Ein Panzer ruckelt über die Piste zwischen Trockenwiese und Zielhang und hinterlässt eine ordentliche Staubwolke. Das stört die in einer der zahlreichen Hecken sitzende Goldammer (Emberiza citrinella) kaum. Sie schmettert aus voller Kehle, ihr gelbes Gefieder leuchtet in der Sonne. Hier auf dem Waffenplatz Thun BE treffen zwei Welten aufeinander, wie sie unterschiedlicher nicht sein könnten: Auf der einen Seite übt die Armee auf dem ältesten Militärgelände der Schweiz den Ernstfall, auf der anderen Seite brüten hier im Frühling fast 50 der 176 einheimischen Vogelarten auf einem Quadratkilometer. Auch seltene, durchziehende Gäste wie der in der Schweiz ausgestorbene Waldrapp (Geronticuseremita) kann man mit etwas Glück bei der Futtersuche beobachten. Truppenübungsplätze sind schweizweit Hotspots für bedrohte Tier- und Pflanzenarten.

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Das war nicht immer so. Bis in die 80er-Jahre war die Armee der Auffassung, in der Schweizer Bevölkerung praktisch uneingeschränkte Sympathie zu geniessen. Auf die Natur Rücksicht zu nehmen, gehörte dabei nicht zum Alltag des Militärbetriebs. 1987 sorgte ein Waffenplatzprojekt im Hochmoor von Rothenthurm für Furore. Die betroffenen Landwirte wehrten sich gegen die Zerstörung des wertvollen Lebensraums und sorgten mit einer Initiative für einen schweizweiten Schutz von Mooren. Die Stimmbeteiligung von rund 48 Prozent mit knapp 58 Prozent Ja-Stimmen war dabei ungewöhnlich hoch. Ein Weckruf für die Armee. 1998 hat der Bundesrat dann das «Landschaftskonzept Schweiz» in Kraft gesetzt, wonach jedes Department konkreten Natur- und Landschaftsschutzzielen nachkommen muss. Das Eidgenössische Department für Verteidigung, Bevölkerungsschutz und Sport, dem auch die Armee unterstellt ist, rief dafür das «Programm Natur, Landschaft und Armee» ins Leben, welches die Grundlage für die Pflege und Wiederherstellung schützenswerter Lebensräume auf den rund 160 Militärarealen bildet. Spätestens seitdem schliessen sich militärische Aktivitäten und Naturschutz gegenseitig nicht mehr aus, sondern die Armee wird zu einer treibenden Kraft im Erhalt bedrohter Lebensräume sowie deren Tier- und Pflanzenarten.

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Vogelparadies auf der Allmend

Am Beispiel des Waffenplatzes Thun bedeutet dies, dass ein militärisches Gerät auch mal als Gärtner eingesetzt wird. Dann rollt im Januar der Kampfpanzer Leopard 87 über die Allmend und hinterlässt offene Kiesflächen, die im Frühling einen wertvollen Lebensraum für Amphibien bilden. Stark gefährdete Arten wie die Kreuzkröte (Epidalea calamita) und die Gelbbauchunke (Bombina variegata) können hier ihre Eier ablegen. Auch Vögel wie der Flussregenpfeifer (Charadriusdubius) profitieren von den entbuschten Flächen mit kleinen Gewässern, und nutzen sie als Brutgebiet. Militärische Aktivitäten führen oft dazu, dass eine vielfältige, mosaikartige Landschaft entsteht, die auf kleiner Fläche eine grosse Biodiversität beheimatet. Die Böden werden nicht gedüngt, unliebsame invasive Pflanzen oft aktiv bekämpft, und der Besucherstrom hält sich in Grenzen. Dies gefällt auch der Heidelerche (Lullula arborea), die in der Schweiz vielerorts bereits verschwunden ist, sich jedoch auf den Waffenplätzen in Bure JU und Bière VD erstaunlich wohlzufühlen scheint.

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Jede achte Schweizer Heidelerche brütet an einem der beiden Standorte, und auch andere bedrohte Vogelarten wie die Dorngrasmücke (Sylvia communis) und der Neuntöter (Lanius collurio) finden hier geeigneten Lebensraum. In Bure, dem schweizweit grössten Übungsgelände der Armee, wechseln sich Hochplateaus, Laubwald, Stufenhecken und Feuchtgebiete ab. Orchideenarten wie die Bienen-Ragwurz (Ophrys apifera) oder die Spitzorchis (Anacamptis pyramidalis) finden hier die kalkhaltigen Magerwiesen, die sie zum Gedeihen brauchen und wo sie nicht von unwissenden Pflanzenliebhabern gepflückt werden. Dazwischen hoppelt ab und zu ein Feldhase (Lepus europaeus) durch das Gras. Nachdem die Bestände der Langohren in den 50er-Jahren durch die Intensivierung der Landwirtschaft drastisch zurückgegangen sind, können sie sich auf naturbelassenen Geländen dieses und anderer Truppenübungsplätze wieder erholen.

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Unerwartete Entdeckungen

Wild zu geht es auch in Payerne VD auf dem Hauptstandort für die Schweizer Luftwaffe. Während im nördlichen Teil Kampfjets starten und landen, dient der Süden als Wildtierkorridor, der die Lebensräume von Rothirschen (Cervus elaphus) und Wildschweinen (Sus scrofa) miteinander verbindet. Neben den Flugzeugunterständen im Hang graben Füchse (Vulpes vulpes) und Dachse (Meles meles) ihre Bauten und ziehen ihre Jungen auf. Da der biologische Reichtum des Areals ein erhöhtes Risiko von Kollisionen mit Flugzeugen birgt, fährt eine Patrouille bei Bedarf um die Air Base, um Vögel und andere Tiere zumindest temporär von der Gefahrenzone fernzuhalten. Im Gegensatz zu ihren bodenbewohnenden Verwandten suchen Fledermäuse auch direkt in menschengemachten Strukturen Schutz, um dort den Tag oder gar den ganzen Winter zu verbringen. Auf dem Schiessplatz Maglesch beim Waffenplatz Walenstadt SG befinden sich 17 nicht mehrgenutzte Militärstollen, in denen sie optimale Bedingungen für den Winterschlaf finden. Der Fledermausspezialist René Grüttinger entdecke 2013 bei einer Begehung der Bunkeranlagen nicht nur seine Lieblingstiere, sondern auch die Bedornte Höhlenschrecke (Troglophilus neglectus) und erbrachte damit den Erstnachweis dieses lichtscheuen Insekts für die Schweiz. Die kühlen Stollen wurden daraufhin mit Gittertoren gesichert, um das isolierte Vorkommen der Schrecke nicht zu gefährden.

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Wärmeliebende Arten hingegen finden auf den Waffenplätzen in der Südschweiz eine Heimat. In Sion VS prägen Hochstammobstwiesen, Trockenmauern und Hecken das Bild des Armeeareals. Hier brütet nicht nur der Turmfalke (Falco tinnunculus), sondern auch regelmässig der Wendehals (Jynx torquilla). Dieser spatzengrosse Specht zimmert keine eigenen Baumhöhlen, sondern nutzt bereits vorhandene Löcher in den alten Bäumen. Eigens entlang der Suonen gepflanzte Silberweiden (Salix alba) bieten ein reichhaltiges Buffet für Wildbienen, und die Langflüglige Schwertschrecke (Conocephalus fuscus) profitiert von den sumpfigen Wiesen rund um die kleinen Wasserfuhren. Etwa 200 km Luftlinie weiter östlich findet man ihre bizarre Verwandte, die Grosse Sägeschrecke (Saga pedo). Sie ist die grösste mitteleuropäische Heuschrecke und kommt in der Schweiz lediglich im Wallis und im Calanda bei Chur GR vor. Nach einem Waldbrand auf dem Zielhang im Jahr 1943 entstand hier eine von Felsen durchsetzte Trockenwiese von nationaler Bedeutung. Darauf blüht die auffallend orange Feuerlilie (Lilium bulbiferum) neben zehn Orchideen und verschiedenen Enzianarten, und Vogelliebhaber können mit etwas Glück einen Blick auf einen Steinrötel(Monticola saxatilis) oder gar einen Mauerläufer(Tichodorma muraria) erhaschen. Die Hänge werden in einzelne Koppel unterteilt von Schafen beweidet und so von feuergefährdetem Altgras freigehalten. Mit dem regelmässigen Wechsel des Standorts der Weidetiere wird der örtlichen Flora und Fauna Zeit zur Erholung gegönnt. Eine extensive Beweidung ist auch auf dem Waffenplatz in Bière VD und Brugg AG üblich. Auf Letzterem verhindern Wasserbüffel die Verlandung der kostbaren Auen, Heimat der einzigen Laubfroschpopulation (Hyla arborea) an der Aare zwischen Bielersee und ihrer Mündung in den Rhein.

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Die biologische Vielfalt auf ihren Arealen ist ein Zeichen, dass die Bemühungen der Schweizer Armee in Sachen Natur- und Artenschutz Früchte tragen. Nicht umsonst wurden daher 13 Militärbetriebe durch die Stiftung «Natur und Wirtschaft» mit dem Zertifikat «Naturpark» ausgezeichnet. Dies bedeutet, dass ein Minimum von 30 Prozent der Fläche naturnah bewirtschaftet wird und damit zur Erhaltung von Tier- und Pflanzenwelten im Siedlungsraum beiträgt. So sind die Armee und die einzigartige Natur, auf die die Schweizer mit Stolz blicken, längst zu ungewöhnlichen Verbündeten geworden.

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