Diesen Moment hat Thomas Gsell, Disponent bei der Ramseier Aachtal AG, lange herbeigesehnt. Das dumpfe Rumpeln, das entsteht, wenn Zehntausende Äpfel in die mächtigen Silos purzeln. Das Zischen des Wassers, das die Betonbehälter flutet, damit sie weich landen. Der Geruch von Mostobst in der Luft. Das Brummen der Motoren von Traktoren, die im Fünfminutentakt neue Ladungen mit Früchten herankarren. Und die freundlichen Grüsse der Landwirte hinter dem Steuer. Der 43-Jährige kennt sie alle, nach mehr als 20 Jahren im Dienst.

Kein Wunder, an ihm und seinem Team in der Annahme kommt niemand vorbei. Der Vorgang ist immer derselbe und minutiös reglementiert: Zuerst auf die riesige, in der Strasse eingelassene Waage zirkeln, Formalitäten ausfüllen und dann die Äpfel hinten bei den Silos abladen.

Nur wer mindestens das Label Suisse Garantie besitzt, darf seine Ernte nach Oberaach TG bringen und erhält dafür einen Erlös, der sich nach den Vorgaben des Schweizerischen Obstverbandes richtet. Zu reden gibt bei den Landwirten allerdings oft der Rückbehalt, welchen sie für 100 Kilogramm Mostobst zu entrichten haben. Laut dem «Schweizer Bauer» lag er letztes Jahr bei 13 Franken pro 100 Kilogramm. Dank dieses Fonds können zwar zu hohe Lagerbestände – etwa nach Grossernten – exportiert werden. Ausserdem darf jeder Produzent in den Folgejahren trotzdem seine ganze Ernte abliefern. Allerdings wird der Erlös durch den Rückbehalt geschmälert. Im letzten Jahr kam es daher vor, dass Landwirte ihre Äpfel lieber an den Bäumen verfaulen liessen, als die Kosten fürs Pflücken zu stemmen.

Nun beginnen 24-Stunden-Schichten
Für diejenigen, die an diesem Dienstag im späten August in Oberaach vorfahren, ist diese Art des Sparens keine Option. Und so kehrt nach fast neun Monaten Ruhepause wieder Betrieb in der Mosterei in Oberaach ein, einer der beiden Mostpressen der Ramseier Suisse AG. An der Reihe sind an diesem Tag die Landwirte aus der Umgebung, bevor später Äpfel aus den zahlreichen Annahmestellen geliefert werden.

Und weil der erste Obst-Annahmetag ein besonderer Moment ist, selbst für einen der grössten Getränkehersteller der Schweiz, ist auch Marketing- und Verkaufsleiter Marco Clavadetscher aus Sursee LU angereist. Hier steht die zweite Anlage, welche für die Firma Ramseier Mostobst verarbeitet. «In den nächsten zweieinhalb Monaten ist bei uns Hochbetrieb», sagt er. Sein Kollege Gsell nickt: «Das bedeutet 24-Stunden-Betrieb in zwei Schichten, und viel zu tun für unsere zehn Mitarbeitenden.»

Das Krachen, mit dem sich die Luke eines museumswürdigen Traktoranhängers hinter uns öffnet und eine gewaltige Ladung Äpfel ausgiesst, schneidet ihm das Wort ab. Als das alte Vehikel zur Ausfahrt zuckelt, nimmt Gsell das angelieferte Obst in Augenschein. «Okay, da hats nun ein paar faule Früchte drunter», stellt er fest und fischt ein matschiges Exemplar aus dem Apfelberg. Ein Fall für den Komposthaufen nebenan. «Wenn du mit der Natur arbeitest, musst du eben damit leben, dass die Ernte nicht immer perfekt und die gewonnene Menge nicht immer gleich gross ist.» Dieses Jahr wird sie wegen Frost und Nässe beim Mostobst kleiner ausfallen.

In den Tiefen der Mosterei-Anlage
Wie gering, das hat Clavadetscher tags zuvor der Ernteschätzung des Schweizer Obstverbands entnommen: Etwa 55 000 bis 65 000 Tonnen prognostiziert er, statt der etwa 90 000, die sonst im Jahresdurchschnitt in den letzten vier Jahren angefallen sind. Diesen Einbruch werden sie auch in Oberaach merken: Es wird wohl weniger angeliefert als in den vergangenen Jahren. «Ein Problem ist das aber nicht. Unsere Tanks sind noch genügend gefüllt mit Apfelkonzentrat, dank der sehr starken Ernte 2018 und des tieferen Absatzes in der Gastronomie aufgrund der Covid-19-Pandemie. Das gleicht sich wieder aus», sagt Clavadetscher.

Bald wird neues Konzentrat hinzukommen, Jahrgang 2021. Doch aus der ersten Ladung Obst, die an diesem Tag angeliefert wird, entsteht zuerst einmal Apfelsaft der Marke «Ramseier frisch ab Presse». Ihm darf kein Wasser zur Verdickung entzogen werden. Wie die meisten Fruchtsäfte, welche der Getränkekonzern herstellt, besteht er vornehmlich aus Hochstammobst, wobei alle Sorten gemischt werden. Auf das unbehandelte und meistens naturtrübe Getränk wartet der Detailhandel laut Gsell bereits sehnlichst. «Allerdings mussten wir ihn vertrösten, weil die Ernte dieses Jahr wegen des schlechten Wetters zwei bis drei Wochen später angefangen hat als normal», erklärt er, während er ins Innere der weitläufigen Anlage führt.

Über Treppen aus groben Gittern, die nichts für Menschen mit Höhenangst sind, geht es hinab. Tief unter uns flutet Wasser gerade den Plattenboden. Zu einem späteren Zeitpunkt wird dort Labelobst verarbeitet, sauber getrennt, in einem eigenen Kreislauf: vor allem Bio-Produkte, und auch Birnen. Am ersten Treppenabsatz bleibt Gsell stehen.

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Hinten, im Schwemmkanal, transportiert das Wasser glucksend Tausende Äpfel ihrem unausweichlichen Schicksal entgegen: Über eine Schwelle, an der sie von Steinen befreit werden und in der auch schon Mobiltelefone und Teile der Erntemaschinen hängen blieben. Weiter zur Sortieranlage mit weissen rotierenden Rollen, durch welche faule und wurmstichige Exemplare ausgeschieden werden. In Spitzenzeiten sind hier beim Auslesen zusätzlich die Augen und flinken Hände Mitarbeitender gefragt. Nächste Station ist der Schredder, der die Äpfel zu Maische vermanscht und diese über mächtige Rohre in die Pressen im Nebenraum leitet.

Noch steht dieser Trakt bei unserem Besuch still. Später, in der Nacht, wenn die grossen, roten Presstrommeln angeworfen werden, wird man es in der Maschinenhalle ohne Gehörschutz nicht aushalten. Motoren, die eine Handvoll Pressen mit je elf Tonnen ApfelMaische antreiben, um jeder von ihnen 9000 Liter Saft zu entlocken, brauchen nun einmal eine gewisse Leistung, akustische Emissionen inklusive. «Selbst ich staune jedesmal wieder über den gigantischen Apparatepark, der zum Mosten notwendig ist», stellt Clavadetscher fest. «Wenn man bedenkt,

dass er nur zweieinhalb Monate im Jahr läuft, nach der Ernte, und sonst stillsteht, ist das schon eine grosse Investition». Die restliche Zeit mit der Verarbeitung von Import-Äpfeln zu überbrücken, sei dennoch kein Thema. Allein schon, weil das Unternehmen zu hundert Prozent auf Obst aus der Schweiz setze. Wie viele Apparaturen allerdings notwendig sind, um Apfelsaft herzustellen, sei vielen Konsumenten nicht bewusst.

Auch Gsell kennt die Diskussion rund um den Liter-Preis des beliebten Getränks. In solchen Momenten erzählt er von der Wertschöpfungskette, die beim Pflanzen und Hegen des Apfelbaums beginnt, über die Ernte und Anlieferung, bis zur Verarbeitung und der dafür notwendigen Infrastruktur.

Millionen Liter ruhen hier
Nicht ohne Stolz erwähnt er auch die grossen Behälter, die nächste Station unserer Besichtigungstour. In ihnen ruht der gewonnene Saft aus den Pressen in Form von Apfelsaft- und Birnensaftkonzentrat. Rund zweieinhalb Millionen Liter haben in den 23 Tanks in einem Lagerraum Platz, der konstant auf acht Grad gekühlt ist. Von hier aus geht es je nachdem direkt zur Zapfstation für die Tanklastwagen, die den «Frisch ab Presse»-Most nach Sursee

in die Abfüllanlage transportieren. Oder aber zuerst in die Konzentratherstellung, eine Anlage mit vielen verwinkelten Metallleitungen, die dem Apfelsaft Wasser entzieht (siehe Box). Das Konzentrat dient später im Werk in Sursee als Grundlage für den fruchtigen Huus-Tee, den «Zisch»-Durstlöscher oder für die erfrischende Schorle und die verschiedenen obstsafthaltigen Getränke.

Ein Blick auf die Uhr: Gsell muss los. Für ihn wird es ein langer Tag und eine noch längere Nacht. Die Anlieferung draussen läuft auf Hochtouren. Mittlerweile ist das erste Silo prall mit Äpfeln gefüllt. 90 Tonnen sind es, schätzt Gsell. Bereits in drei Stunden werden sie verarbeitet sein.

Derweil hat sich vor der Annahmestelle eine Schlange von Landwirtschaftsmaschinen gebildet, die bis auf die Mostereistrasse vor dem Gebäude reicht. «Nur schon deswegen wird es hier nie langweilig. Hier kann man die verschiedensten Traktorengenerationen bestaunen!», ruft Gsell, schwingt sich auf das Gitter beim Apfelsilo und hilft einem Landwirt beim Öffnen der Ladeklappe. Es wird heute nicht das letzte Mal sein.