, dauert es aber: Als Dreijähriger in die Kultur gesetzt, wächst er doch nochmals vier Jahre weiter.

Die Beliebtheit der Nordmanntanne führte Philipp Gut auch darauf zurück, dass sie ähnlich aussehe wie die einheimische Weisstanne und dass sie damit dem Idealbild einer Tanne entspreche. Und doch: Die allermeisten Weihnachtsbäume stammen gar nicht aus der Schweiz, sondern aus Deutschland, Österreich und vor allem Dänemark. Allein in diesem skandinavischen Land bringen 4000 Produzenten jährlich 175 Millionen Bäume auf dem Markt, schrieb das Magazin «Bio-aktuell» im vergangenen Jahr.

Diese stehen meist in grossen Monokulturen, wo auch viele Herbizide, Fungizide und Insektizide gespritzt werden. Synthetische Dünger sorgen für schnelles Wachstum und sattgrüne Nadeln. Wer all dies ablehnt, sollte nicht beim Grossverteiler einen Baum kaufen, sondern in seiner Wohnregion einen Direktvermarkter suchen, bei dem die beliebten Christbäume schonend wuchsen – und bei dem im besten Fall im Sommer energisch blökende, wollige Rasenmäher zwischen den Tannen unterwegs waren.

Einkaufskorb
Eine Auswahl an Christbaumproduzenten, deren Anlagen Shropshire-Schafe beweiden. Die Verkaufszeiten und Standorte sind auf den Websites zu finden.
Sempach LU: christbaumfarm.ch
Biembach BE: neuhaus-biembach.ch
Huttwil BE: nyffenegg.ch
Meikirch BE: bucherhof.info
Gipf-Oberfrick AG: wald-und-tier.ch
Hermetschwil-Staffeln AG: weihnachtshof.ch
Wislikofen AG: bio-ifanghof.ch
Kloten ZH: christbaum-spaltenstein.ch
Goldach SG: christbaum-goldach.ch
Bettwiesen TG: tannenweid.ch