Bäume sind grossartig, aber sie können auch genau das Gegenteil sein. «Sie beklauen sich, vergiften und verstümmeln einander oder saugen andere Bäume aus wie Vampire. Sie sind platzgierig, leistungsgeil, übergriffig und auf fast schon geniale Weise heimtückisch. So verrückt es klingt: Manche hetzen ihren Nachbarn sogar kleine Killer auf den Hals oder bearbeiten sie mit einer Art Gartenschere…», schreibt Markus Bennemann in seinem Buch «Böse Bäume».

In zwölf Kapiteln beschreibt Bennemann die dunkle Seite unserer liebsten Waldbewohner. Dem berüchtigtsten Baum und Stein des Anstosses für das Buch begegnete der Autor auf Bali, wo er einen Freund besuchte und eigentlich gar nichts mit Pflanzen zu tun hatte. Nach abenteuerlichen Fahrten auf Taxi-Scootern durch die Strassen Balis, Tempelbesichtigungen und der Verköstigung von Kaffee, der zuvor den Darm von Zibetkatzen passierte, endete ein Ausflug an einem seltsamen Baum.

Er war innen hohl und so gross, dass man sich problemlos hineinstellen konnte. Im Gegensatz zu den dem Tode nahen hohlen Bäumen in unseren Breitengraden wirkte dieser auf Bali voll im Saft. Auch bestand er nicht aus einem Stück, sondern aus vielen dünnen Strängen, die miteinander verwoben und verschmolzen waren. Im Innern des Geflechts fühlte sich Bennemann fast klaustrophobisch, als könnten sich die Stränge nach und nach zuziehen und ihn ersticken. In dem Moment ahnte er noch nicht, wie nahe er damit an der Wahrheit war, denn wo jetzt das beeindruckende Pflanzengeflecht stand, wurde ein anderer Baum Opfer der Würgefeige, einer mörderischen Strangulationskünstlerin des tropischen Dschungels.

Strangulationskünstler und Feinschmecker

Würgefeigen rauben anderen Bäumen Wasser, Nahrung und Licht, indem sie sich um sie winden. Der ursprüngliche Baum stirbt langsam ab und zerfällt, sodass im Innern des Schmarotzers ein Hohlraum übrigbleibt. Nach dieser Erkenntnis spricht Bennemann für ein erstes Kapitel mit Biologen und Baumexperten über die wunderbaren, aber oft tödlichen Feigenarten dieser Welt. Über Wespen, die die Blüten bestäuben, das schmackhaft süsse Fleisch der Früchte und wer sich diese nebst uns Menschen noch gerne munden lässt, sowie natürlich darüber, wie es manche Arten dazu gebracht haben, andere Pflanzen zu Tode zu würgen.

Ohne zu viel zu verraten, sind es nicht zuletzt die leckeren Früchte, mit denen die Feige dafür sorgt, dass ihre Samen zu anderen Bäumen gelangen können. Dort angekommen bilden Feige und Wirtsbaum erstmal eine friedliche WG, bis Erstere ihre tödlichen Wurzeln immer länger und unerbittlicher um ihr Opfer schlingt. Sobald die Wurzeln den Boden erreichen, ist das Schicksal des Wirtsbaums besiegelt.

«Wie in einem Hollywood-Thriller ist der dramatische Moment erreicht, an dem der unauffällige Untermieter sein wahres Gesicht zeigt», schreibt Bennemann. «Nach und nach beansprucht er die Dachterrasse für sich allein, und unten an der Haustür fängt er jeden Pizzaboten ab.» Den Leserinnen und Lesern wird in einer alltagstauglichen Sprache vermittelt, wie die Würgefeige langsam und perfide jede Lebensquelle ihres Wirts besetzt und ihm den Zugang abschneidet.

Was fühlen Pflanzen?

Markus Bennemann betont, dass auch bei menschlichen Mördern nicht jeder «böse Baum» durch und durch schlecht ist. Auch Würgefeigen haben ihre guten Seiten. Mit ihrem Stützkorsett aus starren Wurzeln schützt sie zum Beispiel ihren Wirt vor Sturmschäden. Von manchen Biologen wird die Würgefeige gar als «Baum des Lebens, nicht des Todes» bezeichnet, denn über 1200 Arten von Vögeln und Säugetieren ernähren sich von den Früchten.

Generell dürfte klar sein, dass das Buch keine moralische Keule schwingt, sondern sich lediglich einer menschlichen und somit durchaus auch mal emotionalen Sprache bedient, um interessante Fakten über das oft unbekannte Leben gewisser Bäume näherzubringen. Viele davon überraschen. Oder kennen Sie das wahre Gesicht der mörderischen Walnuss? Wer ist der weisse Vampir im Monsterwald? Und muss man Buchen wirklich suchen und vor Eichen weichen?

Ganz zu Schuss führt das letzte Kapitel zum Baum der Erkenntnis, und auch der Autor wird zum Ende hin philosophisch. «Seit der Aufklärung sind auch die angeblich so dumpfen Tiere ein gehöriges Stück zu uns aufgerückt. Selbst Pflanzen werden nicht mehr selbstverständlich als geist- und gefühlloses Grünzeug gesehen.» Ob das manche Bäume wirklich böse macht? Dieses Urteil muss nach der Lektüre wohl jeder selbst fällen.


Markus Bennemann, geboren 1971, ist ein Naturmensch und widmet sich in seinen Büchern den unheimlichen Seiten unserer Umwelt. Nach dem Studium arbeitete er als Journalist für Tageszeitungen und als Krimischreiber fürs Fernsehen sowie als Autor vieler Sachbücher und Romane.

Markus Bennemann: «Böse Bäume. Wie sie töten, stehlen, Feuer legen – die dunkle Seite unserer liebsten Waldbewohner», Taschenbuch, 272 Seiten, Goldmann Verlag