Nicht immer ist der Name Programm. Zumindest nicht am Wochenende, an dem die Veranstaltungsreihe «Biberfrühling» von Pro Natura stattfindet. Wärmende Sonnenstrahlen sucht man vergeblich. Stattdessen meldet sich der Winter schneereich im Naturschutzgebiet Talweiher in Baselland zurück. Dennoch begrüsst die Exkursionsleiterin Astrid Schönenberger immerhin ein halbes Dutzend hartgesottener Teilnehmerinnen und Teilnehmer, die mehr über den Biber erfahren möchten. «Sie befinden sich hier in einem wahren Biberparadies», begrüsst die Expertin von Pro Natura ihre Zuhörer. Wer sich darauf gefreut hat, die putzigen Nagetiere zu Gesicht zu bekommen, erhält aber einen Dämpfer. «Biber lassen sich normalerweise nur in der Abenddämmerung und nachts blicken», erklärt Schönenberger.

Also weit und breit keine Spur von den pelzigen Baumeistern? Oh doch, und zwar jede Menge. «Sehen Sie nur die sauber geschälten Äste und die angeknabberten Baumstämme. Das sind richtige Kunstwerke», gerät die Projektleiterin für Umweltbildung ins Schwärmen. Den Einwand, dass das Fressverhalten der Biber – sie fressen in der kalten Jahreszeit rund zwei Kilogramm Rinde pro Tag – doch den Bäumen und damit der Natur schade, kontert sie gelassen. Durch das Fällen von Bäumen im Herbst und Winter bringe der Biber Licht und Wärme auf den Boden. Er nütze damit sogar der Wiederbewaldung, indem er den Baumbestand regelmässig verjüngt. Zudem diene das entstehende Totholz als wichtiger Lebensraum für Kleinlebewesen.

Bibergeil umschmeichelt die Nase

Nicht nur deshalb ist das grösste europäische Nagetier ein willkommener Nützling. «Wir haben seit seiner Rückkehr beobachtet, dass der Biber mit seinen Dammbauten einen positiven Einfluss auf die Lebensräume entlang von Fliessgewässern hat», erzählt Schönenberger. «Er ist eine Schlüsselart, von der die ganze Fauna und Flora profitiert.» Rückenwind für ihre Feststellung erhält die gebürtige Ostschweizerin vielleicht schon bald, wenn die Ergebnisse einer grossen, nationalen Biberstudie vorliegen, die aktuell die Forschungsanstalt für Wald, Schnee und Landschaft WSL zusammen mit dem Wasserforschungsinstitut Eawag und der nationalen Biberfachstelle durchführt (siehe Box).

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Derweil stutzt ein Exkursionsteilnehmer beim Wort «Rückkehr» und fragt, ob es nicht schon immer Biber in der Schweiz gegeben habe. Ursprünglich ist der Biber tatsächlich eine einheimische Tierart. Vor rund 200 Jahren wurden die Tiere bis zur Ausrottung bejagt. Sie waren wegen ihres Fells und ihres speziellen Duftstoffes sehr begehrt. Auch das Fleisch landete häufig auf dem Teller. Besonders zur Fastenzeit, weil man den Biber in der damaligen Zeit aufgrund seines breiten, unbehaarten Schwanzes für einen Fisch hielt. Erst zwischen 1956 und 1977 siedelten grösstenteils Privatpersonen den Biber wieder an. Seitdem steigt seine Population ohne menschliche Unterstützung kontinuierlich an, auch weil er nicht mehr geschossen werden darf. Nachdem bei der letzten Bestandsaufnahme 2008 bereits 1600 Biber gezählt wurden, geht die gerade abgeschlossene Zählung nun von über 4000 aus.

In der Schweiz gibt es zahlreiche Orte, an denen man Biber und ihre Bauten beobachten kann:
Kanton Aargau Biberrevier Fisibach, Scharletenweiher, Brittnau
Kanton Baselland Naturschutzgebiet Talweiher, Anwil, Reinacherheide
Kanton Bern Marfeldingenbach, Mühleberg, Belpau, Belp
Kanton Genf Bois du faisan, Versoix
Kanton Luzern Biberrevier Rotsee
Kanton Thurgau Lengwiler Weiher, Lengwil
Kanton Waadt Sur les traces des castors de la Venoge, Renges
Kanton Zug Region Reusstal, Hünenberg

Nach dieser geballten Ladung an Zahlen und Fakten für den Kopf bietet Schönenberger etwas für die Sinne. Dafür kramt sie aus ihrer Tasche ein kleines Fläschchen mit einer Duftprobe heraus. Die anfängliche Skepsis und Zurückhaltung der Probanden beim Riechen weichen schnell der einhelligen Meinung, dass der Geruch die Nase umschmeichelt. Bei ihm handelt es sich um die bereits erwähnten flüssigen Absonderungen aus Drüsen beim After des Bibers, mit denen er sein Revier markiert. Bis ins 19. Jahrhundert war die Bibergeil oder Castoreum genannte Substanz als Beruhigungs- und Fallsuchtmittel weit verbreitet und fehlte in keiner Apotheke. Heute ist sie Bestandteil mancher Parfüms, was niemanden in der Runde verwundert und für zustimmendes Nicken sorgt.

Gewiefter Baumeister

Weiter geht es zur Besichtigung mehrerer imposanter Biberbauten, bei denen es sich wie fast überall in der Schweiz um Erd- und Mittelbauten handelt. Der Zugang befindet sich jeweils unter Wasser. Der Erdbau befindet sich fast vollständig im Erdreich, was den Einwand provoziert, wie es mit der Frischluftzufuhr aussieht. Diese sichert sich der tierische Baumeister mit einer Luftröhre, die aus dem Kessel an die Oberfläche führt. Beim Mittelbau ist die Uferböschung weniger als einen Meter hoch. Um den Bau zu sichern, verstärkt der Biber die Decke, indem er über dem Kessel Äste, Schlamm und Lehm aufschichtet.

«Einen Biberbau erkennt man oft auch daran, dass sich viele abgeknabberte Äste davor befinden», erklärt Schönenberger. «Die Rinde frisst er vor allem im Winter. Sonst ist seine Nahrung ziemlich vielfältig.» Wie abwechslungsreich sich der Biber ernährt, demonstriert die Expertin, indem sie zwei kleine Tischtücher auf dem Boden ausbreitet und die Exkursionsgruppe mit blauen Karten versorgt, auf denen Dinge aufgeführt sind, die der Biber frisst oder eben nicht. Nach der Zuordnung und wenigen Korrekturen durch die Pro-Natura-Mitarbeiterin zeichnet sich ein deutliches Bild ab: Biber sind Veganer, die neben Baumrinden auch Seerosen, Rüebli, Klee und Löwenzahn zum Fressen gern haben. Frösche, Insekten, Fische und Vogeleier rühren sie dagegen nicht an.

Grosse Biberstudie
Die Forschungsanstalt für Wald, Schnee und Landschaft WSL führt in Zusammenarbeit mit dem Wasserforschungsinstitut Eawag und der nationalen Biberfachstelle seit letztem Jahr ein Biodiversitätsmonitoring in den hiesigen Biber-Lebensräumen durch. Dafür vergleichen die Forschenden an 16 Bächen Abschnitte mit und ohne Bibereinfluss durch Dammbauten. Sie untersuchen die Filterwirkung von Biberteichen für Schadstoffe und wollen Karten von potenziellen Bibergebieten erarbeiten, die Kantone nutzen können, um den Biber für Naturschutzprojekte einzusetzen, etwa zur Wiederherstellung von Auenwäldern oder Feuchtwiesen. «Das übergeordnete Ziel des Grossprojektes ist es, das Potenzial von Bibern zur Stärkung der ökologischen Infrastruktur zu untersuchen, also von Flächen, die dem Erhalt der Artenvielfalt dienen», sagt Anita Risch von der WSL. Es gehe auch darum, den Biber als Naturschutz-Assistenten nicht nur zu tolerieren, sondern aktiv zu nutzen, indem man ihn seine «Arbeit» machen lasse, ergänzt Christof Angst von der Biberfachstelle.

Um anschaulich zu demonstrieren, wie die Nagetiere ihre teilweise sehr harte Nahrung mundgerecht zerkleinern, holt Schönenberger ein Originalgebiss zum Anschauen und Abtasten hervor. Vor allem der Anblick der mächtigen, spitzen, orangen Zähne sorgt für staunende Gesichter. «Die sind nicht angemalt, sondern sehen wirklich so aus», sagt die Exkursionsleiterin und lächelt. Die vier langen Nagezähne sind nämlich mit einer orangen, harten Schmelzschicht überzogen und wachsen das ganze Leben lang nach. Die Backenzähne dagegen gibt es wie beim Menschen nur zweimal. Dass der Biber auch unter Wasser problemlos nagen kann, ohne sich zu verschlucken, verdankt er einer Hautfalte, mit der er den Rachen als Schutz vor Wasser oder Holzsplittern verschliessen kann.

Dichtes Fell, platter Schwanz

Nun fehlen noch zwei weitere charakteristische Merkmale des Bibers: sein Fell und sein Schwanz. Auch hier ist Astrid Schönenberger bestens vorbereitet und präsentiert ein echtes Biberfell samt Schwanz, um die Neugier ihrer Gruppe zu stillen. Es fühlt sich weich und kuschelig an, was bei 23 000 Haaren pro Quadratzentimeter nicht weiter verwundert. Sie erklärt, dass es einst als wärmendes Kleidungsstück sehr gefragt war. Diese Funktion übernimmt es auch für den Biber. Dank der Felldichte dringt kein kaltes Wasser zur Haut durch, zumal die Nager ihren Pelz zusätzlich imprägnieren. Das tun sie mit einem aus ihrer Analdrüse hergestellten Öl. Dieses verteilen sie mit einer Art Kamm, der sich zwischen ihren Zehen an den Hinterpfoten befindet. «So wie Büsis sich lecken, ölen sich Biber regelmässig ein», findet Schönenberger einen passenden Vergleich.

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Und auch für den breiten, platten Biberschwanz hat sie ein bildliches Beispiel. «Er ist wie ein Paddel und dient beim Schwimmen für Antrieb und Steuerung.» Doch nicht nur das. Das als Kelle bekannte Körperteil, das wie Fingernägel beim Menschen aus Horn besteht, hält den Biber auch im Gleichgewicht, speichert Fett für den Winter und dient als Kommunikationsmittel. Sobald Gefahr droht, warnt der Biber mit einem klatschenden Kellenschlag auf der Wasseroberfläche.

Ganz schön clever. Das findet auch Schönenberger. «Biber sind extrem pfiffig, erfinderisch, vielfältig, nützlich und sozial, indem sie sich beispielsweise bei der Aufzucht der Jungen gegenseitig unterstützen.» Von diesen Vorzügen möchte die 56-Jährige mit Aufklärungsarbeit ein breites Publikum überzeugen. Bei ihrer kleinen Exkursionsgruppe ist das schon einmal gelungen. Für sie ist der Biber ein echter Sympathieträger, auch wenn es an diesem Tag keinen zu sehen gab.

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