Reportage
Freiwilligenarbeit für die Biodiversität: Ein Erfahrungsbericht
Mehr Biodiversität zu fordern, ist einfach. Doch selbst etwas dafür zu tun, kann richtig harte Arbeit sein. Ein Erfahrungsbericht von einem Freiwilligeneinsatz mit Pro Natura.
Irgendwann bekommt man Aggressionen gegen diese Dornen. Nicht nur die Brombeeren, sondern vor allem diese fiesen, langen Stacheln von Schwarzdornästen sorgten reihum für so manches herzhafte «Autsch!» und einige blutige Kratzer. Rund 20 Leute erschienen an diesem sonnigen Samstagmorgen im Dorf Vordemwald (AG), um sich gemeinsam durch einen verwilderten Heckenstreifen zu kämpfen. «Mühsam für uns, gut für die Tiere», meinte die Einsatzleiterin Ursina El Sammra gut gelaunt. Denn die Dornen machen nicht nur uns das Leben schwer, sondern auch potenziellen Fressfeinden der Tiere, die in solchen Hecken leben.
Um die 60 Vogelarten, Wiesel, Feldhasen, Erdkröten und viele andere Arten sind auf diesen Lebensraum angewiesen. Till Buser, der für Pro Natura Aargau mit dem Unterhalt von Schutzgebieten beauftragt ist, hat eine klare Vorstellung davon, wie eine ideale Hecke aussehen sollte: Hohe Sträucher in der Mitte, die gegen aussen hin immer kleiner werden. Idealerweise wird das Ganze von einem breiten Band von Kräutern umschlossen. Je grösser die Vielfalt, desto mehr Lebensräume bietet der Heckenstreifen. Denn ob wärmer, kühler, offener oder geschützter – jedes Tier bevorzugt andere Bedingungen.
Panzersperren für die Natur
«Hier haben wir eine wertvolle Hecke», betonte Till Buser. «Obwohl schon länger nichts mehr gemacht wurde, hat es immer noch viele verschiedene Pflanzenarten drin.» Normalerweise dominieren in Hecken des Mittellandes vor allem Hartriegel und Hasel, vielleicht findet man darin mal einen Schwarzdorn, erklärte der Experte. «Hier hat es aber auch Rosen und Weissdorn, was in einem solch intensiv genutzten Gebiet nicht selbstverständlich ist.»
Was er damit meinte, sind die landwirtschaftlichen Flächen, die den Heckenstreifen umschliessen. Sie werden von Panzersperren aus dem Zweiten Weltkrieg begrenzt. 2019 konnte Pro Natura die Parzelle vom Militär abkaufen, um sie dem Artenschutz zu widmen. Nun, sechs Jahre später, ist es höchste Zeit, das munter wuchernde Gehölze radikal zurückzuschneiden. Denn je weniger Licht durch das dichte Gestrüpp gelangt, desto mehr wird der Unterwuchs gehemmt. «Für geeignete Unterschlüpfe muss die Hecke aber bodennah dicht wachsen können», erklärte Ursina El Sammra. Aus diesem Grund lautete der Auftrag an uns Freiwillige: Schneiden und sägen, was das Zeug hält.
Jung und Alt packte mit an
Schon als wir den Auftrag gefasst hatten, war allen klar, dass wir es an diesem Tag nicht schaffen würden, die ganze 220 Meter lange Hecke so intensiv zu pflegen. Nur dank Till Busers Vorarbeit mit der Motorsäge verloren wir an den dickeren Stämmen nicht allzu viel Zeit und kamen langsam, aber sicher vorwärts.
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Dies lag auch an den zahlreichen motivierten Händen, die an diesem Tag mit anpackten. Mehr als die Hälfte der Anwesenden war durch den Naturschutzverein der Gemeinde Vordemwald aufgeboten worden. Darunter befanden sich ortsansässige Familien samt Kind und Kegel, aber auch ein paar ältere Semester, die ihre Zeit dieser sinnvollen Arbeit widmen wollten.
Über das Freiwilligenangebot von Pro Natura Aargau hatten sich vor allem junge Erwachsene angemeldet, denen die Artenvielfalt am Herzen liegt. Besonders beeindruckend war eine ältere Frau, die der kantonalen Seniorengruppe angehört und selbst ein Naturschutzgebiet betreut. «Diese Woche ist das schon mein dritter Einsatz», erzählte sie fröhlich. Zwischendurch habe sie auch noch im eigenen Garten gewerkelt. «Das ist mein kostenloses Fitness-Abo!»
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Dass längst nicht alle Anwesenden eine solche Routine vorzuweisen hatten, war schnell klar. Nach anfänglichem Zögern, wo man sich am besten einbringen konnte, packten jedoch alle kräftig mit an. Dies bis zum wohlverdienten Mittagessen, das Till Buser vom nahegelegenen Restaurant herchauffiert hatte.
Kurzer Biber-Exkurs
Trotz neuer Energie im Bauch hatten es die wenigsten pressant, sich direkt wieder ins Dickicht zu stürzen. So kam die Einladung von Einsatzleiterin Ursina El Sammra gerade recht, eine kleine Führung über Biber zu machen. Schon am frühen Morgen hatte sie am Bach, der an die Hecke grenzt, einen abgenagten Baum entdeckt. Gespannt lauschte Gross und Klein den Erzählungen über das Leben der Biber. Die Umweltingenieurin erklärte, in welchem Rahmen auch die Nager Heckenpflege machen, weshalb sie für die Biodiversität so wichtig sind und trotzdem kontrovers diskutiert werden. Nach diesem kleinen Exkurs hiess es dann aber endgültig: zurück an die Arbeit! Dabei wurden wir allmählich zu einem richtig eingespielten Team. «Vorsicht!», hörte man es immer wieder rufen, wenn man nahe beieinander arbeitete und mit besonders dornigen Ästen hantierte. Diese liessen wir nicht einfach abtransportieren, sondern stapelten sie zu riesigen Asthaufen, welche Wiesel für ihre Jungenaufzucht nutzen können.
Zusammenarbeit mit Nachbarn
Das Hochgefühl, etwas gemeinsam für Wildtiere zu erschaffen, wurde erst kurzfristig unterbrochen, als der erste Nachbar-Landwirt vorbeischaute. Die wilde Hecke habe allmählich begonnen, in seine Parzelle hineinzuwachsen und er sei froh, dass diese nun zurückgeschnitten werde. Auch die Nachbarin der anderen Seite kam im Verlaufe des Nachmittags für ein ähnliches Statement vorbei. Einsatzleiterin Ursina El Sammra zeigte sich sehr verständnisvoll und betonte, sie dürfen sich jederzeit bei der Geschäftsstelle von Pro Natura Aargau melden, wenn etwas ist.
Wenn möglich, werden solche Heckenflächen jeweils an Landwirte verpachtet, erklärte Till Buser. Denn im Gegensatz zu Pro Natura würden sie für diese Arbeit Direktzahlungen erhalten. So will die Naturschutzorganisation ein Miteinander von Landwirtschaft und Naturschutz fördern, betont der nationale Dachverband. «Gemeinsam mit den lokalen Landwirten legen wir fest, welche Naturschutzziele erreicht werden sollen und welche Massnahmen dazu umgesetzt werden», erklärt René Amstutz, Abteilungsleiter Biotope & Arten. «Pro Natura unterstützt sie dabei im Rahmen ihrer Möglichkeiten – zum Beispiel mit freiwilligen Einsätzen.»
Ohne Freiwillige weniger Naturschutz
Die Naturschutzorganisation sichert solche Parzellen mit Verträgen, wann immer es sich anbietet, Räume für die Artenvielfalt zu schaffen oder zu wahren. Stand 2023 besass sie schweizweit eine Fläche von rund70 km2. Dies entspricht fast zwei Mal der Grösse des Kantons Basel-Stadt. Gleichzeitig ist es nur ein Bruchteil der Schutzgebiete, die von Pro Natura betreut werden. «Jedes Jahr leisten Tausende von Freiwilligen Tausende von Arbeitsstunden für die Pflege, Betreuung und Verwaltung unserer Schutzgebiete», hält René Amstutz fest. «Ohne dieses Netzwerk von Freiwilligen könnte Pro Natura diese Arbeiten nicht vollumfänglich finanzieren.» Ein Vergleich der Jahre 2015 und 2021 habe gezeigt, dass die Zahl der Freiwilligen um einen Drittel zugenommen hatte. Gleichzeitig sei jedoch die Gesamtzahl der geleisteten Stunden leicht gesunken. Gefragt wären also vor allem Leute, die sich intensiv engagieren, oder sogar die Koordination einer Freiwilligengruppe übernehmen. «Viel wichtiger als die Zahl der Freiwilligen ist uns, dass wir den Gemeinschaftssinn innerhalb des Netzwerks stärken und für den Naturschutz sensibilisieren», betont Amstutz.
Beim Arbeitseinsatz in Vordemwald ist dieser Vorsatz auf jeden Fall gelungen. Noch bevor die Motivation für die nicht immer so angenehme Arbeit zu sehr nachlassen konnte, wurde zeitig der Feierabend eingeläutet. Nach dem Zusammenpacken machten wir uns dann gemeinsam auf den Heimweg. Beim Warten im Bushäuschen wurde noch rege über verschiedene Möglichkeiten des Naturschutzes diskutiert. Die Freiwilligen waren hoch motiviert, sich in Zukunft weiter für die Biodiversität zu engagieren.
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