Von Weitem fällt das Zuhause von Conny und Sandro Huber im thurgauischen Affeltrangen kaum auf. Ihr rollendes Tiny House (auf Deutsch: winziges Haus) steht nämlich unmittelbar vor einem grossen Gebäude und fügt sich perfekt in die Umgebung ein, fast wie ein Vorbau. Steht man aber unmittelbar vor dem Häuschen des Paares, dem kleinsten des Kantons, ist es mit seinem dazugehörigen begrünten, überdachten Gartensitzplatz ein wahrer Blickfang. Die braune Verkleidung in edler Holzoptik, die weissen Fenster und die moderne, teilverglaste Eingangstür machen es zu einem Schmuckstück, das die Neugier weckt, mehr zu sehen. «Kein Problem», findet Sandro Huber und lässt seinen Besuch eintreten. Als Erstes fällt die hochwertige, vollausgestattete Küche mit dem Gasherd, dem rot-goldenen Ofen und der passenden stylischen Designer-Dunstabzugshaube ins Auge. Rechts daneben befindet sich ein kleines Bad mit WC und Dusche, links eine Sitzecke mit Tisch, Stühlen und Sofa. In diesem Moment kommt Conny Huber eine schmale Treppe herunter. Diese führt zum vier Quadratmeter kleinen Schlafbereich direkt unter dem Dach. Dazu kommen 19 Quadratmeter ebenerdige Wohnfläche.

«Ein Tiny House ist wie ein massgeschneidertes Kleidungsstück.»

Seit fast vier Jahren wohnen die Hubers in ihrem gemütlich eingerichteten Tiny House, das sogar über eine Fussbodenheizung verfügt. Der Kontrast zu ihrem vorherigen Domizil könnte kaum grösser sein. Bevor sie im Sommer 2018 ihr fahrbares neues Zuhause bezogen haben, wohnten sie in einem grossen Haus mit acht Zimmern und rund 400 Quadratmetern. Dennoch fiel ihnen die Umstellung nicht schwer. «Wir vermissen nichts. In unserem früheren Haus haben wir einige Zimmer überhaupt nicht genutzt. Und je mehr Platz man hat, desto mehr verschwendet man ihn», sagt Sandro Huber. Das passiert nun nicht mehr. Die Hubers, die als Camper reichlich Erfahrung mit Wohnen auf kleinem Raum haben, scheinen jeden Zentimeter optimal zu nutzen. Der grosse Vorteil an einem Tiny House sei die individuelle Note. Keines dieser kleinen Häuser sei wie das andere und jedes werde nach Kundenwunsch angefertigt. «Das ist wie ein massgeschneidertes Kleidungsstück», sagt Conny Huber.

Dazu komme noch die ökologische Komponente. «Ein Tiny House spart nicht nur Ressourcen, es versiegelt auch niemals den Boden», betont der ehemalige Hühnerzüchter Sandro Huber. Das sei enorm wichtig. Nachteile fallen ihm spontan keine ein. Man müsse sich einfach sehr gern haben, wenn man so eng zusammen haust, sagt er und lacht herzhaft. Conny Huber schmunzelt ebenfalls, fügt aber schnell an, dass das doch bei jeder Form des Zusammenlebens die Grundvoraussetzung sei. Abgesehen davon ist es trotz der beengten Verhältnisse möglich, Gäste zu empfangen. Nicht nur draussen in der lauschigen Laube, sondern auch drinnen. «Wir haben schon mit zehn Leuten einen Geburtstag bei uns gefeiert. Das war sehr spassig. Einige wollten gar nicht mehr gehen», erinnert sich Conny Huber und wirkt dabei sehr glücklich.

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Die Mischung stimmt

Es ist eine Mischung aus Nachhaltigkeit, Selbstverwirklichung, weniger Aufwand durch Putzen und dadurch mehr Freizeit sowie einer Absage an den übermässigen Konsum, die Conny und Sandro Huber den Schritt zum Tiny House haben machen lassen. Die Umsetzung war allerdings gar nicht so einfach. Denn das Angebot an dieser aus den USA stammenden Wohnform (siehe Box) ist hierzulande sehr überschaubar gewesen und entsprach nicht ihren Vorstellungen. Erst im deutschen Allgäu haben die 49-Jährige und der 63-Jährige bei einem Anbieter gefunden, wonach sie gesucht haben.

Schnell stand für sie fest, rund 110 000 Franken für ihr Wunschhaus zu investieren. Doch damit nicht genug. «Wir haben uns überlegt, warum wir nicht für die Allgäuer Firma in der Schweiz Tiny Houses anbieten sollten», erzählt Sandro Huber. Gedacht, getan. Mittlerweile berät der Gärtner eines grösseren Zürcher Dienstleistungsunternehmens mit seiner Partnerin nebenberuflich zu allen Aspekten rund ums Tiny House. Die Nachfrage sei sehr gross, und zwar querbeet durch alle Alters- und Berufsklassen, berichtet Conny Huber. Auffällig sei zudem, dass sich immer mehr Frauen für die kleinen Häuser interessieren.

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Eine davon ist Marina Niedermann. Sie wohnt seit gut einem Jahr in einem Tiny House – nur wenige Gehminuten von den Hubers entfernt. Die Oberstufenlehrerin und angehende Heilpädagogin möchte mit einer nachhaltigen Lebensweise Vorbild für andere sein. «Der Verzichtgedanke steht aus meiner Sicht viel zu oft im Vordergrund. Man kann auch auf relativ wenig Wohnfläche viel machen, ohne seine Lebensqualität einzuschränken», sagt die 30-Jährige, die ihre 23 Quadratmeter mit einer blinden und einer sehbehinderten Katze teilt und einen herrlichen Ausblick auf den idyllisch plätschernden Bach Lauche hat.

Dass es mit ihrem lichtdurchfluteten Tiny House, das über 21 Fenster verfügt, in bester Lage geklappt hat, liegt einerseits am Entgegenkommen der Gemeinde Affeltrangen und andererseits an Bernhard Lüthi, auf dessen Grundstück sich das Häuschen samt grosszügiger Terrasse befindet. «Er hat von der Tiny-House-Vermittlung der Hubers gehört und bot einen Platz an. Es waren also sehr glückliche Umstände, als ich auf Conny und Sandro Huber wegen eines Tiny Houses zugegangen bin und diesen tollen Standort bekommen habe», erzählt Marina Niedermann, während ihr eine ihrer Katzen schnurrend um die Beine streicht.

Schon gewusst?
Tiny Houses stammen ursprünglich aus den USA. Dort wurden die winzigen Häuser mit Rädern für umweltbewusste Menschen und Personen mit geringem Einkommen entwickelt. Sie erhielten spätestens mit Beginn der Finanzkrise 2007 grosse Aufmerksamkeit in den Vereinigten Staaten. Die Grösse eines Tiny Houses variiert zwischen 15 und 45 Quadratmetern. Die Standardmasse betragen in der Schweiz wegen der Verkehrsregeln 9,2 Meter Länge, 2,55 Meter Breite und 3,95 Meter Höhe. Ein komplettfertiges Wohnhaus gibt es ab rund 70 000 Franken.

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Ohne Baubewilligung läuft nichts

Eines der grössten Probleme bei der Verwirklichung eines Tiny Houses ist nämlich, den passenden Platz dafür zu finden. «Man braucht eine Baubewilligung», sagt Sandro Huber. «Gemeinden gehen unterschiedlich damit um, weil sie wenig oder gar keine Erfahrung mit Tiny Houses haben. Wir versuchen zu vermitteln und auch Bauland zu organisieren.» Am besten funktioniere das, wenn ein Tiny House an ein anderes Haus angeschlossen ist und von diesem Strom und Wasser bezieht sowie die Kanalisation nutzen kann. So wie es bei den Hubers und Marina Niedermann der Fall ist. Beide Parteien wären aber auch in der Lage, autark zu leben und beispielsweise Solarzellen für die Stromerzeugung oder einen Wassertank nachzurüsten. Doch auch ohne diese Zusatzleistung leben sie bereits sehr sparsam. Durch die Dusche laufen beispielsweise gerade einmal sechs Liter Wasser pro Minute. Die Toilettenspülung benötigt sogar nur einen Liter Wasser.

«Wir werden belächelt und bewundert.»

Marina Niedermann und Sandro Huber blicken einander zufrieden an. Seitdem sie sich über das Thema Tiny House kennengelernt haben, pflegen sie auch privat guten Kontakt. Wie unter Campern gebe es auch unter Tiny-House-Besitzerinnen und -besitzern eine Art Community und einen engen Zusammenhalt. «Natürlich werden wir mit unserer Philosophie von manchen Leuten belächelt. Gleichzeitig bekommen wir viel Bewunderung», erzählt Huber. Eigentlich sei es aber gar nicht wichtig, was andere denken. Viel wichtiger ist es, das persönliche Wohnglück gefunden zu haben. Und dafür braucht es nur wenig Raum.

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