Wer im Herbst durch den Wald spaziert, erfreut sich an der gelben und orangen Blätterpracht. Nicht umsonst sprechen wir von einem «goldenen Herbst». Würde man diesen Spaziergang auf dem nordamerikanischen Kontinent machen, wäre das Farbenspektrum noch viel grösser. Dort färben sich die Blätter nicht nur gelb und orange, sondern auch leuchtend rot in vielen Nuancen, in den Wäldern ist rot häufig die dominierende Farbe. Auch in Ostasien werden die Blätter im Herbst feurig rot.

Warum das so ist, gibt der Wissenschaft immer noch Rätsel auf. Um dem Phänomen auf den Grund zu gehen, muss man sich erst einmal mit den verschiedenen Pigmenten in den Blättern beschäftigen. Das Bekannteste von ihnen ist das Chlorophyll, das für die grüne Farbe der Blätter verantwortlich, aber auch essentiell für das Überleben der Pflanze ist, denn es absorbiert das Licht, welches bei der Photosynthese in Energie umgewandelt wird. Diese wird für die Wintermonate in Form von Stärke gespeichtert. In den Blättern immer auch vorhanden sind gelbe und orange Carotinoide. Wenn im Herbst die Temperaturen sinken, ist dies das Zeichen für die Blätter, die Chlorophyllproduktion einzustellen und diese Carotinoide kommen zum Vorschein. Das Grün geht zurück, das Gelb bleibt bestehen.

Nützliches Rot
In nordamerikanischen und ostasiatischen Bäumen jedoch, geschieht nun noch etwas anderes. Sie fangen an, neue Pigmente zu produzieren, die zu der Gruppe der Anthocyane gehören. Anthocyane erscheinen von blau über violett bis rot und sind auch für diese Farben bei Blumen zuständig. In herbstlichen Blättern haben ihnen diverse Studien positive Effekte nachgesagt, wie Sonnenschutz, Gefrierschutz oder Hilfe beim Speichern von Nährstoffen. Auch soll die leuchtend rote Farbe Insekten, vor allem Blattläuse, davon abhalten, auf dem Baum ihre Eier abzulegen. Die rote Farbe wirke als Warnung, meinten Forscher im Jahr 2001 – die Studie wurde allerdings kontrovers diskutiert.

Wenn sie also nützlich sind, warum produzieren «unsere» Bäume diese Anthocyane nicht? Ein Erklärungsversuch von 2009 geht zurück zu den Eiszeiten. Damals, so schreiben Simcha Lev-Yadun von der israelischen Universität Haifa-Oramin und Jarmo Holopainen von der Universität Kuopio in Finnland, hätten die zuvor immergrünen Bäume angefangen, ihre Blätter abzuwerfen, um sich vor der Kälte zu schützen. Gleichzeitig mit diesem Prozess habe in Nordamerika und Ostasien die Evolution der Anthocyane in den Blättern eingesetzt. Möglich sei dies gewesen, weil in Nordamerika und Ostasien Gebirgsketten von Nord nach Süd die Kontinente durchziehen und die Bäume – und mit ihnen zusammen die Insekten, die es auf die Herbstblätter abgesehen haben – je nach Klima von Nord nach Süd wandern konnten.

Alpen als Barriere
In Europa hingegen verlaufen die Alpen von West nach Ost und stellen eine Barriere dar. Wird es im Norden kalt, sind sowohl Bäume als auch Insekten gefangen – sie können nicht in wärmere Gefilde ausweichen. Während den Eiszeiten, mutmassen die Forscher, starben deshalb viele Bäume und ihre Blattläuse aus, der evolutionäre Prozess, der die Produktion von Anthocyanen in den Blättern fördert, fand nicht statt. Diejenigen Bäume, die die Eiszeiten überlebten, brauchten die Anthocyane nicht und mussten deshalb keine Energie auf ihre Produktion verschwenden, da diejenigen Arten von Blattläusen, gegen die sie wirken sollen, ja ausgestorben waren. Selbstverständlich haben Bäume sowohl in Europa als auch anderswo noch viele weitere Verteidigungsmechanismen gegen Insektenschädlinge.

Natürlich sieht man auch bei uns ab und an rote Blätter im Herbst, einfach viel seltener. Wie die Appalachian State University aus dem US-Staat North Carolina schreibt, gibt es in Nordamerika mindestens 89 Arten von Bäumen mit roten Herbstblättern, in Ostasien sogar mehr als 150, in Europa aber lediglich 24. Ausserdem können eingeschleppte Pflanzen rote Blätter haben und häufig sieht man sie auch an nicht-heimischen Zierpflanzen in Gärten.