Reiten ist ein Sport mit tief verwurzelten Traditionen. Eine davon ist das Aufsteigen des Reiters auf der linken Seite des Pferdes. Dieses ungeschriebene Gesetz lässt sich historisch begründen: Da auch die meisten berittenen Krieger und Soldaten Rechtshänder waren, trugen sie ihre Schwerter, Säbel oder Degen links und stiegen von links auf, damit die Waffe nicht im Weg war und sie weder sich selbst noch das Pferd dabei verletzten. Heute ist das Tragen von Hieb- und Stichwaffen auf dem Pferd selten geworden, trotzdem wird nach wie vor von links aufgestiegen, weil das für die meisten Reiterinnen und Reiter angenehmer ist.

Doch was passiert während des Aufsteigens mit dem Pferd? Steigt der Reiter vom Boden aufs Pferd, setzt er erst seinen linken Fuss in den Steigbügel und belastet diesen mit seinem Körpergewicht. Dabei zieht er den Sattel gegen sich und damit auch den Widerrist respektive die Dornfortsätze der Brustwirbelsäule. Greift der Reiter mit der rechten Hand den hinteren Sattelrand um sich mehr oder weniger schwerfällig hochzuziehen, werden die Lendenwirbel genauso verdreht. Das Pferd gerät dadurch aus dem Gleichgewicht, sein linkes Beinpaar wird abrupt stark belastet und es muss, um den massiven Zugkräften entgegenzuwirken, seine Muskulatur, vor allem im Rücken, kräftig anspannen.

Aufstiegshilfe hat sich durchgesetzt 
Diese einseitige Belastung kann mit der Zeit zu Verspannungen und gesundheitlichen Schäden am Bewegungsapparat des Pferdes führen. Dabei spielt es nicht einmal eine gros­se Rolle, wie schwer der Reiter ist: Selbst Leichtgewichte strapazieren den Rücken des Pferdes. Das wird durch die Hebelwirkung je schlimmer, desto unbeweglicher der Reiter ist. Körperlich weniger fitte Menschen neigen nämlich dazu, mit etwas Abstand zum Pferd aufzusteigen, weil sie dann das Bein weniger hoch anheben und beugen müssen.    

Viele Freizeit- und Westernreiter haben die Problematik erkannt und steigen deshalb abwechselnd von links und rechts in den Sattel. Dieses Vorgehen, das auch die Koordination des Reiters schult, ist durchaus zu empfehlen. Vorausgesetzt, das Pferd, das ursprünglich gewohnt war, dass sein Reiter von der linken Seite aufsteigt, wird nicht überrumpelt, sondern sorgfältig darauf vorbereitet. 

Noch besser für den Vierbeiner ist es allerdings, wenn sein Reiter eine Aufstiegshilfe benutzt. Diese Treppchen, Podeste, Hocker, oder Baumstrünke finden sich heute in jedem Reitstall – und haben an Akzeptanz gewonnen. Früher galt es als unsportlich ein solches Hilfsmittel zu benutzen oder es hiess sogar, dass jemand kein richtiger Reiter sei, wenn er nicht vom Boden aufsteigen könne. Doch mittlerweile hat sich herumgesprochen, dass das Aufsteigen von einer erhöhten Position besser für das Pferd ist.

Was offensichtlich ist, wurde durch entsprechende Studien bestätigt. Unter anderem nahmen zwei britische Wissenschaftlerinnen Druckmesstests vor und stellten fest, dass der Pferderücken beim Aufsteigen vom Boden mehr als doppelt so stark belastet wird wie beim Aufsteigen von einem 58 Zentimeter hohen Podest. Auch wenig überraschend, waren die Belastungen umso geringer, je
höher die Aufstiegshilfe war. Beim Aufsteigen von einer hohen Position entfielen die seitlichen Zugkräfte und die Belastung im Lendenwirbelbereich fast vollständig. 

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An die eigene Sicherheit denken
Auch der Faktor Zeit spielte eine wichtige Rolle: Steigt der Reiter mit einem Hilfsmittel auf, ist er dreimal schneller im Sattel. Die Belastung für das Pferd ist also nicht nur geringer, sondern auch von wesentlich kürzerer Dauer. Noch besser wird es, wenn jemand beim Aufsteigen hilft: Beim sogenannten «Gegenhalten», also wenn eine zweite Person während des Aufsteigens den gegenüberliegenden Steigbügelriemen nach unten zieht, wurde eine stark verminderte Druckbelastung im Bereich des Widerrists gemessen.  

Der wahre Pferdefreund verwendet also eine Aufstiegshilfe, sollte bei deren Auswahl aber auch an seine eigene Sicherheit denken. Wacklige Stühle, Getränkekisten oder umgedrehte Eimer sind keine gute Lösung. Es gibt im Fachhandel robuste Hocker, Treppchen oder mehrstufige Podeste aus Holz, Metall oder Kunststoff zu kaufen. Manche haben sogar eine Doppelfunktion und lassen sich auch als Cavalettiblock oder Putzkiste verwenden. Im Internet findet man ausserdem zahlreiche Bauanleitungen für Podeste, von denen sich bequem aufsteigen lässt.

Damit der Reiter gut in den Sattel kommt, ist es wichtig, dass das Pferd gelernt hat, dabei ruhig und gelassen zu stehen. Junge Pferde müssen erst mit einer Aufstiegshilfe vertraut gemacht werden: Sie können es mit der Angst zu tun bekommen, wenn der Reiter auf das Podest steigt und plötzlich viel grösser wirkt. Zum Aufsteigen wird das Pferd so positioniert, dass sich der Sattel auf Höhe der Aufstiegshilfe befindet. Klappt das nicht auf Anhieb, wird das Pferd korrigiert, bis es richtig und ruhig steht. Erst dann betritt der Reiter die Aufstiegshilfe mit Blickrichtung zum Pferd respektive über seinen gesattelten Rücken hinaus. Er fasst die Zügel kürzer, hält diese in der linken Hand, mit der er sich gleichzeitig am Mähnenkamm abstützt, während sich der linke Fuss in den Steigbügel schiebt. 

Nun verlagert der Aufsteigende sein Körpergewicht nach vorne gegen das Pferd, belastet den Steigbügel, hebt das Gesäss an und schwingt das rechte Bein über den Pferderücken. Er lässt sich nicht in den Sattel plumpsen, sondern sitzt sanft ein, während der rechte Fuss in den Steigbügel schlüpft und die rechte Hand den Zügel greift. Nun ist auch der richtige Zeitpunkt, um das stillstehende Pferd zu loben. In Bewegung setzen darf es sich erst, wenn der Reiter sich im Sattel sortiert hat und ihm mit Schenkel- und Kreuzhilfen das Signal zum Loslaufen gegeben hat.   

Auch der Abstieg will gelernt sein
Und nach dem Training oder Ausritt? Von Flugzeugen und Reitern sagt man zwar, dass sie alle früher oder später wieder auf die Erde zurückkommen, aber auch das geht mehr oder weniger elegant. Der Reiter nimmt dazu die Füsse aus den Steigbügeln, holt mit beiden Beinen etwas Schwung, stützt sich mit den Händen auf beiden Seiten des Pferdehalses ab und springt nach links herunter. 

Ein bisschen anders machen das die Westernreiter: Sie lassen beim Absteigen einen Fuss im Steigbügel stehen. Die Zügelhand wird auf das Sattelhorn gelegt, um zu verhindern, dass etwas daran hängenbleibt, zum Beispiel ein Kleidungsstück. Dann schwingt der Westernreiter ein Bein über den Pferderücken und setzt es langsam am Boden ab. Erst wenn er fest steht, wird der zweite Fuss aus dem Bügel genommen.