Die Schweiz betreibt aktuell vier Kernkraftwerke, ein zusätzliches ist bereits stillgelegt. Mit 18 500 Millionen kWh lieferten sie 2021 rund einen Drittel des Schweizer Stroms, den sie aus Wärme produzieren, die bei der Spaltung von Atomkernen im Reaktor entsteht. Als Brennstoff dient dabei meist Uran, das in Brennelementen den Hauptbestandteil eines Reaktorkerns bildet. Brennelemente wiederum bestehen aus vielen dünnen Brennstäben, die von einem Kühlmittel, meist Wasser, umspült werden.Diese Kühlung ist nötig, weil beim Zerfall der Atome in den Brennstäben an den Brennelementoberflächen eine Temperatur von bis zu 600 Grad entsteht.

Bei nicht ausreichender Kühlung können die Brennstäbe und somit auch andere Teile des Reaktorkerns schmelzen. Beim Reaktorunfall von Fukushima (Japan) 2011 kam es zu solchen Kernschmelzen, in deren Folge grosse Mengen an radioaktivem Material freigesetzt wurden. Der Bundesrat nahm die Katastrophe zum Anlass, den schrittweisen Ausstieg aus der Kernenergie zu beschliessen. Mit dem ersten Massnahmenpaket der Energiestrategie 2050 wird die Wiederaufbereitung abgebrannter Brennelemente verboten. Sie müssen seitdem als radioaktive Abfälle entsorgt werden.

Atommüll strahlt lange

Während der Kernspaltung entstehen Atome, die nicht mehr für die Energiegewinnung genutzt werdenkönnen, jedoch noch radioaktiv strahlen. Wie lange dieser Atommüll aktiv ist, hängt von der Halbwertszeit ab. Dabei nimmt die Radioaktivität der Atome exponentiell ab, das heisst, nach einer Halbwertszeit beträgt sie noch die Hälfte des Anfangswerts, nach zwei Halbwertszeiten ein Viertel, nach zehn Halbwertszeiten rund ein Tausendstel. Erst wenn die Aktivität auf das Niveau der natürlichen Radioaktivität der Umgebung abgesunken ist, sind keine Strahlenschutzmassnahmen mehr nötig.

Die Hauptmenge radioaktiver Abfälle ist ziemlich kurzlebig. Jod-131 hat zum Beispiel eine Halbwertszeit von acht Tagen. Andere Bestandteile von Atommüll sind wesentlich problematischer. Strontium-90 zum Beispiel hat eine Halbwertszeit von 28,5 Jahren, Jod-129 gar eine von 15,7 Millionen Jahren. Entsprechend lange müssen auch die Abfälle sicher gelagert werden. Frisch abgebrannte Brennstäbe haben eine hohe Anfangsaktivität und können daher nicht transportiert werden. Sie werden erst in einem Abklingbecken aufbewahrt und danach für Jahrzehnte zwischengelagert. Dies entweder direkt in den Atomkraftwerken oder im zentralen Zwischenlager Zwilag bei Würenlingen AG.

Langfristig muss aber ein Endlager gefunden werden, also ein Depot, in dem die Fässer mit Atommüll für die Dauer von Hunderttausenden von Jahren eingelagert werden können, bis die Abfälle zur Unschädlichkeit zerfallen sind. Um sicherzugehen, dass der radioaktive Abfall weder Mensch noch Umwelt schadet, wurde in der Schweiz ein Zeitraum von einer Million Jahren festgelegt. Eine sehr lange Zeit, in der sich sowohl die Gesellschaft als auch die Erdoberfläche ändern können, bedenkt man nur, dass der moderne Mensch erst seit 300 000 Jahren auf der Erde weilt.

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Bohrende Fragen

Dass auch die Schweiz nicht darum herumkommt, ein Endlager zu finden, weiss man schon, seit 1969 das erste Atomkraftwerk in Betrieb genommen wurde. Die Nationale Genossenschaft für die Lagerung radioaktiver Abfälle (Nagra) beschäftigt sich seit 1972 mit der Frage: Wohin mit dem Atommüll? 1980 startete die Nagra ein Programm zur geologischen Untersuchung in der Nordschweiz. Es soll geeigneter Boden gefunden werden, der die Strahlung möglichst lange und stabil von der Oberfläche fernhält und in dem ein entsprechendes Tiefenlager gebaut werden kann. Mithilfe seismischer Messungen durchleuchten Wissenschaftler als Erstes den geologischen Untergrund an möglichen Standorten und ermitteln die Schichten des Bodens. So wird entschieden, wo eine Tiefbohrung gemacht wird, um den Untergrund näher zu untersuchen.

In der Schweiz kamen am Ende drei Standorte infrage, an denen auch eine Bohrung durchgeführt wurde. «Das Herzstück des geplanten Tiefenlagers ist der Opalinuston», sagt Nagra-CEO Matthias Braun. Opalinuston ist eine Gesteinsformation im Jura mit tonhaltigen Schichten. Braun ist zuversichtlich: «Hier schliesst das Gestein die Abfälle am besten ein, nicht nur heute, sondern auch in ferner Zukunft.» Während sich die Landschaft an der Erdoberfläche verändert, bleibt das Tiefenlager im Untergrund dort am besten geschützt.

Je tiefer das Lager, desto besser ist es auch vor Oberflächenerosion durch Flüsse und Gletscher geschützt. Im Schweizer Opalinuston kann man noch Spuren des uralten Meerwassers finden, ein Hinweis dafür, dass die Schicht sehr gut isoliert. «Sollte das Gestein einmal brechen, so heilt es sich selber. Wenn Wasser hinzukommt, verschliessen sich diese Rissewieder, vergleichbar mit Katzenstreu.» Zudem würde das Gestein radioaktive Isotope binden, die wie von einem Magnet angezogen werden.

In Nördlich Lägern befindet sich der grösste Bereich von Opalinuston in der Nordschweiz, und die Schicht befindet sich in ausreichender Tiefe. 2015 war man weniger optimistisch und hatte den Standort erst verworfen. «Heute wissen wir, dass die Dichte des Gesteins etwa doppelt so hoch ist», erklärt Braun die Kehrtwende nach sieben Jahren. «Die Geologie hat gesprochen.» 2045 soll in Nördlich Lägern der Bau des Lagers für schwach- und mittelaktive Abfälle starten, 2055 dann der Bau des Lagers für hochaktive Abfälle. Seit 2000 zahlen die Betreiber von Kernkraftwerken in einen Fonds ein, damit zum Zeitpunkt der Entsorgung die nötigen Gelder vorhanden sind. Bis zum Verschluss des gesamten Lagers im Jahr 2125 will die Nagra weiterforschen und den Boden rund um den Standort in einer Langzeitstudie beobachten. Nachdem die bisherigen wissenschaftlichen Fakten inzwischen auf dem Tisch liegen, wird die Diskussion nun politisch.

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