Berittenes Bogenschiessen
Erwecke die Amazone in dir
Hoch zu Ross über eine Wiese preschen und dabei Pfeile auf Zielscheiben abfeuern? Was nach einer Szene aus einem Western klingt, kann auch in der Schweiz möglich sein. Josianne Müller ist Trainerin im berittenen Bogenschiessen und gibt Einblick in ihren abenteuerlichen Sport.
Cowboy und Indianer», das sei in der Kindheit ihr Lieblingsspiel gewesen. Überhaupt sei sie sehr naturnah aufgewachsen. «Zu Hause hatten wir drei Tipis stehen», erzählt Josianne Müller. So ist es nicht erstaunlich, dass es die fröhliche Emmentalerin beruflich nach draussen zog. Als Landschaftsgärtnerin erklimmt sie nun Bäume. Und auch in ihrer Freizeit geniesst sie die Natur gerne aus leicht erhöhter Warte – nämlich auf dem Rücken ihrer Pferde. «Mit meinem ersten Pferd James Tlejynk hatte ich 2013 auf der Bisonranch im Herzen des Berner Juras das erste Mal die Möglichkeit, berittenes Bogenschiessen auszuprobieren.» Vier Jahre später hat Josianne Müller so richtig Feuer gefangen für diese Sportart, die in der Schweiz seit 2008 praktiziert wird. Im Sommer 2017 besuchte sie im Berner Jura erstmals einen Kurs. Dort bemerkte sie, dass es nicht nur ihr riesigen Spass machte, vom Pferd aus Pfeile auf die vorbeifliegenden Zielscheiben abzuschiessen. Auch ihre Araberstute war mit Feuereifer bei der Sache. Jetzt hiess es trainieren. Zu Hause führte sie ihr Pferd von Grund auf an die ungewohnten Geräusche und Bewegungen heran, die beim berittenen Bogenschiessen entstehen. Zudem steckte sie auf der Weide eine Bahn mit Zielscheiben aus. So konnten sich Pferd und Reiterin mit der neuen Sportart vertraut machen.
2018 kam der renommierte ungarische Trainer Christoph Némethy von der Némethy Lovasíjász Akadémia / Némethy Horseback Archery Academy in die Schweiz. Für Josianne Müller der Startschuss, richtig in diese Sportart einzutauchen. 2018 und 2019 besuchte sie je drei Trainingseinheiten und startete erstmals an Turnieren. Dabei machte sie so gute Fortschritte, dass Christoph Némethy ihr anbot, nach Ungarn zu kommen, um bei ihm die Trainerausbildung zu absolvieren. 2022 reiste die Bernerin dann tatsächlich für einige Wochen zur intensiven Schulung nach Ungarn. Mit Erfolg: Seit diesem Jahr ist Josianne Müller eine von schweizweit nur drei von der Némethy Horseback Archery lizenzierten Trainern.
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Strukturierter Aufbau
«Nun darf ich Frauen darin begleiten, mal so richtig die Amazone rauszulassen, und Männern ein Robin-Hood-Feeling zu verschaffen», sagt Müller schmunzelnd. Eine gut strukturierte Heranführung von Pferd und Reiter an diesen Sport sei elementar, weiss die Trainerin. Erst einmal wird die Handhabung von Pfeil und Bogen vom Boden und von einem Holzpferd aus geübt. Danach muss das Pferd sanft mit der ungewohnten Situation vertraut gemacht werden. «Wir zeigen den Pferden den Parcours, also die bei Turnieren 90 Meter lange Bahn, entlang derer drei Zielscheiben aufgestellt sind, und machen sie mit dem Geräusch der abgeschossenen Pfeile vertraut.» Dann erst geht es an den berittenen Aufbau. Im Schritt wird die Bahn abgeritten und erst mal nur auf die hinterste Scheibe geschossen. Dann kommen auch die anderen beiden Gangarten und die weiteren Zielscheiben dazu. «Mein Ziel ist es nicht unbedingt, dass die Kursteilnehmenden am Ende des Tages im Galopp eine oder mehrere Scheiben treffen, sondern dass sie mit einem erfüllten Grinsen und einem gestärkten Teamgefühl zwischen Pferd und Reiter nach Hause gehen», so Josianne Müller. Natürlich möchte sie auch gerne einige Personen für ihren Sport begeistern. Denn momentan ist es hierzulande ein kleiner Kreis von etwa 50 Personen, die an Turnieren aktiv sind.
2019 wurde der Verein Berittenes Bogenschiessen Schweiz gegründet. Auf internationaler Ebene müssen sich die Schweizer aber keinesfalls verstecken. Zwar sind die Franzosen in dieser Sportart Spitzenklasse – sie wurden 2023 denn auch Weltmeister. Das Schweizer Team erreichte an der Europameisterschaft allerdings den guten vierten Rang, und den European Grand Prix konnte es sogar für sich entscheiden.
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Meditieren hoch zu Ross
Einsteigen kann so gut wie jedes Pferd in diesen Sport, ist Josianne Müller überzeugt. Wichtig sei nur, dass man sein Pferd sauber an die neue Herausforderung heranführt und dass es auch Spass an der Sache hat. Die Emmentalerin ist mit der 14-jährigen Araberstute Sharbaja und dem Irish-Cob-Mix Missy Guinness an Trainings und Turnieren unterwegs. Ihren fünfjährigen Araberwallach Jenissei führt sie momentan ans berittene Bogenschiessen heran. Oft vertreten sind Araber, Connemara-Ponys oder Freiberger. Aber nicht nur: An ihren Kursen hätten auch schon grossrahmige Spring- und Dressurpferde teilgenommen, und sie kenne gar ein Maultier, das sich in dieser Sportart super mache, so die Trainerin.
Da sie ursprünglich vom Westernreiten kommt, hat Josianne Müller ihre ersten Trainings im Westernsattel absolviert. Bald habe sie bemerkt, dass sich die langen und relativ starren Steigbügel nicht so gut eignen. Denn bei den Läufen steht der Reiter in den Steigbügeln, sodass sich sein Gesäss fünf bis zehn Zentimeter über dem Sattel befindet. «Der Oberkörper muss sehr flexibel gedreht werden und von den Beinen vollkommen unabhängig sein», so Müller. Mittlerweile hat sie sich einen speziellen Bogensattel anfertigen lassen, der vom Aufbau her einem Sattel der klassisch-englischen Reitweise näher ist.
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Alle einfachen Zäumungen mit beispielsweise Wassertrense, Olivenkopf- oder Knebeltrense sind erlaubt. Scharfe Kandaren allerdings nicht. Diese würden auch nicht viel helfen, beim Galopp durch den Parcours werden die Zügel nämlich nicht in den Händen gehalten, hier befinden sich ja Pfeil und Bogen. Die Zügel werden verknotet und auf den Pferdehals gelegt, damit rasch hineingegriffen werden könnte. Ausschliesslich mit Gewichts- und Beinhilfen werden die Pferde gelenkt. «Bei der Ausbildung ist es wichtig, den Pferden beizubringen, dass sie nicht kopflos durch den Parcours brettern dürfen», sagt Trainerin Josianne Müller. Sie reitet sogar gebisslos.
Es ist genau diese feine, innige Verbindung zwischen Pferd und Reiter, die Josianne Müller an dieser Sportart so gut gefällt. Pferd und Reiter müssen als Team agieren, das sich blind versteht und vertraut. «Mich fasziniert, wie zwei Sportarten miteinander verbunden sind und dass ich während des Laufs absolut alles um mich herum ausblende.» Diese Fokussierung sei für sie wie Meditieren, einfach hoch zu Ross.
Einstieg ins berittene Bogenschiessen
Wer nun Lust bekommen hat, sich auch einmal im berittenen Bogenschiessen zu versuchen, kann bei Josianne Müller ein Bodentraining oder ein berittenes Training absolvieren. Dazu kann man mit dem eigenen Pferd anreisen oder, falls dies nicht möglich ist, eines ihrer Pferde leihen: pfeilbogenpferd.ch
Auf der Website des Vereins Berittenes Bogenschiessen Schweiz erfährt man alles über diese Sportart und findet Trainer und Turniere in der gesamten Schweiz: berittenesbogenschiessen.ch
Lajos Kassai aus Ungarn war es, der in den 1980er-Jahren das berittene Bogenschiessen zu einem Sport entwickelte. In seinem Buch beschreibt er seine Anfänge und gibt Tipps für die Angewöhnung des Pferdes und das Training. Lajos Kassai: «Bogenschiessen vom Pferd», 174 Seiten, Püski-Verlag.
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