Der grosse Traum wahrscheinlich eines jeden Reiters ist es, einmal über gut präparierte Schneepisten zu galoppieren», sagt Moni Henggeler. Der Schnee verschluckt alle Geräusche, nur der Atem des Pferdes ist zu hören und der frische Wind im Gesicht zu spüren. Als Mitinitiantin der Horse Snow Cross Week versucht Henggeler, dieses Erlebnis im Engadin möglichst vielen Pferdenarren zu bieten.

Eine Woche Reitspass im Schnee

Während einer gesamten Woche, jeweils im Januar, lassen sich dort sportliche Leistung, Training und Spass auf dem weissen Untergrund verbinden. Zum Auftakt wird jeweils ein Trainingsspringen organisiert. Mitte der Woche steht der Familientag mit dem berittenen Skijöring auf dem Programm und am Donnerstag und Freitag bietet Olympiareiterin Tiziana Realini Kurse über feste Hindernisse an. Das Highlight der Schnee-Reitwoche ist der Horse Snow Cross am Samstag. Er führt Zehnergruppen durchs verschneite Oberengadin von einem Springplatz zum nächsten. Auf drei verschiedenen Reitplätzen warten insgesamt 30 Sprünge und dazwischen 20 Kilometer weiss gezuckerte Pisten auf die Teilnehmenden. Für dieses Erlebnis reisen Reiter und Pferde aus der gesamten Schweiz ins Graubünden. Die bisher weiteste Anfahrt haben zwei Pferde und ihre Reiterinnen aus Visp (VS) auf sich genommen.

Ein winterliches Springturnier hat in St. Moritz lange Tradition. 1959 wurde der erste Winterconcours durchgeführt, damals noch im alten Olympiastadion, organisiert durch den 1927 gegründeten Reitclub St. Moritz. In den folgenden Jahren wurde erst auf der verschneiten Polowiese und später auf dem gefrorenen Seegeritten. «In den letzten Jahren waren wir mit schwindenden Teilnehmerzahlen und zugleich immer höheren Infrastrukturkosten konfrontiert, also suchten wir nach einer neuen Möglichkeit, den Pferdesportbegeisterten eine Abwechslung zu all den Trainings und Turnieren in der Reithalle zu bieten», sagt die Mitinitiantin. So wurde 2022 zum ersten Mal die Kombination aus Springsport, Military-Sport, Skijöring-Plausch und Schneeausritt, unter der Bezeichnung Horse Snow Cross Week, durchgeführt.

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Sprint über den gefrorenen See

Eine noch grössere Tradition als der Springconcours auf Schnee hat in St. Moritz eine andere winterliche Pferdesportveranstaltung: der White Turf. «Ein Spassrennen verrückter Engländer 1906 von St. Moritz bis nach Champfèr führte dazu, dass ein Jahr später das erste reguläre Rennen auf dem gefrorenen See statt-gefunden hat», erklärt Thomas Walter, der Präsident des White Turf. Im Jahr 2024 gehen die winterlichen Rennen bereits in die 117. Durchführung. Gestemmt wird der Grossanlass seit jeher vor allem von Einheimischen. Der Vorstand setzt sich zusammen aus Personen, die in St. Moritz und Pontresina leben. Ohne die über 120 freiwilligen Helferinnen, die teils bereits seit 35 Jahren mitarbeiten und alle aus der Region sind, wäre das Pferdesportereignis nicht denkbar. Die drei Rennsonntage im Februar seien mitnichten ein snobistisches Event nur für illustre Gäste, hält Walter fest. «Die Schneerennen in St. Moritz sind ein Volksfest für jedermann, bei dem sich ein bunter Mix aus lokaler Bevölkerung und Gästen trifft.»

Für die Durchführung dieses Grossanlasses braucht es also mindestens 240 helfende Hände. Wie sieht es bei Pferd und Reiter aus, bedingt ein Start beim Winter-rennen auch von deren Seite ein spezieller Aufwand? «Was das Training anbelangt, gibt es keinen grossen Unterschied zwischen einem Rennen auf Schnee oder auf Gras», sagt der Rennchef und ehemalige Jockey Dennis Schiergen. Ein guter Trainer erkenne aber auf Gras, ob ein Pferd das Potenzial für ein Rennen auf Schnee habe. Bei der Ausrüstung müssen für ein Schneerennen noch einige Extras hinzugefügt werden. So tragen die Pferde Stollen an den Hufeisen, eine Art Spikes, die Halt im Schnee geben. Und einige Rennpferde brauchen eine Gesichtsmaske, damit ihre Augen vor dem Schnee geschützt sind, der von den anderen Pferden aufgewirbelt wird.

Mit einem Gesichtsschutz rüsten sich auch die Reiter und Reiterinnen aus. Sie tragen meist Masken aus dem Moto-Cross-Sport. Und natürlich heisst es bei einem Schneerennen, sich warm anzuziehen. Der «Fahrtwind» peitscht den Jockeys noch härter um die Nase als bei einem sommerlichen Rennen, und dies nicht nur wegen der eisigen Temperaturen. «Bei einem Rennen auf Schnee hat man gleich nach dem Start ein höheres Grundtempo, weil sich die Reiter eine Position im vorderen Teil des Feldes sichern möchten, damit ihr Pferd möglichst wenig vom aufgewirbelten Schnee abbekommt», erklärt Dennis Schiergen. Taktisch werden also Rennen auf Schnee anders gelaufen als Rennen auf Gras. Allgemein versuche jeder Reiter, auf dem eisigen Untergrund den Abstand zum Vorderpferd nicht zu gross werden zu lassen.

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Risikoreiche Manöver

Für eine Art der Winterrennen unterschieden sich aber sowohl das Training als auch die Ausrüstung deutlich von einem normalen Rennen. Beim Skijöring zieht das Rennpferd einen Skifahrer hinter sich her. Dafür muss das Pferd an das Geschirr, die Leinen und das Tuch gewöhnt werden und es muss darauf trainiert werden, dass die Signale nun nicht von oben, sondern von hinten kommen. «Ein Skijöring-Pferd muss die Veranlagung haben, über 2700 Meter auf Schnee schnell zu laufen, und es muss ein Kämpferherz haben, damit der Fahrer nicht stark mit Kommandos einwirken muss», sagt Dennis Schiergen.

Die Skifahrerinnen, die sich an ein Skijöring-Rennen wagen, verfügen über exzellente Fähigkeiten auf den zwei Brettern. Einige seien ehemalige FIS-Skifahrer oder ausgebildete Skilehrer, weiss der Rennprofi. Dazu kommt, dass sie über ein sehr gutes Pferdehandling verfügen. Einige der Skijöring-Fahrer würden selber Rennpferde reiten, Kutsche fahren oder eine andere Pferdesportdisziplin ausführen. «Das Skifahren und das Lenken müssen automatisch laufen, denn es kommt immer mal wieder vor, dass der Fahrer nur noch auf einem Ski steht», sagt der Rennchef.

Trotz all dem Können von Pferd, Reiter und Fahrer bleibt ein Restrisiko bestehen. Dieses kommt bei den Rennen auf dem gefrorenen See auch von unten. 2017 passierte ein tragischer Unfall wegen eines Risses im Eis. Tierschützer forderten daraufhin ein Rennverbot auf dem eisigen Untergrund. Dazu kam es nicht, die Sicherheitsvorkehrungen wurden jedoch verstärkt. «Die Sicherheit unserer Reiter, Pferde und Gäste ist oberstes Gebot und nicht verhandelbar», so Thomas Walter. Am Morgen vor jedem Rennen fliegt nun eine Drohne mit einer Wärmebildkamera über den See, um Temperaturunterschiede im Eis feststellen zu können. Zusätzlich fährt ein Georadar mehrfach um die Rennbahn. Wenn der Verdacht besteht, eine Stelle könnte ein Problem darstellen, wird durch das Eis gebohrt. So kann festgestellt werden, ob sich Wasser unter dem Schnee angesammelt hat. Denn sogenanntes Sandwicheis stellt eine Gefahr dar. Durch diese Massnahmen können Schwachstellen erkannt und behoben oder der Rennverlauf abgeändert werden.

Könnte der Klimawandel dazu führen, dass der Rennverlauf nicht nur abgeändert werden muss, sondern die Rennen auf dem gefrorenen See sogar bald der Vergangenheit angehören? Auch in Arosa fanden seit über 100 Jahren Rennen auf dem gefrorenen Obersee statt, diese mussten jedoch in den vergangenen Jahren unter anderem aufgrund der klimatischen Bedingungen oft abgesagt werden. 2019 wurde dann beschlossen, zukünftig auf die Winterrennen in Arosa zu verzichten. Davon wollen Thomas Walter und auch Dennis Schiergen nichts wissen. 2023 zumindest seien die Verhältnisse optimal gewesen, was sie für die Saison 2024 und die kommenden Jahre als positives Omen werten.

Pferdisches Schnee-vergnügen in St. Moritz

White Turf

2024 finden die drei Rennsonntage am 4., 11. und 18. Februar statt. Jeweils ab dem Mittag kann bei Trab-, Galopp- und Skijöring-Rennen mitgefiebert werden. An den Samstagen davor finden die Family Days statt, wo Kids-Skijöring, Ponyrennen und Ponyreiten auf dem Programm stehen.

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Horse Snow Cross Week

2024 wird die pferdische Schneesportwoche zwischen dem 8. und 13. Januar durchgeführt. Trainingsspringen, Skijöring-Rennen, CC-Trainings, der Snow Cross Cup und Schneeausritte locken Reiterinnen und Pferde jeder Couleur ins Engadin.

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Snow Polo St. Moritz

Am 26., 27. und 28. Januar findet auf dem gefrorenen See ein internationales Poloturnier statt – das weltweit einzige World-Cup-Turnier, bei dem die Poloponys über Schnee flitzen.

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