Seit 6000 Jahren gehen Pferde und Menschen gemeinsame Wege, so jedenfalls lautet die weitverbreitete Annahme. Wann genau und in welcher Region der Welt das Pferd als Arbeitstier nutzbar gemacht wurde, blieb bis vor rund einem Jahr im Dunkeln. Dank einem gross angelegten Forschungsprojekt unter der Leitung der Universität Toulouse gelang es, dem Geheimnis der Domestikation dieses Nutztieres auf die Spur zu kommen. Durch genetische Untersuchungen von Knochenfunden konnte aufgedeckt werden, dass unsere heutigen Pferde deutlich später domestiziert wurden als lange Zeit angenommen. Vor rund 4000 Jahren fanden Menschen und Pferde in der unteren Wolga-Don-Region, im heutigen Süden Russlands, zusammen.

Innerhalb einiger Jahrhunderte hat dieser als Turg-Pferd bezeichnete Pferdeschlag alle anderen Typen verdrängt und sich explosionsartig verbreitet. Es gab zwar noch ältere Kulturen, die bereits Pferde hielten, so die Botai-Kultur, in deren Siedlungen 6000-jährige Pferdeknochen ausgegraben wurden. Heute ist jedoch klar, dass diese Pferde aus Nordkasachstan lediglich als Lieferanten von Fleisch und Milch dienten. Erst die Turg-Pferde liessen sich zähmen und reiten, ihre Erbanlagen sorgten für einen stärkeren Rücken und zugleich einen friedfertigeren Charakter.

Dies war der Startpunkt zahlreicher Geschichten, in denen das Pferd über lange Zeit die Hauptrolle spielte: von der Verkehrsgeschichte über die Agrar-, Militär-, Stadt- und Energieentwicklung bis hin zur Politik- und Technikhistorie. Dies ist umso erstaunlicher, als sich die Zwecke des Menschen und der Instinkt der Pferde zuwiderlaufen. Pferde sind Fluchttiere, die sich kaum auf Konfrontationen einlassen, sondern das Weite suchen. Und ihre dem Fluchtinstinkt geschuldete Schreckhaftigkeit macht sie auf den ersten Blick nicht zu idealen Partnern im lärmigen Stadtverkehr. Es war jedoch genau die Schnelligkeit dieser Huftiere auf der Flucht vor ihren Feinden, die den Menschen in den Bann zog. Das Pferd war eine Tempomaschine, die dem Menschen eine territoriale Ausweitung in zuvor ungeahntem Ausmass ermöglichte. Zudem liefert dieses Tier einen der wichtigsten Faktoren der Moderne in unmittelbarer Form – Energie.

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Zusammenarbeit wider die Natur

Dank diesen Attributen läuft das Pferd seit dem Ende des 18. Jahrhunderts auch auf dem Land seinen Konkurrenten, namentlich den Ochsen, den Rang ab. Mit seiner Schnelligkeit macht es die grössere Zugkraft und Genügsamkeit des Ochsen wett, der bis anhin zusammen mit dem Esel hauptsächlich als Zugtier eingesetzt wurde. Besonders eindrücklich sind die ersten Mähdrescher, die Mitte der 1830er-Jahre in den USA aufkamen und denen bis zu 40 Pferde vorgespannt waren. Pferde wurden jedoch nicht nur zum Pflügen oder Ernten angeschirrt, als Antrieb von Mahlwerken oder Dreschmaschinen fanden sie ebenfalls Verwendung.

«Das Los dieser Tiere wurde durch dieMechanisierung keinesfalls leichter.»

Auch in den Städten waren Pferde unerlässliche Arbeitspartner – hauptsächlich zum Lastentransport und zur Beförderung von Personen. Der Hafermotor machte den Ausbau des öffentlichen Verkehrswesens und damit das Pendeln zwischen dem Wohnort und dem Arbeitsort in der Innenstadt möglich. Von Pferden gezogene Omnibusse zirkulierten seit 1820 in Paris und ab den 1830er-Jahren auch in London und New York. Ihr Zuhause hatten diese Omnibuspferde mitten in den Städten, in bis zu vier Stockwerken hohen Stallungen, wo oft über 500 Tiere Platz fanden. In den grösseren Schweizer Städten waren währenddessen die Rösslitrams unterwegs. Auch Feuerwehr- und Ambulanzwagen, Möbeltransporter und natürlich die Postkutschen wurden von Pferden gezogen. Nicht wegzudenken waren vor der Motorisierung die Grubenponys in den Bergwerken. Über Jahrtausende hatten Reitervölker einen entscheidenden Vorteil bei Auseinandersetzungen. Das Vorhandensein von Pferden als Reittiere im Kriegsgeschehen entschied über Sieg oder Niederlage, so gesehen war das Pferd auch ein politisches Tier. Ein Herrscher auf einem Pferd – so ist der Inbegriff von Macht auch heute noch auf zahlreichen Stadtplätzen repräsentiert.

Die Zusammenarbeit von Mensch und Pferd war äusserst eng, eine Romantisierung dieser zugunsten der Zweibeiner asymmetrischen Beziehung ist jedoch fehl am Platz. Arbeitspferde waren geschundene Kreaturen. «Das Los dieser Tiere wurde durch die Mechanisierung keinesfalls leichter, wie am Beispiel der Eisenbahn ersichtlich ist. Der Bahnverkehr verlief anfangs nur über ein grobmaschiges Netz, für den Transport ins Landesinnere mussten nun umso mehr Pferde eingespannt werden», erklärt Historiker Ulrich Raulff, der sich eingehend mit dem Status des Pferdes in der Real- und Kulturgeschichte auseinandergesetzt hat.

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Die Lebenserwartung eines Pferdes, das als Lastentier an der Front eingesetzt wurde, hätte gerade einmal zehn Tage betragen, und durch die Industrialisierung mit dem erhöhten Bedarf an Transportmöglichkeiten seien Pferde erbarmungslos verbraucht worden. «Auf dem harten Pflaster mussten sie so schwere Lastenziehen, dass nach spätestens fünf Jahren der letzte Weg zum Abdecker führte.» Auch wenn etwas Melancholie mitschwingt, es scheint also zum Vorteil der Pferde, dass sie ab den ersten Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts durch die aufkommende Mechanisierung als Arbeitskraft verdrängt wurden. War dieses imposante Tier einst Triebkraft der Modernisierung, fiel es dieser schliesslich zum Opfer.

Abschied aus der Mitte unserer Gesellschaft

Die neuen Maschinen waren den Pferden einerseits ökonomisch überlegen, denn sie boten eine höhere Leistung zu einem geringeren Preis und benötigten weder Futter noch einen Stall, der täglich ausgemistet werden muss. Anderseits technisch, denn Pferde sind krankheits- und verletzungsanfällig, ihre Leistung lässt bereits nach wenigen Jahren nach. Läuft eine Maschine nicht mehr rund, bringen eine Reparatur oder ein Ersatzteil schnell Abhilfe. Und während heute die Verkehrsmittel mit Verbrennungsmotoren als Umweltsünder gelten, waren es damals die Pferde, denen wegen ihres Kots und Urins angekreidet wurde, die Stadt des 19. Jahrhunderts zu verschmutzen. Auf dem Land wurden die Pferde von den Traktoren verdrängt, in den Städten waren es die Automobile und Eisenbahnen, die sie überholten, und im Zweiten Weltkrieg symbolisiert das Aufeinandertreffen eines Kavalleristen mit einem Panzer das Ausklingen des Pferdezeitalters.

«Mit Passion, Vertrauen und Wissen, ist ein enger Bund mit dem Pferd möglich.»

In der Schweiz dauerte es immerhin noch knapp dreissig Jahre bis zur Abschaffung der Kavallerie. Die berittenen Truppen waren bis 1972 im Einsatz, kein anderes europäische Land unterhielt so lange berittene Kampfeinheiten. Der Ausschluss der Pferde aus der Armee wurde hierzulande betrauert. Doch was ging unserer Gesellschaft verloren mit dem Abschied des Pferdes aus ihrer Mitte? «Der alltägliche Bezug zu einem Lebewesen und zur Natur. Und die Tatsache, dass wir Menschen uns im Umgang mit dem Pferd unserer Humanität versichern können. Denn ein Tier spiegelt unsere Gefühle unmittelbarer und ehrlicher als der Mensch», ist Ulrich Raulff überzeugt.

Das befürchtete vollständige Verschwinden des Pferdes aus unserem Alltag blieb aus. Der Pferde-bestand brach zwar nach dem Zweiten Weltkrieg ein. Die Abkehr vom Nutztier Pferd geht jedoch einher mit der erwachenden Leidenschaft der Frauen für das edle Tier als Freizeitbegleiter. Und so sind 2022 in der Schweiz 114 000 Pferde registriert. Mit dem Abschied vom Nutztier Pferd wurde der Ausklang einer agrarisch geprägten Welt eingeläutet. Dennoch sind heute Pferde ein nicht zu unterschätzender wirtschaftlicher Faktor, gerade für die Landwirtschaft.

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Als Pensionsgeber für Privatpferde erschliesst sich vielen Land-wirten eine neue, rentable Einnahmequelle. Genauso wie sich die Haltungsbedingungen geändert haben, erfüllen Pferde heute andere Zwecke. Sie sind weniger Arbeitstier, sondern vielmehr freundschaftlicher Partner für Freizeit und Sport oder werden als Therapie- und Coachingassistenten eingesetzt.

Um diesen neuen Ansprüchen zu genügen, wurden Zuchtziele angepasst, was sich besonders gut an der heimischen Pferderasse, dem Freiberger, beobachten lässt. Aus dem stämmigen Wagenross von damals ist ein athletisches Sportpferd geworden.

Eine baldige Rückkehr?

Mit dem gestiegenen ökologischen Bewusstsein wird zunehmend kritisiert, dass diese Sportpartner über Hunderte von Kilometern von einem Turnier aufs nächste transportiert werden, andererseits sind wieder mehr Pferde bei Arbeiten auf dem Feld, im Wald oder gar in der Stadt anzutreffen. Heute scheint die Verschmutzung durch Pferdeäpfel und Urin, die einst in den Städten zum Problem wurde, ein eher kleines Übel zu sein, was zählt, ist die viel boden-schonendere Arbeitsweise, der fast komplette Wegfall von Schadstoffausstoss und vielleicht auch eine Entschleunigung der Arbeitswelt.

Stehen wir vor einer Rückkehr zum Arbeitstier Pferd? «Für leichte, aber auch ganz präzise Arbeiten durchaus», ist sich Ulrich Raulff sicher. «Schaut man, was der Technikeinsatz kostet, kommt man mit dem Pferd nicht nur ökologisch, sondern in manchen Fällen sicher auch ökonomisch auf eine bessere Rechnung.» Auch im Sicherheitsbereich, also bei der Polizei, erachte er den Einsatz von Pferden als sinnvoll, denn diese imposanten Tiere verschaffen sich auf natürliche Weise höheren Respekt als jeder Wasserwerfer. «Baut man auf die drei Grundpfeiler Passion, Vertrauen und Wissen, so ist ein freundschaftlicher Bund mit dem Partner Pferd in Zukunft möglich, auch wenn die sich zunehmend überlagernden weltweiten Krisen für beide Parteien herausfordernd werden», so Ulrich Raulff.

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