Plötzlich wabert Dampf durch das Unterholz, von Pflanzenblättern tropft Wasser, eine Wurzel glänzt braun. Unvermittelt stolziert etwas Kleines, leuchtend Gelbes über das Moos am Boden. Ein Gelbschwarzer Färberfrosch der Art Dendrobates tinctorius der Farbform «Citronella» ist im Anmarsch – nicht etwa im tropischen Tieflandregenwald der Guyana-Länder, Surinams oder Nordbrasiliens, sondern in einem Terrarium im Wohnzimmer von Brigitte und Jürg Rey im aargauischen Muhen. «Die Benebelungsanlage hat sich eben eingeschaltet», sagt Jürg Rey. Für das kleine Fröschchen muss es sich anfühlen wie kurz nach einem heftigen Tropengewitter in Süd-amerika. Die Anlage habe er im Zoohandel erworben, er fülle sie mit Regenwasser, das er, nachdem es eine Zeit lang geregnet habe, sammle. «So bilden sich keine hässlichen Kalkflecken auf den Pflanzenblättern und an der Terrariumscheibe», so der Amphibienfreund.

Wenig später, als sich der Nebel verzieht, kommen die zwei auffälligen Bewohner besser zur Geltung. Sie stolzieren über Wurzeln, Pflanzenblätter und Moos. «Habt ihr Hunger?», fragt Jürg Rey, lächelt und greift nach einer Dose, die mit Gaze abgedeckt ist. Darin krabbeln zahlreiche Fruchtfliegen. Er schiebt eine Scheibe auf die Seite und schüttelt einige der Insekten in das Terrarium. Die Fröschchen werden noch aktiver, kommen herbei und schnappen gierig nach ihrer Lebendnahrung. Die Fruchtfliegen sind flugunfähig. Sie werden mit einem kommerziellen Nährsatz versorgt, der aus einem fruchtigen Pulver besteht. So vermehren sie sich von selbst. Zweimal wöchentlich bestäubt Rey die Fliegen vor dem Verfüttern mit einem Vitaminpulver. Auch in der Natur sind die kleinen Fröschchen vom Waldboden bis in die Bäume auf der Suche nach Kleininsekten.

Schreckfarben warnen

Pfeilgiftfrösche haben einen furchterregenden deutschen Namen. Über ihre Haut sondern sie Alkaloide ab, die teilweise auch auf das Nervensystem wirken.Muskel- und Atemlähmungen sind die Folge nach einer Berührung, denn das Gift dringt über die Hautporen in den Blutkreislauf ein. Nach 20 Minuten kann das zum Tod führen. Pfeilgiftfrösche heissen sie, weil Indianerstämme in Westkolumbien bei der Jagd mit dem Blasrohr das Hautsekret von drei der 170 Arten als Pfeilgift verwenden. Das Sekret wird auf die Spitzen aufgetragen. Ein getroffener Affe schreit auf, hangelt sich vor Schreck durch die Kronenschicht des Regenwaldes, während der Pfeil mit dem Gift Batrachotoxin in seiner Flanke steckt. Die Indianer folgen ihm am Boden, bis seine Bewegungen unkontrolliert werden und er hinunterfällt.

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Die kleinen, fragilen Fröschchen schützen sich mit dem Gift vor Fressfeinden. Ihr Toxin würde allerdings nichts nützen, wenn die Schlange keine Ahnung davon hat, wenn sie das Fröschchen frisst. Bevor sie stirbt, hätte sie den Frosch schon verschlungen. Darum sind viele Pfeilgiftfrösche farbig. Auf diese Weise schrecken sie potenzielle Feinde ab. Die Farben signalisieren: Achtung, ich bin giftig! Eine häufig angewandte Taktik im Tierreich. Allerdings sind längst nicht alle Pfeilgiftfrösche mit knalligen Farben auch giftig. Manche täuschen dies nur vor, indem sie ihre giftigen Artgenossen in der Färbung nachahmen.

Die kleinen, fragilen Fröschchen schützen sich mit dem Gift vor Fressfeinden.

Das grazile Wesen und die knalligen Farben machen die Pfeilgiftfröschchen zu beliebten Terrarientieren. Jürg Rey ist seit den 1980er-Jahren von ihnen fasziniert. Er braucht sich aber nicht vor dem Gift seiner Frösche in Acht zu nehmen. Sie sind völlig harmlos. «Unter Menschenobhut verlieren sie ihre Giftigkeit», sagt der Kenner. Die Fröschchen können das Toxin nur bilden, wenn sie Ameisen, gewisse Käfer oder gar Milben in der Natur verzehren. Die Gifte können durch den Stoffwechsel der Frösche verändert werden. Als erste Pfeilgiftfrösche nach Europa importiert wurden, starben alle. Es stellte sich heraus, dass sie sich gegenseitig durch Hautkontakte vergiftet haben. Fortan wurden sie einzeln transportiert. Schon lange aber gelangen keine wild gefangenen Pfeilgiftfrösche mehr nach Europa. Eine feste Gemeinschaft von Freunden der kleinen Amphibien züchtet und tauscht sie untereinander aus. «Wir erwerben unsere Frösche an Terraristikbörsen oder bei privaten Züchtern», meint Jürg Rey.

Ein Terrarium für Pfeilgiftfrösche
In einem Regenwaldterrarium mit den Massen von60 x 40 x 40 Zentimetern kann ein Paar Pfeilgiftfrösche gehalten werden. Mehrere Frösche untereinander vertragen sich gut. Mit Bauschaum oder Styropor, der später bemalt wird, lässt sich eine natürlich wirkende Rückwand herstellen. Auch Kork oder Farnstammmatten dienen hierfür. Am Boden des Terrariums sollte eine Drainageschicht angebracht werden, beispielsweise aus Blähtonkügelchen. Darüber wird ein Vlies gelegt. Als oberste Schicht sind Baumfarnstammmatten geeignet.In ein solches Terrarium kann mit einer Aquarienpumpe ein natürlicher Wasserfall eingebaut werden. Das stetig rieselnde Wasser reichert die Luft mit Feuchtigkeit an. Durch einen Lüftungsschlitz vorne strömt frische Luftder Frontscheibe entlang nach oben, sodass sie sich nicht beschlägt. Durch einen weiteren Schlitz hintenzieht die Luft wieder ab. Ein Heizkabel unter diesem sorgt für Wärme. Tagsüber ist eine Temperatur von 25 °C ideal, nachts sollte sie auf 20 °C absinken. Wichtig sind unterschiedliche Niveaus im Terrarium mit verschiedenen Klimazonen. Pfeilgiftfrösche verschmutzen das Terrarium nicht und beschädigen keine Pflanzen. Auf der Terraexpo in Oberglatt ZH werden Pfeilgiftfrösche von Züchtern sowie Zubehör angeboten (terraexpo.ch). Auch die Baselbieter Reptilienbörse (reptilienbörse.ch) ist dies-bezüglich eine gute Adresse. Spezialisierte Zoohand-lungen bieten sie ebenso an.

Fressfeinde vermeiden

Die beiden Gelbschwarzen sind nicht die einzigen Amphibien Reys. In einem separaten Gebäude im Garten hat er weitere sechs Terrarien untergebracht. Dortfliegen in kombinierten Innen- und Aussenvolieren auch exotische Vögel wie Prachtfinken, Balistare und Chinesische Nachtigallen umher – ein richtiges privates Vivarium. Jürg Rey hat sich auf den Färberfrosch und seine unterschiedlichen Farbvarianten spezialisiert. Je nachdem, woher sie kommen, sind sie unterschiedlich gefärbt. Dennoch gehören sie zur selben Art. Die Variante «Citronella» im Wohnzimmerterrarium ist eine davon. Weiter leuchtet die Variante «Regina», die ebenfalls, wie ein Feuersalamander, schwarz-gelb gefärbt ist. Allerdings sind beide Farbanteile etwa gleichmässig vorhanden.

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Ganz anders sieht der Blaue Pfeilgiftfrosch aus. Vier Exemplare sitzen azurblau leuchtend auf den kleinen runden Blättern einer Kletterfeige. Diese aus demSüden Surinams stammende Art zu züchten, ist Jürg Reys Wunsch. Jedoch könne man Geschlechter nur schwer auseinanderhalten. «Das Männchen hat oftgröbere Vorderzehen.» Das Weibchen sei aber meist gesamthaft grösser. Bei der Variante «Alanis» aus Französisch-Guyana hat es bereits geklappt. «Hier, das ist der Junge, er frisst auch sehr gut», sagt Jürg Rey und lächelt ob dem Fröschchen mit schwarzem Grund und gelben, schmalen Längsstreifen. Es sei nicht selbstverständlich, dass Junge nach der Metamorphose, der Umwandlung von der Kaulquappe zum Fröschchen, gut Futter aufnähmen. «Ich hatte drei Junge, doch nur einer frass.» Am Anfang, wenn die Fröschlein noch ganz klein sind, erhalten sie Springschwänze zum Essen, winzig kleine Insekten.

Die Brutbiologie der Pfeilgiftfrösche ist etwas ganz Besonderes. Jürg Rey hat in die Terrarien kleine, spitz zulaufende Häuschen aus Plastik gestellt. Zudembefinden sich Filmdöschen in den Behältern. Innen ist ein Aufsatz aus durchsichtigem, dehnbarem Plexiglas eingeschoben. Er kann gut herausgenommen werden, wenn die Fröschchen darauf ihren Laich abgesetzt haben. Normalerweise befestigen sie ihn an Pflanzenblättern. Grössere Arten, wie die von Jürg Rey gehaltenen Färberfröschchen, laichen auch in Höhlen.

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Beim Balzritual ruft das Männchen, woraufhin sich das Weibchen nähert und ihm mit den Vorderbeinen über den Rücken streicht. Das Männchen besamt die Eier, nachdem sie das Weibchen ausgeschieden hat. Meistens bewacht das Männchen das Gelege und trägt die Kaulquappen auf dem Rücken in kleine Wasservorkommen, beispielsweise in Bromelienkelche hoch in der Kronenschicht des Regenwaldes. Kaulquappen ernähren sich dort von Algen oder Insekten, andere werden von unbefruchteten Nähreiern durch die Weibchen gefüttert. Die Geschwindigkeit der Entwicklung bis zur Metamorphose ist von der Wassertemperatur abhängig. Der Laich, versteckt an Pflanzenblättern, und die Kaulquappen in Bromelienkelchen haben viel grössere Überlebenschancen als in grösseren Gewässern, wo der Feinddruck sehr hoch ist.

Zucht wie in der Natur

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Jürg Rey setzt den Laich in eine Wasserschale, die er mit Regen- und Hahnenwasser füllt und Erlenzäpfchen beifügt, die Huminsäure abgeben. Sobald die Kaulquappen geschlüpft sind, trennt er sie und hält sie einzeln in Behältern. «Sie fressen sich sonst gegen-seitig auf.» Sie erhalten spezielles Kaulkappen-Futter und getrocknetes Brennnesselpulver. Die heikelste Phase sei die Metamorphose. «Während dieser Zeit benötigen sie keine Nahrung, sie zehren vom sich zurückbildenden Schwanz», erklärt Jürg Rey, während er seinem kleinen schwarz-gelb gebänderten Pfeilgiftfrosch zuschaut, der in der kleinen tropischen Welt herumhüpft. Es dauere gut ein Jahr, bis er erwachsen sei. Bei den Färberfröschchen der Variante «Alanis» gelinge die Zucht bei ihm auch ohne sein Zutun. «Es passiert immer mal wieder, dass plötzlich im Wasserbehälter eine Kaulquappe schwimmt», erzählt der Farbfroschzüchter.

Die kleinen Zuchtterrarien werden nicht eingenebelt, sondern viermal täglich künstlich beregnet. Eben wie im richtigen Regenwald. Dort haben Jürg und Brigitte Rey auch schon Pfeilgiftfröschchen aufgestöbert, und zwar im zentralamerikanischen Land Costa Rica, in Selva Verde, wo Erdbeerfröschchen und der attraktive grün-schwarze Goldbaumsteiger an Brettwurzeln von Urwaldbäumen hafteten oder unter dem Holzsteg leuchteten. Und auch da gingen Tropengewitter nieder und der Nebel schlich sich durch den Wald, genauso wie jetzt im Terrarium in Familie Reys Wohnzimmer.

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