Der 10. Januar 1992 ist als unrühmliches Datum in die Geschichte der Container-Schifffahrt eingegangen. Der Nordpazifik war damals unruhig. In der rauen See verlor die «Tokio Express» einen Teil ihrer Ladung, die sie eigentlich von Hongkong nach Seattle bringen wollte. Zwölf Container gingen über Bord.

Eines der Behältnisse öffnete sich und verstreute den Inhalt im Meer: Fast 30'000 knallbunte Quietschentchen, Biber aus Gummi sowie Plastikfrösche. Die verteilten sich und traten eine teils Jahrzehnte Reise an. Stürme, arktische Eiseskälte, direkte Sonneneinstrahlung: Die Naturgewalten, denen sie ausgesetzt waren, liessen die Teilchen verblassen. Mitunter hielten auch Vögel das Plastik für Nahrung und pickten daran. Andere Exponate aus dem Container wurden über Jahre an den Küsten angeschwemmt. Und das nicht nur an denjenigen an den Gestaden des Pazifiks, sondern seit der Jahrtausendwende auch im Atlantikraum. 

Nein, erfreulich tönt das alles nicht. Denn das Unglück befeuerte die Verschmutzung der Ozeane mit Plastik. Und dennoch lässt sich ihm nun etwas Gutes abgewinnen. 

Die Badetierchen gingen getrieben von Wind und Strömungen auf Reise, wurden an Küsten angespült, von Strandspaziergängern gesammelt und so schliesslich zu einem Gegenstand wissenschaftlicher Forschung. Denn aus den Fundorten der Badetiere liessen sich ihre Reiserouten und -zeiten rekonstruieren – und damit auch zahlreiche Erkenntnisse über Strömungsverhältnisse in den Ozeanen gewinnen.

Gesammelt hat die Informationen vor allem der US-amerikanische Ozeanograph Curtis Ebbesmeyer, heute im Ruhestand. Er hatte bereits einige Jahre vorher einen ähnlichen Schiffsunfall für die Sammlung wissenschaftlicher Daten genutzt. Bei diesem waren mehr als 60'000 Nike-Turnschuhe über Bord gegangen und in den folgenden Monaten an der Westküste der USA und Kanadas angespült worden. 

Netzwerk von Strandgutsammlern

Er begründete ein Netzwerk von Strandgutsammlern, die ihm entsprechende Funde meldeten. Nach dem Badeenten-Unfall erreichten ihn erneut Berichte von Strandgutsammlern über Funde der Plastiktierchen. Deren Herkunft liess sich über eine Prägung des Herstellers nachweisen.

«Der Unfall mit den Badetieren brachte der Forschung einen wahren Datenschatz», sagt Johanna Baehr, Ozeanographin an der Universität Hamburg. «Auf einen Schlag gab es tausende Datenpunkte – so viele wissenschaftliche Messgeräte würden wir sonst nicht einfach auf einmal aussetzen.»

Grundsätzlich ist die Idee, Meeresströmungen mit Hilfe schwimmender Messgeräte zu erforschen, nicht neu, im Gegenteil. «Der Einsatz von sogenannten Driftern ist eine der ältesten Methoden der Meeresforschung überhaupt», erzählt der Ozeanograph Jörg-Olaf Wolff von der Universität Oldenburg. Bereits 1864 habe der Forscher Georg von Neumayer von der damaligen deutschen Seewarte in Hamburg vor Kap Hoorn eine Flaschenpost über Bord eines Schiffes werfen lassen. Darin die Bitte an den Finder, Fundort und Zeit an den Forscher zurückzumelden. Die Flasche wurde später in Australien gefunden. «Das ist mehr als 150 Jahre her und hat dazu beigetragen, grossskalige Meeresströmungen besser zu verstehen.»

Videoreportage: Plastik im Meer

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Wie GPS bei der Meeresforsachung hilft

Heute setzen Forschende viel präzisere Messgeräte ein, die mit GPS ausgestattet sind und Daten wie Temperatur, Salzgehalt des Wassers oder Luftdruck erfassen und an Satelliten funken können. «Es gibt auch freitreibende Geräte, die wiederholt von der Oberfläche auf ein und zwei Kilometer Tiefe absinken und dabei Daten sammeln», sagt Wolff.

Im Vergleich dazu lieferten Drifter wie die Badetiere zwar nur sehr ungenaue Daten. «Aber das ist besser als nichts, vor allem weil die Daten umsonst generiert wurden.» Digitale Messgeräte seien teuer und könnten nicht in annähernd grosser Zahl eingesetzt werden.

Wohin reisten die Gummi-Tierchen nun? Die Analyse der Funddaten ergab, dass sie zunächst in der Ringströmung des Nordpazifiks gegen den Uhrzeigersinn kreisten – von Sitka an der Küste Alaskas, entlang der Aleuten, vorbei an der Halbinsel Kamtschatka und schliesslich über den Pazifik zurück entlang der US-Westküste hoch bis Alaska.

1994, 1998, 2001 und 2003 erreichten Ebbesmeyer Berichte von Funden aus Sitka, was nahelege, dass die Tierchen einige Runden im Kreis gedreht hatten. Andere entkamen dem Wirbel und gelangten bis nach Hawaii und Australien.

Durch die Beringstrasse

«Zu den spannendsten Erkenntnissen gehört vielleicht, dass die Badetiere vom Pazifik in den Nordatlantik getrieben sind», sagt Baehr. «Das haben entsprechende Modelle zwar vorhergesagt, aber die Tiere haben belegt: Das kann wirklich passieren.» Tatsächlich fanden sich Exemplare Anfang der 2000er Jahre an der Westküste der USA sowie in Schottland und England. 

Sie waren durch die Beringstrasse nordwärts ins Nordpolarmeer bis nach Grönland in den Nordatlantik gedriftet - ob eingefroren im Packeis oder oben auf den Eisschollen sitzend, ist offen. «Diese Route war eine interessante Bestätigung, dass es dort eine Oberflächenströmung gibt, die eine solche Strecke zurücklegt», sagt Wolff.