Frau Breitenmoser, was ist Chlorotalonil?
Alda Breitenmoser: Bei der Substanz handelt es sich um ein Fungizid, das in der Landwirtschaft eingesetzt wird. Es schützt vor Pilzbefall in Agrokulturen, etwa bei Tomaten und Getreide.

Wie verbreitet ist der Einsatz in der Schweiz?
Chlorotalonil wird schon relativ oft eingesetzt. Weil es bei uns vom Klima her lange feucht sein kann und wir mitunter eine hohe Luftfeuchtigkeit haben, ist das Problem des Pilzbefalls akut. Das Mittel ist verbreitet, es wurde vor 40 Jahren zugelassen.

Wie hoch ist der Verbrauch?
Schätzungen besagen, dass rund 40 Tonnen pro Jahr in der Schweiz verwendet werden.

Weshalb wurde die Bevölkerung erst jetzt über die Gefahren des Mittels informiert?
Als es vor 40 Jahren zugelassen wurde, ging man davon aus, dass Chlorotalonil für Menschen und Umwelt problemlos ist. Die EFSA, die europäische Sicherheitsbehörde, hat allerdings zu Beginn dieses Jahres eine Neubeurteilung vorgenommen. Man merkte, dass die Substanzen, die sich beim Zerfall bilden, sehr wohl negative Auswirkungen haben können. Bei Menschen können sie das Krebsrisiko erhöhen.

Alda Breitenmoser
Zur Person
Alda Breitenmoser, 49, ist Leiterin des Amts für Verbraucherschutz des Kantons Aargau.

Dennoch hat man erst jetzt gemerkt, Monate später, dass Chlorotalonil im Trinkwasser vorkommt.
Ja, denn bisher hat man keine Messungen vorgenommen, welche sich auf diesen Stoff fokussiert hätten. Vor kurzem hat allerdings das NAQUA, das Nationale Programm Grundwasserbeobachtung, entsprechende Kontrollen durchgeführt. Das NAQUA überwacht Grundwasserströme an speziellen Stellen, auch hinsichtlich anderer Pestizide. Nun hat es auch das Chlorotalonil ins Überwachungsmonitoring aufgenommen.

Laut dem «Badener Tagblatt» vom 29. Oktober empfiehlt der Kanton Aargau verunsicherten Bürgerinnen und Bürgern, direkt bei ihrer Wohngemeinde nachzufragen, wie es um die Chlorotalonil-Werte in ihrer Gemeinde steht. Sie hätten indes keine Namen nennen wollen. Aus diesem Grund sprach der Aargauer SP-Grossrat Thomas Leitch in seinem Vorstoss Anfang September von Geheimniskrämerei. Haben Sie dafür Verständnis?
Der Fall ist noch hängig. Ich betone aber, dass wir sehr daran interessiert sind, dass die Gemeinden eine offene Kommunikation pflegen. Der Vorwurf der Geheimniskrämerei darf sich auf keinen Fall erhärten lassen. Aus diesem Grund stehen wir in engem Kontakt mit den Gemeinden, die aber von sich aus in der Pflicht sind, die Bevölkerung zu informieren.

Und wie steht es um das Trinkwasser in den Schweizer Gemeinden?
Genaue Zahlen liegen mir zwar nicht nicht vor. Allgemein kann aber festgehalten werden, dass Chlorotalonil das Wasser vor allem in denjenigen Gemeinden belastet, die Regionen mit grossen Ackerbaufläche besitzen. Dazu gehört das Mittelland. In Graubünden hingegen, meiner Heimat, ist das Trinkwasser kaum belastet. Denn dort werden nicht im grossen Stil Gemüse und Getreide angebaut.  

Gegenüber «SRF1» haben Sie letzte Woche gesagt, man könnte das Trinkwasser einfach verdünnen. Das dürfte manchen skeptisch stimmen. Ist das wirklich die Lösung für das Problem?
Dieser Vorschlag für die Wasserkonsumenten tatsächlich nicht einfach zu verstehen, ja er tönt sogar befremdend. Doch es ist ein gängiges Verfahren, Trinkwasser zu mischen. Dazu muss man einen Blick auf dessen Gewinnung werfen.

Welche Methoden gibt es da?
Man kann das Wasser bei einer Quelle fassen. Wasser, das vorher versickert ist, kommt hier wieder an die Oberfläche und wird ins Netz eingespeist. Eine andere Methode ist das Anzapfen von Grundwasser. Und natürlich kann man Seewasser verwenden. Je nach Qualität des Wassers überlegen sich die Gemeinden, wie sie diese verschiedenen Wasserarten mischen sollen. Es kommt darauf an, wie kalkhaltig oder weich das Wasser ist.  

Allerdings ist es ein Unterschied, ob man saubere Trinkwasserarten zur Veredelung mischt, oder oder ob man einfach Giftstoffe verdünnen will.
Das stimmt natürlich. Jede achte Aargauer Gemeinde beispielsweise weist zu hohe Chlorotalonil-Werte auf. Durch Verdünnen werden diese gesenkt. Es abzukochen, was offenbar einige Haushaltungen gemacht haben, bringt übrigens nichts. Damit lässt sich das Chlorotalonil nicht beseitigen.

Kann man denn das Leitungswasser nun noch ohne Angst trinken?
Auf jeden Fall. Denn so oder so, die Grenzwerte sind mit 0,1 Mikrogramm Chlorotalonil pro Liter ohnehin sehr tief angesetzt. Doch besser wäre es, nicht die Symptome zu bekämpfen, sondern die Ursachen.

Das heisst?
Es braucht ein Anwendungsverbot. Ich hoffe da auf die Politiker. Inzwischen bleibt uns nichts anderes übrig, als das Wasser in den belasteten Fassungen zu verdünnen, dass Mensch und Tiere keine Gefahr besteht.