Im Aquarium mögen wir sie nicht, ebenso wenig im Swimmingpool. Doch das, was uns manchmal an Algen ärgert, ist ihr eigentlicher Trumpf: Sie wachsen rasch, reichlich und unter den widrigsten Bedingungen. Und auch die Zahl der Fans dieser wunderlichen Organismen wächst unaufhörlich. Von Superfood, Klimaretter und grünem Gold ist die Rede. Zu Recht? «Das Potenzial von Mikroalgen ist effektiv sehr gross», sagt Alexandra Baumeyer Brahier, wissenschaftliche Mitarbeiterin bei Agroscope. «Die Pflanzen nutzen die Energie der Sonne und wandeln mittels Fotosynthese CO2 in proteinreiche Biomasse um, die sich beispielsweise als Futter für Nutztiere sehr gut eignet.» Mit dem Projekt «Algafeed» hat die Forschungsanstalt Grosses vor: Zusammen mit anderen Partnern entwickelt sie derzeit dezentrale Produktionssysteme für Mikroalgen, mit denen sich voraussichtlich ab zirka 2030 direkt auf Bauernhöfen proteinreiches Futter herstellen lässt.

Swiss-Made-Proteine

Die Vorteile einer solchen Vor-Ort-Produktion sind mannigfach: Sie verhindert lange Anfahrtswege und macht eine energieintensive Trocknung überflüssig, kann doch die Biomasse dem Tierfutter in flüssiger Form zugesetzt werden. Auch die Nährstoffbilanz dieser Organismen ist vielversprechend: Mit ihren essenziellen Aminosäuren, mehrfach ungesättigten Fettsäuren, Mineral- und Ballaststoffen sind Mikroalgen äusserst gesund. Nicht nur punkto Nachhaltigkeit, sondern auch beim Proteingehalt stellen Mikroalgen die Sojabohnen in den Schatten. Laut Agroscope erreicht ihr Rohproteingehalt bis zu 60 Massenprozent, während es bei Sojabohnen lediglich 36 Prozent sind. Ein weiteres Plus: Es braucht nicht einmal Ackerland; die Photobioreaktoren lassen sich direkt an Fassaden oder auf Dächern installieren. Und auch die Tiere sind vom grünen Futter angetan, wie der vor kurzem durchgeführte «Ferkelappetenztest» gezeigt hat. «Die Schweine mögen unsere selbst gezüchteten Chlorella-Algen sehr», freut sich Alexandra Baumeyer Brahier. Derzeit wird das Potenzial in der Hühnerfütterung unter die Lupe genommen, im Februar stehen Tests mit kleineren Wiederkäuern an.

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Gehören Photobioreaktoren schon sehr bald zur Standard-Ausstattung eines jeden Bauernhofs? «Eher nicht», winkt Alexandra Baumeyer Brahier ab. Das System werde nicht überall funktionieren und befinde sich noch mitten in der Entwicklung. Eine Herausforderung ist derzeit der hohe Stromverbrauch für die Kultivierung. «Besonders die Zusatzbeleuchtung an weniger sonnigen Tagen erweist sich als kosten- und energieintensiv», erklärt die wissenschaftliche Mitarbeiterin weiter. Derweil gehen die Tests zur Praxistauglichkeit weiter: mit einem mobilen Photobioreaktor, der in einem Anhänger installiert ist und mit dem Produktionstests direkt in den landwirtschaftlichen Versuchsbetrieben durchgeführt werden können. Das Interesse an diesem nachhaltigen Futtermittel ist gross – besonders bei jüngeren Fachkräften: «Wir erhalten jeden Monat mehrere Anfragen von Landwirten», so Baumeyer Brahier.

Mikroalgen erweisen sich nicht nur als Futtermittel, sondern auch für viele weitere Anwendungen als interessant: Als Nahrungsergänzungsmittel, Kosmetikartikel oder Biotreibstoffe sind allein in Europa fast 150 mikroalgenbasierte Produkte im Umlauf, wie eine im Frühling publizierte Übersicht von Forschenden aus der Schweiz, Dänemark und Belgien zeigte. Die am häufigsten kultivierten Arten in Europa sind Spirulina, Chlorella und Nannochloropsis. Zwar führt weiterhin Asien den globalen Mikroalgenmarkt an, Europa holt jedoch auf: Marktanalysen gehen in dieser Region von einem Wachstum von rund sechs Prozent pro Jahr aus.

Beitrag zum Klimaschutz

Noch sind die logistischen und technischen Herausforderungen für eine markttaugliche Produktion gross. Damit kämpft auch Arrhenius, ein vor zwei Jahren gegründetes Spin-off der Hochschule Luzern, welches Mikroalgen zur CO2-Reduktion einsetzt und einen Beitrag zum Klimaschutz leisten will. Das Unternehmen hat mit seinen Outdoor-Photobioreaktoren ideale Bedingungen für das schnelle Wachstum von Mikroalgen geschaffen. Es sieht vor allem in der Kohlenstoffentfernung und -speicherung mit Biomasse grosses Potenzial, binden doch die Algen ausgesprochen viel CO2 aus der Luft. Die kohlenstoffreiche Biomasse, die in den Arrhenius-Reaktoren entsteht, soll später unter der Erde gespeichert werden. «Negativemissionstechnologie» – der Name dieses Systems, den das junge Unternehmen propagiert – ist gleichermassen sperrig wie visionär. Karina von dem Berge, Co-Founderin von Arrhenius, erklärt, was dahintersteckt: «In erster Linie ist es natürlich wichtig, Emissionen zu vermeiden. Doch es werden immer Restemissionen übrigbleiben, die sich nur durch Negativemissionstechnologien ausgleichen lassen.» Die Mikroalgen-Produktion sei eine Möglichkeit, um diese nicht vermeidbaren CO2-Emissionen auszugleichen. «Weil fast alle Länder Klimaziele formuliert haben, ist das Interesse an solchen Technologien gross», führt die Wissenschaftlerin weiter aus. Laut Arrhenius lassen sich mit einem Kilogramm Algenbiomasse rund 1,9 kg CO2 entfernen.

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Wie nahe ist das Unternehmen seinem Ziel zwei Jahre nach der Gründung gekommen? «Unser Fokus lag bisher noch stark auf der Forschung und Entwicklung», so von dem Berge. Arrhenius hat bisher drei unterschiedliche Typen von Photobioreaktoren mit je einer Fläche von 34 m2 realisiert und so die idealen Bedingungen für das Algenwachstum ausgetestet. Im nächsten Jahr will das Unternehmen weitere Meilensteine erreichen: Mit dem Bau eines 1000 m2 grossen Reaktors sollen sich Produktivität und Kosten für die künftige Skalierung exakt bestimmen lassen. Voraussichtlich im nächsten Jahr wird die Technologie zudem zertifiziert. Dann soll auch der Verkauf der ersten CO2- Entfernungszertifikate an Unternehmen und Organisationen starten.

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Die Arrhenius-Gründer sind nach wie vor von ihrer Idee überzeugt. «Das Potenzial von Algen zur Bindung von Kohlestoff erachten wir als sehr hoch», sagt Karina von dem Berge. Allerdings seien in der Schweiz die Lichtverhältnisse für die Algenproduktion nicht ideal. «Wir schliessen nicht aus, dass wir langfristig unsere Aktivitäten Richtung Südeuropa oder Afrika verlagern.» Denn die Algensorte Chlorella, mit der das Unternehmen arbeitet, benötigt viel Licht und Wärmebedingungen, die in der Schweiz nicht das ganze Jahr hindurch gegeben sind.