Es ist schaurig still. In der Dunkelheit zeichnen sich tiefe Tunnel ab, die in dunkle Kammern führen. Hier und da lässt eine brennende Kerze erahnen, was sich in den Tiefen verbirgt. Bea Kathriner zündet eine Gaslampe an und bringt Licht ins Dunkel – plötzlich erstreckt sich vor ihr ein grosses Labyrinth. Es sind die Stollen des Quarzsandbergwerks in Buchs bei Zürich. Als Besucherführerin kennt Kathriner jeden Winkel dieses hundert Meter tiefen Gangsystems südlich der Lägern. Hier wurde im ausgehenden 19. Jahrhundert Quarzsand für die Herstellung von Glas gewonnen. Das Bergwerk ist damals eines von vielen in der Schweiz: Am Zürichsee pickelten mutige Männer Kohle ans Tageslicht, im Val-de-Travers war es Asphalt und in der Waadt Salz. Dennoch ist das Quarzsandbergwerk einzigartig in seiner Art und das nicht nur wegen des Rohstoffs.

Kathriner führt hinein in das historische Bergwerk. Aus dem Boden quillt Wasser hervor und sammelt sich in teils handgemachten Becken. Der Boden ist weich und feucht und manchmal schlängelt sich ein kleines Bächlein darüber, bevor es wieder im Boden verschwindet. So nass sei es schon lange nicht mehr gewesen, sagt Kathriner und läuft mit der Laterne vor. Das Licht lässt kleine und grosse Torbögen aus der Dunkelheit erscheinen und an den Wänden zeichnen sich unregelmässige Pickelspuren ab. Zu Spitzenzeiten sei hier jeden Tag ein Eisenbahnwagen voll Quarzsand abtransportiert worden, weiss sie. Täglich zehn Tonnen Sand für die Glaserei in Bülach, die daraus das bekannte grüne Bülacherglas herstellte. Einige Exemplare davon glänzen im Licht der Laterne, während Kathriner weiter ins Zentrum rückt. 

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Ein Kunst-Bergwerk

Sie will die eigentliche Attraktion des Bergwerks zeigen. Was es einzigartig macht, sei nämlich nicht nur der Rohstoff, das hier gewonnen wurde. «Sondern diese wunderschönen Kunstwerke an den Wänden», sagt Kathriner und zündet mit der Laterne an eine Wand. Gemeisselt in den porösen, feuchten Sandstein ist mit viel Liebe zum Detail das Wappen der Stadt Bern. Doch das ist nur der Anfang, wie sich herausstellt. Verteilt in den Stollen befinden sich rund 60 kleine und grosse Kunstwerke an den Wänden, die die Arbeiter in ihrer Freizeit gemeisselt haben. Darunter auch der Erzengel Gabriel, der zu den schönsten Skulpturen gehört. Seine Flügel sind detailreich verziert und mit weisser Wasserfarbe bemalt, sein Gewand ist Himmelblau. «Hier war ein echter Künstler am Werk», schwärmt Kathriner. Tiefer im Bergwerk sind auch Adam und Eva, ein lebensgrosser Sonntagsreiter, Pferde, Bären und Hunde im Quarzsand verewigt. Die eindrücklichsten und grössten Werke jedoch sind die Nachahmungen des Löwendenkmals und des Simplonportals, das im gleichen Jahr gemeisselt wurde, als der echte Tunnel eröffnet wurde. 

Erlaubt und gefördert hat diese Kunstwerke der Eigentümer des Bergwerks, Johannes Spühler. Wie Kathriner erzählt, kam er rein zufällig dazu, nachdem er gegen Ende des 19. Jahrhunderts einen landwirtschaftlichen Betrieb in Buchs gekauft hatte, um Rebbau zu betreiben. Bei diversen Arbeiten hinter dem Hof soll ein Mitarbeiter der Glashütte von Bülach das hochwertige Quarzsand unter den Reben entdeckt haben und so kam es zur Zusammenarbeit zwischen den beiden Betrieben. Zwischen 1898 und 1910 seien dann die Skulpturen entstanden, weiss Kathriner. Wer die Urheber sind, sei jedoch nicht überliefert. Nach und nach zogen sie aber die Aufmerksamkeit der Bevölkerung auf sich. Mit Führungen und einer Gastwirtschaft versuchte die Familie Spühler von diesem Interesse zu profitieren. Doch nach mehreren Schicksalsschlägen zwischen 1920 und 1929, darunter einem Vollbrand des Hofs, mussten sie den Betrieb inklusive Bergwerk aus wirtschaftlichen Gründen verkaufen.

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Woher kommt der Quarzsand?
Roger Widmer ist Bergwerkforscher aus Leidenschaft und hat während seiner Mitarbeit in der Schweizerischen Geotechnischen Kommission an der ETH das Rohstoffinventar der Schweiz betreut und sich tiefes Wissen über die Geologie des Landes angeeignet. Heute unterstützt er unter anderem das Quarzsandbergwerk in Buchs mit diesem Wissen. «Kein Bergwerk bietet diesen kulturell einmaligen Hintergrund mit den Skulpturen», sagt er auf Anfrage. Der Quarz aus Buchs stammt dabei ursprünglich vom kristallinen Schiefer des Trauerngebirges in Österreich. Im Verlauf der geologischen Erdgeschichte, als sich die Alpen bildeten, lagerten weitläufige Flüsse die Erosionen der Berge als Sedimente entlang des heutigen Tafel- und Kettenjuras ab. 

«Solche Quarzsande werden zur Herstellung von Glas, Keramik oder von Formsanden für Giessereien verwendet», erklärt Widmer. Sie kommen entlang des Juras zwischen dem Bodensee und Zürich vor. Allerdings wirken sich die schwankenden Temperaturen und Niederschläge negativ auf die Festigkeit des Sandes im Bergwerk Buchs aus: Das Niederschlags- und Schmelzwasser, das in das Bergwerk eintritt, kann aufgrund einer undurchlässigen Schicht darunter nicht weiter absickern und sammelt sich in den Stollen. Im Sommer aber trocknen diese Stellen teilweise komplett aus, wie Widmer erzählt. «Durch das Austrocknen und wieder aufquellen können sich vermehrt Risse bilden, die beobachtet werden müssen.»

In Familienhand 

Übernommen hat sie schliesslich die Familie Wetzel aus Ennetbaden. Bis heute führen ihre Kinder den Betrieb weiter und bieten Führungen im Bergwerk an. Lange führte die Tochter der Eigentümer Mirta Wetzel Besucherinnen und Besucher durch die Quarzsandstollen, bis sie mit über 80 Jahren keine Kraft mehr dafür hatte. Ihre Aufgabe übernahm vor sechs Jahren die 75-jährige Bea Kathriner, deren Enkelkinder heute die vierte Generation der Wetzel auf dem Hof sind. «Mir gefällt die Arbeit sehr. Man ist wie in einer anderen Welt hier drin», sagt die ehemalige Bänkerin gegen Ende der Rundtour. Kein Wind, kein Lärm, nur kühle Bergwerkluft und die bunten Skulpturen an den Wänden.

Weitere Besucherbergwerke

Die Salzminen von Bex (VD) 

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Im Salzbergwerk von Bex erhalten Besucherinnen und Besucher einen Einblick in die Gewinnung des «Sel des Alpes», die hier bereits im Jahr 1554 begonnen hat. Die Führung durch einen Teil des 50 Kilometer langen Stollensystems startet mit einer Fahrt im historischen Stollenbähnchen, danach geht es zu Fuss weiter durch die Salzminen.

Der Landesplattenberg in Engi (GL)

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Das ehemalige Schieferbergwerk in Engi im Kanton Glarus prägte das ganze Sernftal vom 16. bis ins 19. Jahrhundert. Dokumente bestätigen, dass die Schieferprodukte bis nach Holland und England und von dort sogar bis nach Indien exportiert wurden. Heute kann es im Rahmen einer Führung besucht werden und beeindruckt mit über zwanzig Meter hohen Hallen.  

Die Asphaltminen im Val-de-Travers (NE) 

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Mit Helm und Taschenlampe geht es in Travers durch die ehemaligen Asphaltminen von La Presta. Was früher ein wichtiger Teil der Neuenburger Industrie war, ist heute eine der wichtigsten Sehenswürdigkeiten im Tal. Dies und vieles mehr erfahren Interessierte auf einer Tour durch die Minen und können den Besuch mit dem berühmten Asphalt-Schinken abschliessen.

Das Kohlebergwerk in Käpfnach (ZH)

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Es ist insgesamt rund 80 Kilometer lang und das grösste seiner Art in der Schweiz: Das Kohlebergwerks in Käpfnach in Zürich. Besucherinnen und Besucher dürfen das Bergwerk auf einem Besucherzug erkunden und erhalten im Museum einen Einblick in die Geschichte des Kohleabbaus direkt am Zürichsee.