Es ist dringend. So lautet die Botschaft des Weltklimarates IPCC, der Ende Februar seinen jüngsten Bericht zum Klimawandel veröffentlichte. Hitzetote und Dürrekatastrophen drohen, die Schäden durch Hochwasserkatastrophen sollen sich bis Ende des aktuellen Jahrhunderts verzehnfachen, wenn jetzt nicht sofort reagiert wird. Reagieren, das bedeutet in erster Linie, dass der Mensch seine Treibhausgas-Emissionen verringern muss, und zwar drastisch. Für die Erwärmung unseres Klimas ist nämlich in allererster Linie die Konzentration des Kohlenstoffdioxids (CO²) in der Atmosphäre verantwortlich, darin sind sich die meisten Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler rund um den Globus einig. Der Mensch muss also weniger fliegen, weniger Auto fahren, weniger Kohle fördern und Plastik produzieren, um weniger CO² in die Atmosphäre zu pusten. Er muss aber auch aufhören, die Lungen der Erde zu zerstören, die diese Gase wieder aus der Luft filtern und in Sauerstoff umwandeln. Die Regenwälder in Südamerika und Südostasien etwa, die für Plantagen abgeholzt werden. Aber eben auch – und das ist im allgemeinen Bewusstsein weniger tief verankert – die Ozeane.

Die Weltmeere sind nämlich, so drückt es die Non-Profit-Organisation OceanCare aus, die «Blaue Lunge unseres Planeten». Tatsächlich sind die Ozeane bei weitem der grösste CO²-Speicher, den die Erde hat. Nicht nur, weil rund 70 Prozent der Erdoberfläche von Meer bedeckt ist. Zu den grössten Kohlendioxid-Verwertern gehört das sogenannte Phytoplankton. Unter diesem Begriff werden allerlei winzige, meist einzellige Pflanzenarten wie Kieselalgen oder Grünalgen zusammengefasst, die an oder nahe der Wasseroberfläche treiben. Sie betreiben Photosynthese und wandeln so Sonnenlicht und CO² in Energie und Sauerstoff um. Und das in einem riesigen Ausmass: Zwischen 50 und 80 Prozent der weltweiten Sauerstoffproduktion, da schwanken die Expertenschätzungen, gehen auf ihr Konto. Dabei entzieht das Phytoplankton der Atmosphäre rund viermal so viel CO² wie der ganze Amazonas-Regenwald.

Phytoplankton ist aber auch die Basis einer der wichtigsten Nahrungsketten in den Ozeanen. Es wird von Krill, kleinen Krebstierchen, gefressen und dieser wiederum von Walen. Und weil ein Wal tonnenweise Krill verschlingen muss, um satt zu werden, sammelt sich in so einem Walkörper im Laufe seines langen Lebens (einige Arten werden bis zu 200 Jahre alt) eine riesige Menge Krill an – und damit auch ungeheure Mengen an CO² aus dem Krillfutter. 33 Tonnen Kohlendioxid speichert ein durchschnittlicher Wal in seinem Körper. Zum Vergleich: Ein Baum entzieht der Atmosphäre etwa 50 Kilogramm CO² im Jahr.

Auch nach dem Tod wertvoll

Wale, so schreibt die Artenschutz-Organisation Whale and Dolphin Conservation (WDC), spielen eine essenzielle Rolle im Ökosystem der Meere. Und zwar auf mehrfachen Ebenen. Zum einen agieren sie als eine Art «Pumpe», die tief im Meer auf Futtersuche geht und dann zum Luftholen auftaucht. Dort scheiden die Wale das verdaute Futter wieder aus und düngen so wiederum den Phytoplankton-Teppich mit wertvollen Nährstoffen wie Stickstoff und Eisen.

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Zum anderen ziehen Wale von ihren Futterplätzen saisonal in ihre weit entfernten Brutgebiete, die oft in viel weniger nährstoffreichen Gewässern liegen. Durch dieses horizontale «Förderband» gelangt wiederum Nahrung in neue Lebensräume. Und nicht zuletzt sind Wale auch lange nach ihrem Tod ein Schlemmerparadies für zig Arten (siehe Box).

«Die Zukunft der Wale ist auch unsere Zukunft», schreibt die WDC in einem Bericht aus dem Jahr 2017. Das Thema ist aktueller denn je. Denn, so behauptet die Organisation, wer Wale schützt, schützt auch das Klima. Würden sich die weltweiten Walbestände wieder auf ein Niveau wie vor Beginn des industriellen Walfangs erholen, könnten sie einen nicht unerheblichen Beitrag gegen den Klimawandel leisten. Fünf Millionen Wale würden etwa so viel Kohlendioxid binden wie Brasilien ausstösst, rechnet das Wirtschaftsmagazin «Finance & Development», herausgegeben vom Internationalen Währungsfonds, vor.

Schon gewusst?
Stirbt ein Wal im offenen Ozean, sinkt er gemächlich auf den Meeresgrund. Kommt er in mehr als 1000 Metern Tiefe zum Liegen, spricht man von einem Walsturz. Der tote Walkadaver bietet ab jetzt ein Buffet für Hunderte verschiedener Tiefseekreaturen und ernährt sie jahrelang. Die vier Stadien des Walsturzes:

Phase 1: Die mobilen Aasfresser (einige Monate bis 1,5 Jahre)
Grosse, mit starken Zähnen bewaffnete Fleischfresser wie Schleimaale oder Grönlandhaie brechen die Aussenhülle destoten Wals auf und reissen Fleischstücke aus dem Kadaver. Pro Tag verliert der Wal dadurch rund 50 Kilogramm an Masse.

Phase 2: Die Opportunisten (bis 4,5 Jahre)
Nun besiedeln kleinere Fische und Krebse den Walkadaver. Sie machen es sich in den Überresten des Tiers bequem und ernähren sich von organischen Stoffen, die durchs Wasser treiben und von den grossen Aasfressern zurückgelassen wurden.

Phase 3: Die Bakterien (50 bis 100 Jahre)
Walknochen sind reich an Lipiden (Fetten). Diese werden über Jahre hinweg von Bakterien abgebaut. Die Bakterien wiederum bilden einen Biofilm, von dem sich Muscheln und Meeresschnecken ernähren können.

Phase 4: Das Riff (für immer?)
Jetzt bleiben nur noch die von allen Nährstoffen befreiten Wal-knochen übrig. Sie bilden eine riffartige Struktur für sogenannte Suspensionsfresser, sesshafte Tiere wie Seegurken oder Anemonen, die Nährstoffe aus dem vorbeiströmenden Wasser filtern.

Das wird nicht einfach. Von den rund fünf Millionen Walen vor dem Jahr 1900 sind heute noch geschätzte 1,3 Millionen Exemplare verblieben. Von den grössten Vertretern, den Blauwalen, sind gerade mal noch drei Prozent übrig. Aber einige Arten erholen sich langsam, Walfang ist «out» und Meeresschutzgebiete sind «in», auch wenn OceanCare kritisiert, dass heute weniger als acht Prozent der Ozeane geschützt sind, und 30 Prozent fordert.

Mehr Wale sorgen für mehr Phytoplankton. Und bei diesen Photosynthese-Fabriken sorgt schon nur ein Anstieg von einem Prozent dafür, dass jedes Jahr so viel CO² zusätzlich aus der Erdatmosphäre gefiltert wird, wie es zwei Milliarden Bäume tun. Dazu kommt, dass Wale indirekt auch für mehr Fische sorgen und die Fischerei-Industrie ankurbeln. «Finance & Development» hat 2019 den wirtschaftlichen Wert eines durchschnittlichen Wales durchgerechnet und kommt auf zwei Millionen Franken. Eine Summe, auf die man ruhig etwas besser aufpassen darf.

 

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