Klimafluchten
45 Millionen Vertriebene: Naturkatastrophen auf Rekordniveau
Millionen Menschen weltweit werden durch Überschwemmungen, Stürme oder Dürren aus ihrer Heimat vertrieben. Besonders betroffen sind arme Regionen, in denen die Klimakrise soziale und politische Spannungen verschärft, Lebensgrundlagen zerstört und Migration immer häufiger zu einer Frage des Überlebens macht.
Abgeschlagen auf Platz 170 befindet sich die Schweiz – eine Platzierung, die man ausnahmsweise jedoch dankend mit Ehrfurcht annehmen sollte. Im Weltrisikobericht von 2020 wurden 181 Länder auf ihr Katastrophenrisiko bewertet. Die zu ihrem Leidwesen führenden Länder befinden sich dabei in weit entfernten Regionen: in Ozeanien, Südostasien, Mittelamerika sowie in Zentral- und Westafrika. Infolge der globalen Erwärmung und des damit einhergehenden steigenden Meeresspiegels besitzen insbesondere Inselstaaten eine hohe Gefährdung gegenüber extremen Naturereignissen. Afrika hingegen ist Heimat von mehr als zwei Drittel der vulnerabelsten Länder der Welt. Nicht selten prallen hier Naturkatastrophen wie Dürren, Ressourcenknappheit und soziale Spannungen aufeinander, welche Menschen dazu zwingen, ihr Zuhause aufzugeben und woanders Zuflucht zu suchen.
Die Ursachen für diese Fluchtbewegungen sind vielfältig und oft untrennbar miteinander verbunden. Ruth Schöffl von der UNO-Flüchtlingsorganisation UNHCR erklärt: «Klimabedingte Vertreibung wird sowohl durch plötzliche Extremwetterereignisse als auch durch langsam fortschreitende Veränderungen ausgelöst.» Überschwemmungen, Wirbelstürme und Waldbrände können Menschen innerhalb kürzester Zeit aus ihren Häusern vertreiben. Langsame Veränderungen wie Dürren, der steigende Meeresspiegel oder die Versalzung von Böden zerstören langfristig Lebensgrundlagen, sodass ganze Gemeinschaften ihre Heimat verlassen müssen. Hinzu kommen soziale Spannungen, die durch knappe Ressourcen wie Wasser oder landwirtschaftlich nutzbare Flächen verschärft werden, und politische Instabilität, die eine Rückkehr oft unmöglich macht. «Die Klimakrise kann Ressourcenkonflikte verschärfen und bestehende soziale, wirtschaftliche oder politische Spannungen noch weiter vertiefen», betont Schöffl. Fehlende Katastrophenvorsorge und unzureichende Anpassungsmassnahmen von Staaten verstärken ausserdem die Verwundbarkeit betroffener Regionen nur zusätzlich.
Laut dem Internal Displacement Monitoring Centre IDMC wurden im Jahr 2024 rund 45,8 Millionen Menschen aufgrund von Naturkatastrophen aus ihrer Heimat vertrieben – die höchste Zahl seit Beginn der Aufzeichnungen im Jahr 2008. Allein Überschwemmungen führten zu 19,1 Millionen Binnenvertreibungen, Stürme sogar noch häufiger. Viele dieser Vertreibungen erfolgten präventiv: Regierungen evakuieren ganze Regionen, um Menschenleben zu schützen. Ganze Familien müssen dabei Hab und Gut zurücklassen und wissen oft nicht, ob sie je zurückkehren können. Langfristigere Katastrophen verhindern erst gar die Rückkehr, wie Schöffl meint: «Generell beobachten wir, dass in den letzten Jahren relativ wenig Geflüchtete in ihre Heimat zurückkehren konnten, weil sich die Umstände schlicht nicht besserten.»
Klimakrise trifft die Armen
Fast 75 Prozent aller Geflüchteten leben in Ländern, die am stärksten von der Klimakrise bedroht sind. Über zwei Milliarden Menschen haben keinen sicheren Zugang zu Trinkwasser, Dürren bedrohen die Ernährung von Millionen, und Extremwetterereignisse treffen die Ärmsten am härtesten. Klimavertriebene besitzen zudem nur begrenzten Schutz, denn sie gelten nicht als Flüchtlinge. Nach der Genfer Flüchtlingskonvention zählen zu diesen nur jene, die aus Gründen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen politischer Überzeugungen verfolgt werden. Wer allein wegen Dürren, Überschwemmungen oder steigender Meeresspiegel flieht, hat keinen Anspruch auf Asyl. «Menschen, die nur vor Klimakatastrophen fliehen, erhalten keinen Asylstatus. Allerdings bedingt der Klimawandel sehr oft auch Kriege und Konflikte.» Menschen, die vor diesen Krisen fliehen, können Schutz erhalten. «Es braucht jedoch zusätzliche internationale Konzepte, wenn immer mehr Menschen vor Klimakatastrophen in anderen Ländern Schutz suchen müssen», betont Ruth Schöffl.
Laut dem World Economic Forum könnten bis 2050 14,5 Millionen Menschen klimabedingt sterben, vor allem durch Dürren, Überschwemmungen und Krankheiten. Für die Betroffenen bedeutet dies, dass Migration immer öfter kein freiwilliger Schritt ist, sondern eine Frage des Überlebens. Dabei sind Binnenvertreibungen meist langfristig, denn nur ein Bruchteil der Geflüchteten kehrt jemals zurück. Die Mehrheit findet Zuflucht im eigenen Land, zwei Drittel der internationalen Flüchtlinge in den Nachbarstaaten. Viele leben in Ländern mit niedrigem oder mittlerem Einkommen, wo Infrastruktur, Gesundheitsversorgung und Bildung ohnehin schwach sind. UNHCR reagiert auf diese Herausforderung mit Anpassungsmassnahmen und Prävention. «In Flüchtlingslagern arbeiten wir mit erneuerbaren Energien und klimafesten Unterkünften. Auch Wiederaufforstungs- und Ausbildungsprojekte sollen den Menschen langfristig helfen.» So werden in Kamerun und Mauretanien Wälder aufgeforstet und in Mosambik entstehen Häuser, die Stürmen und Überschwemmungen besser standhalten sollen.
Der Wandel des Klimas verändert nicht nur die Umwelt, sondern das Leben von Millionen Menschen grundlegend. Auch wenn hier im Zentrum Europas – in einem der wohlhabendsten und risikoärmsten Land der Welt – die Auswirkungen der Klimakrise für viele nicht unmittelbar erscheinen, wird ohne konsequente globale Massnahmen die Zahl der Klimavertriebenen weiter steigen.
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