Gerade einmal zwei Tage nach der Annahme der Volksinitiative «Gegen Masseneinwanderung» steht eine neue Initiative in den Startlöchern, die der Schweiz mehr Selbständigkeit geben soll. Mit der Volksinitiative «Für Ernährungssicherheit» soll der Selbstversorgungsgrad von Lebensmitteln wieder gesteigert werden.

Ganz anders als die SVP muss sich der Schweizer Bauernverband (SBV) offiziell als Verlierer der Eidgenössischen Abstimmungen vom Wochenende zählen, hatte sich doch sein Vorstand gegen die Masseneinwanderungs-Initiative ausgesprochen. Diverse kantonale Bauernverbände hatten sich der Parole allerdings widersetzt und ein Ja empfohlen. Bei der neuen Initiative ziehen die beiden Lager hingegen alle an einem Strang. Gemeinsam mit einer Gruppe um SVP-Nationalrat Rudolf Joder lancierte der SBV am Dienstag vor dem Bundeshaus in Bern die Unterschriftensammlung für die Volksinitiative.

Bauernverband: «Zeiger steht in die falsche Richtung»
In einer Medienmitteilung von Dienstag erläutert der Bauernverband seine Initiative. «Die ausreichende Versorgung der wachsenden Menschheit mit sicherem und gesundem Essen stellt eine der grossen Herausforderungen der Zukunft dar», schreibt er. In der Schweiz stehe der Zeiger in die falsche Richtung: «Fast 33‘000 Hektaren Landwirtschaftsfläche gingen in den letzten zwölf Jahren verloren.»

Weil dadurch der Nettoselbstversorgungsgrad der Schweiz auf 54 Prozent gesunken sei, plane der SBV einen Richtungswechsel. Die neu lancierte Volksinitiative wolle das «schwindende Kulturland» besser schützen, das Qualitätsniveau bei Lebensmitteln hoch halten und den nachhaltigen Anbau von «landwirtschaftlichen Rohstoffen und tierischen Produkten» für die Ernährung fördern.

Die Bundesverfassung würde mit Annahme der Volksinitiative wie folgt geändert:

Art. 104a (neu) Ernährungssicherheit
1  Der Bund stärkt die Versorgung der Bevölkerung mit Lebensmitteln aus vielfältiger und nachhaltiger einheimischer Produktion; dazu trifft er wirksame Massnahmen insbesondere gegen den Verlust von Kulturland einschliesslich der Sömmerungsfläche und zur Umsetzung einer Qualitätsstrategie.

2  Er sorgt dafür, dass der administrative Aufwand in der Landwirtschaft gering ist und die Rechtssicherheit und eine angemessene Investitionssicherheit gewährleistet sind.

Übergangsbestimmungen zum Artikel 104a
Der Bundesrat beantragt der Bundesversammlung spätestens zwei Jahre nach Annahme des neuen Art. 104a entsprechende Gesetzesbestimmungen. 

Der Bauernverband werde am 15. Februar und am 15. März zwei grosse Sammelaktionen durchführen, bei denen «in praktisch allen Gemeinden der Schweiz» Unterschriften gesammelt würden. Das Initiativkommitee hat bis zum 4. August 2015 Zeit, 100'000 Unterschriften zu sammeln.

Pro Natura: «eine Scheindebatte»
Eine schnelle Gegenreaktion auf die Medienmitteilung des SBV hat die Naturschutzorganisation Pro Natura am Dienstag geliefert. In einem Communiqué bezeichnet sie die Volksinitiative als «umweltschädlich und unnötig». Gemäss Pro Natura steht alles, was der Bauernverband fordert, bereits in der Verfassung oder im Landwirtschaftsgesetz. Der Bauernverband eröffne «eine Scheindebatte über Versorgung und Ernährungssicherheit». Dies sei ein kontraproduktives Ablenkungsmanöver von den wirklichen Problemen in der Schweizer Landwirtschaft, so Pro Natura.

«Es wurden noch nie so viele Kalorien in der Schweiz produziert wie heute. Dennoch will der Bauernverband uns mit seiner Massenproduktionsinitiative weismachen, dass die Schweizer Bauern nicht genügend produzieren könnten», schreibt die Naturschutzorganisation in ihrer Medienmitteilung. Die Agrarlobby lenke damit von Missständen im Bereich Ökologie ab. So liege bei 70 Prozent der untersuchten Oberflächengewässerstandorten in der Schweiz die Pestizidkonzentration über dem gesetzlichen Anforderungswert. Und der Schaden durch die Ammoniakbelastung aus der Schweizer Landwirtschaft betrage jährlich rund eine Milliarde Franken.

Pro Natura wirft dem Bauernverband vor, die Landwirtschaft auf eine reine Kalorienproduktion auszulegen. Die «Bauern-Funktionäre» drängten auf eine «noch umweltschädlichere Massen-Produktion». Pro Natura glaubt zu wissen, dass dies bei der Bevölkerung nicht gut ankommt: «Die Kundinnen und Kunden von Schweizer Bauern wollen für den höheren Preis auch bessere Qualität, sprich natürliche und gesunde Lebensmittel – sicher keine Massenware.»