Wind und Wetter können eingefleischte Reiterinnen nicht vom Ausritt abhalten. Doch wie sieht es aus, wenn die Reiterin schwanger wird und nicht mehr nur die Verantwortung für ihren Körper trägt, sondern auch für das Leben ihres ungeborenen Kindes? Darf man dann überhaupt weiterreiten oder schadet das in der Schwangerschaft dem Ungeborenen? 

Grundsätzlich wird Schwangeren heutzutage moderates Sporttreiben empfohlen: Von einer guten Kondition und einem guten Trainingszustand profitieren werdende Mütter und ihr Körper in der Spätschwangerschaft sowie bei der Geburt. Diese Empfehlung bezieht sich in der Regel auf gemässigte Aktivitäten im Ausdauerbereich. Untersuchungen bei Leistungssportlerinnen zeigen, dass es möglich ist, bis weit in die Schwangerschaft einen beträchtlichen Umfang des Trainingspensums beizubehalten.

Problematisch ist das Unfallrisiko 
In Bezug auf den Pferdesport gibt es weltweit keine verlässlichen Studien. Die einzige gros­se Erhebung zum Thema «Reiten in der Schwangerschaft» ist eine 2011 veröffentlichte Dissertation von Susanna Kramarz an der Medizinischen Fakultät der Universität München. Die Doktorandin befragte 1851 Reiterinnen und kam nach der Auswertung der Daten zum Schluss: «Es gibt keine Anhaltspunkte dafür, dass Reiten während der Schwangerschaft zu einer erhöhten Rate an Aborten oder Fehlgeburten führt. Eine erhöhte Neigung zur Frühgeburtlichkeit konnte ebenfalls nicht festgestellt werden.»

Auch Nicole Bolla – Oberärztin für Gynäkologie und Geburtshilfe am Kantonsspital St. Gallen, selber Mutter einer kleinen Tochter sowie begeisterte Reiterin und Pferdebesitzerin – bestätigt: «Das Reiten an und für sich schadet der Schwangerschaft und dem ungeborenen Kind nicht. In den ersten Monaten der Schwangerschaft sind selbst die etwas kräftigeren Rüttel- und Stossbewegungen im Trab und im Galopp unproblematisch.» Die mit Fruchtwasser gefüllte Fruchtblase schützt den Fötus gut vor diesen Erschütterungen.

Dass viele Ärzte dem Reiten während der Schwangerschaft trotzdem kritisch gegenüberstehen, liege am Unfallrisiko, sagt Nicole Bolla. Reiten und der Umgang mit dem sensiblen Fluchttier Pferd sind nicht ungefährlich. In der Schweiz verunfallen dabei jährlich 8000 Personen, ihre Verletzungen sind oft schwer und in vielen Fällen die Folge eines Sturzes. «In der Schwangerschaft kann ein solcher Unfall dramatische Konsequenzen haben», warnt die Gynäkologin. «Er kann zu inneren Blutungen führen, zu Verletzungen der Gebärmutter oder einem Ablösen der Plazenta und somit zu einer lebensbedrohlichen Situation für Mutter und Kind.»

Dieses Unfallrisiko besteht allerdings auch beim Autofahren: Eine Frontalkollision kann verheerende Folgen für das ungeborene Kind haben – und trotzdem setzen sich die meisten schwangeren Frauen ohne Nachzudenken ans Steuer. Genauso wie es Reiterinnen gibt, die bis wenige Tage vor der Geburt noch im Sattel sitzen. Und viele Berufsreiterinnen unterbrechen ihre Karriere nur kurz, um sich ihren Kinderwunsch zu erfüllen.

Positive und negative Auswirkungen
Erfahrene Reiterinnen, die ihr Pferd seit vielen Jahren kennen, sind zwar in der Lage ihr Können und die Wahrscheinlichkeit eines Sturzes einzuschätzen. Doch selbst das verlässlichste Pferd kann sich erschrecken oder einen Fehltritt tun. Es gibt im Pferdesport keine Massnahmen, die das Unfallrisiko mit Sicherheit ausschliessen. Es kann aber deutlich gemindert werden, indem die schwangere Reiterin auf risikoreiche Aktivitäten wie Spring- und Geländetrainings verzichtet und in dieser Zeit keine jungen, fremden und unberechenbaren Pferde reitet. Reiterinnen mit wenig Routine sollten nicht mehr in den Sattel steigen. 

Allerdings sollten auch erfahrene Reiterinnen gut auf ihren Körper hören, rät Nicole Bolla. «Eine Schwangerschaft verändert den Körper. Das Gewebe dehnt sich, Sehnen und Bänder werden weicher und  flexibler, dadurch weitet sich das Becken schon während der Schwangerschaft ein bisschen, was beim Reiten zum Problem werden kann.» Sie selber ist aus diesem Grund nur bis Anfang des vierten Schwangerschaftsmonats geritten.

Andere Reiterinnen berichten dagegen von positiven Auswirkungen des Reitens auf Schwangerschaftsbeschwerden: Die sanften Schwingbewegungen des Pferderückens im Schritt können bei Rückenschmerzen, vor allem bei Ischiasbeschwerden, eine Wohltat sein. Früher oder später ist es dann jedoch der wachsende Babybauch, der vielen Frauen zu schaffen macht. Das fängt bereits bei der Reithose an, die sich nicht mehr schliessen lässt. Anders als noch vor wenigen Jahren,  gibt es heute im Fachhandel jedoch Umstandsreithosen zu kaufen. 

Spaziergänge statt Ausritte
Im letzten Trimester der Schwangerschaft hat sich der Körper bereits stark verändert. Die Frau hat an Gewicht zugelegt, Wassereinlagerungen und Hormone machen ihr zu schaffen und der Bauch beeinträchtigt das Gleichgewichtsgefühl auf dem Pferd. Die meisten Reiterinnen entscheiden sich spätestens jetzt, die Stiefel, die ohnehin nicht mehr passen, für eine Weile zur Seite zu stellen. 

Für das Pferd muss der Entscheid auch keine negativen Auswirkungen haben, schliesslich gibt es viele Möglichkeiten, wie man es auch vom Boden aus beschäftigen und fit halten kann. Etwa mit langen Spaziergängen an der Hand, Bodenarbeit, oder zusätzlichem Weidegang. Auch die meisten Stallarbeiten können hochschwangere Frauen noch gut selber erledigen, beim Hochheben von schweren Futtersäcken und Heuballen oder dem Entleeren voller Mistkarretten sollten sie sich jedoch helfen lassen.   

Und am besten klärt man schon im Anfangsstadium der Schwangerschaft ab, ob jemand Betreuungsarbeiten rund um das Pferd übernehmen kann. So ist alles organisiert, wenn es mit der Geburt losgeht. Diese ist für Reiterinnen mit ihren kräftigen Beckenboden-Muskulaturen übrigens nicht schwerer und dauert nicht länger als bei Nichtreiterinnen. Im Gegenteil, wie Susanna Karmaz bei ihrer Studie herausfand: Trainierte Frauen zeigten weit weniger Folgesymptome nach der Geburt als untrainierte. 

Wann die Reiterin nach dem Entbinden wieder in den Sattel steigen darf, ist davon abhängig, wie die Geburt verlief. Nach einer normal verlaufenden Entbindung sowie nach einem Kaiserschnitt kann man nach rund fünf bis sechs Wochen wieder reiten. Gab es Komplikationen oder einen Dammschnitt oder -riss sollte die Reiterin die postnatale Untersuchung sechs Wochen nach der Geburt abwarten und das weitere Vorgehen mit ihrem Frauenarzt besprechen.